Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.geworden war. Wenn eine gelehrte und zurecht gewiesene Einbildungskraft die neueren Erweiterungen der Sternkunde in die Dichtung hinübertrug, so geschah dieser kein sonderlicher Dienst damit. Denn für die Beobachtung ist die Natur jederzeit unendlich; und wie sie sich neue Welten unterwirft, dehnen sich immer von neuem jenseits derselben unermeßliche Gebiete aus, woraus unsere Unwissenheit uns als Unordnung und Gesetzlosigkeit zurückkommt. Mit chaotischer Größe ist es aber in der Poesie nicht gethan: eine harmonische Erscheinung ist das erste und letzte. Nur wenn die Sphären sich um die Erde wie um ihren Mittelpunkt drehen, und der königliche Mantel des blauen Gewölbes sie als letzte Gränze umfaßt, erklingen sie in schönen Tönen; und der Himmel der Seligen ist eben der, nach welchem das Kind die Händchen ausstreckt, um die Sterne wie ein goldnes Spielzeug zu greifen. Noch dürfen wir ein paar Blätter nicht übergehn, worauf Jdeen der Religion, welche durch das Ganze hin webt und waltet, persönlich sichtbar gemacht sind: die drei christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, als Titelblatt zum Purgatorio; die heilige Kirche zwischen Sankt Franciscus und Sankt Dominicus als Führern und Stützen; die streitende Kirche, einen Cherub mit flammendem Schwerte an jeder Seite, die zu ihren Füßen zwey Ungeheuer, den Satan und das Fleisch, niederstürzen, während sie in Nonnentracht Augen und Hände zum inbrünstigen Gebet gen Himmel wendet. Das eigentlichste Lob dieser Bilder ist, daß man weder katholischer noch Dantesker seyn kann, als geworden war. Wenn eine gelehrte und zurecht gewiesene Einbildungskraft die neueren Erweiterungen der Sternkunde in die Dichtung hinuͤbertrug, so geschah dieser kein sonderlicher Dienst damit. Denn fuͤr die Beobachtung ist die Natur jederzeit unendlich; und wie sie sich neue Welten unterwirft, dehnen sich immer von neuem jenseits derselben unermeßliche Gebiete aus, woraus unsere Unwissenheit uns als Unordnung und Gesetzlosigkeit zuruͤckkommt. Mit chaotischer Groͤße ist es aber in der Poesie nicht gethan: eine harmonische Erscheinung ist das erste und letzte. Nur wenn die Sphaͤren sich um die Erde wie um ihren Mittelpunkt drehen, und der koͤnigliche Mantel des blauen Gewoͤlbes sie als letzte Graͤnze umfaßt, erklingen sie in schoͤnen Toͤnen; und der Himmel der Seligen ist eben der, nach welchem das Kind die Haͤndchen ausstreckt, um die Sterne wie ein goldnes Spielzeug zu greifen. Noch duͤrfen wir ein paar Blaͤtter nicht uͤbergehn, worauf Jdeen der Religion, welche durch das Ganze hin webt und waltet, persoͤnlich sichtbar gemacht sind: die drei christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, als Titelblatt zum Purgatorio; die heilige Kirche zwischen Sankt Franciscus und Sankt Dominicus als Fuͤhrern und Stuͤtzen; die streitende Kirche, einen Cherub mit flammendem Schwerte an jeder Seite, die zu ihren Fuͤßen zwey Ungeheuer, den Satan und das Fleisch, niederstuͤrzen, waͤhrend sie in Nonnentracht Augen und Haͤnde zum inbruͤnstigen Gebet gen Himmel wendet. Das eigentlichste Lob dieser Bilder ist, daß man weder katholischer noch Dantesker seyn kann, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0232" n="222"/> geworden war. Wenn eine gelehrte und zurecht gewiesene Einbildungskraft die neueren Erweiterungen der Sternkunde in die Dichtung hinuͤbertrug, so geschah dieser kein sonderlicher Dienst damit. Denn fuͤr die Beobachtung ist die Natur jederzeit unendlich; und wie sie sich neue Welten unterwirft, dehnen sich immer von neuem jenseits derselben unermeßliche Gebiete aus, woraus unsere Unwissenheit uns als Unordnung und Gesetzlosigkeit zuruͤckkommt. Mit chaotischer Groͤße ist es aber in der Poesie nicht gethan: eine harmonische Erscheinung ist das erste und letzte. Nur wenn die Sphaͤren sich um die Erde wie um ihren Mittelpunkt drehen, und der koͤnigliche Mantel des blauen Gewoͤlbes sie als letzte Graͤnze umfaßt, erklingen sie in schoͤnen Toͤnen; und der Himmel der Seligen ist eben der, nach welchem das Kind die Haͤndchen ausstreckt, um die Sterne wie ein goldnes Spielzeug zu greifen.</p><lb/> <p>Noch duͤrfen wir ein paar Blaͤtter nicht uͤbergehn, worauf Jdeen der Religion, welche durch das Ganze hin webt und waltet, persoͤnlich sichtbar gemacht sind: die drei christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, als Titelblatt zum <hi rendition="#g">Purgatorio</hi>; die heilige Kirche zwischen Sankt Franciscus und Sankt Dominicus als Fuͤhrern und Stuͤtzen; die streitende Kirche, einen Cherub mit flammendem Schwerte an jeder Seite, die zu ihren Fuͤßen zwey Ungeheuer, den Satan und das Fleisch, niederstuͤrzen, waͤhrend sie in Nonnentracht Augen und Haͤnde zum inbruͤnstigen Gebet gen Himmel wendet. Das eigentlichste Lob dieser Bilder ist, daß man weder katholischer noch Dantesker seyn kann, als </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [222/0232]
geworden war. Wenn eine gelehrte und zurecht gewiesene Einbildungskraft die neueren Erweiterungen der Sternkunde in die Dichtung hinuͤbertrug, so geschah dieser kein sonderlicher Dienst damit. Denn fuͤr die Beobachtung ist die Natur jederzeit unendlich; und wie sie sich neue Welten unterwirft, dehnen sich immer von neuem jenseits derselben unermeßliche Gebiete aus, woraus unsere Unwissenheit uns als Unordnung und Gesetzlosigkeit zuruͤckkommt. Mit chaotischer Groͤße ist es aber in der Poesie nicht gethan: eine harmonische Erscheinung ist das erste und letzte. Nur wenn die Sphaͤren sich um die Erde wie um ihren Mittelpunkt drehen, und der koͤnigliche Mantel des blauen Gewoͤlbes sie als letzte Graͤnze umfaßt, erklingen sie in schoͤnen Toͤnen; und der Himmel der Seligen ist eben der, nach welchem das Kind die Haͤndchen ausstreckt, um die Sterne wie ein goldnes Spielzeug zu greifen.
Noch duͤrfen wir ein paar Blaͤtter nicht uͤbergehn, worauf Jdeen der Religion, welche durch das Ganze hin webt und waltet, persoͤnlich sichtbar gemacht sind: die drei christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, als Titelblatt zum Purgatorio; die heilige Kirche zwischen Sankt Franciscus und Sankt Dominicus als Fuͤhrern und Stuͤtzen; die streitende Kirche, einen Cherub mit flammendem Schwerte an jeder Seite, die zu ihren Fuͤßen zwey Ungeheuer, den Satan und das Fleisch, niederstuͤrzen, waͤhrend sie in Nonnentracht Augen und Haͤnde zum inbruͤnstigen Gebet gen Himmel wendet. Das eigentlichste Lob dieser Bilder ist, daß man weder katholischer noch Dantesker seyn kann, als
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