Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

erleuchtete Domenico! Mit wie feinem Urtheile ist hier der Mönch Franciscus, der Streiter für den Glauben, ganz anders abgebildet, als dort der friedliche Heilige am Todtenbett seines Ordensbruders! Eben so erscheint die Kirche auf dem Blatt, wo wir ihre furchtbaren Triumphe erblicken, in weiblicher Andacht und Wehrlosigkeit; hier hingegen im vollen priesterlichen Ornat, mit unverrückter heiliger Miene und Haltung. Gern beschriebe ich noch, wie die wiederhohlte Handlung, daß ein Engel dem Virgil und Dante ein mystisches Thor zum Hinaufsteigen auf den Berg der Büßung öffnet, durch den einsichtsvollen Gebrauch der Symmetrie beydemale feyerlich, und doch wieder nach den zartesten Beziehungen verschieden charakterisirt ist: aber ich reiße mich los, um zu den übrigen Sammlungen zu kommen.

Hier befinden wir uns plötzlich in einer ganz andern Welt, und müssen die Vielseitigkeit des Künstlers bewundern, der sich mit gleicher Liebe und gleichem Glück in beyde warf, und jedes so rein in seiner Art zu erhalten weiß. Mehr kann man wahrlich von einem geistvollen Manne nicht verlangen, als daß er in seiner Sinnesart und seinem Geschmack entweder recht entschieden modern, oder recht entschieden antik sey. Leider giebt es, seit begeisterte Kunstrichter das klassische Alterthum gepredigt haben, so viel halbe Wesen, die nicht sind was sie sollen, und nicht seyn können was sie wollen. Es sind die Mäuse der Kunst und Poesie, die bey dem großen Kampfe zwischen den Erd- und Luftbewohnern zur entgegengesetzten Partey übergingen, und zum Dank

erleuchtete Domenico! Mit wie feinem Urtheile ist hier der Moͤnch Franciscus, der Streiter fuͤr den Glauben, ganz anders abgebildet, als dort der friedliche Heilige am Todtenbett seines Ordensbruders! Eben so erscheint die Kirche auf dem Blatt, wo wir ihre furchtbaren Triumphe erblicken, in weiblicher Andacht und Wehrlosigkeit; hier hingegen im vollen priesterlichen Ornat, mit unverruͤckter heiliger Miene und Haltung. Gern beschriebe ich noch, wie die wiederhohlte Handlung, daß ein Engel dem Virgil und Dante ein mystisches Thor zum Hinaufsteigen auf den Berg der Buͤßung oͤffnet, durch den einsichtsvollen Gebrauch der Symmetrie beydemale feyerlich, und doch wieder nach den zartesten Beziehungen verschieden charakterisirt ist: aber ich reiße mich los, um zu den uͤbrigen Sammlungen zu kommen.

Hier befinden wir uns ploͤtzlich in einer ganz andern Welt, und muͤssen die Vielseitigkeit des Kuͤnstlers bewundern, der sich mit gleicher Liebe und gleichem Gluͤck in beyde warf, und jedes so rein in seiner Art zu erhalten weiß. Mehr kann man wahrlich von einem geistvollen Manne nicht verlangen, als daß er in seiner Sinnesart und seinem Geschmack entweder recht entschieden modern, oder recht entschieden antik sey. Leider giebt es, seit begeisterte Kunstrichter das klassische Alterthum gepredigt haben, so viel halbe Wesen, die nicht sind was sie sollen, und nicht seyn koͤnnen was sie wollen. Es sind die Maͤuse der Kunst und Poesie, die bey dem großen Kampfe zwischen den Erd- und Luftbewohnern zur entgegengesetzten Partey uͤbergingen, und zum Dank

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="224"/>
erleuchtete Domenico! Mit wie feinem Urtheile ist hier der Mo&#x0364;nch Franciscus, der Streiter fu&#x0364;r den Glauben, ganz anders abgebildet, als dort der friedliche Heilige am Todtenbett seines Ordensbruders! Eben so erscheint die Kirche auf dem Blatt, wo wir ihre furchtbaren Triumphe erblicken, in weiblicher Andacht und Wehrlosigkeit; hier hingegen im vollen priesterlichen Ornat, mit unverru&#x0364;ckter heiliger Miene und Haltung. Gern beschriebe ich noch, wie die wiederhohlte Handlung, daß ein Engel dem Virgil und Dante ein mystisches Thor zum Hinaufsteigen auf den Berg der Bu&#x0364;ßung o&#x0364;ffnet, durch den einsichtsvollen Gebrauch der Symmetrie beydemale feyerlich, und doch wieder nach den zartesten Beziehungen verschieden charakterisirt ist: aber ich reiße mich los, um zu den u&#x0364;brigen Sammlungen zu kommen.</p><lb/>
          <p>Hier befinden wir uns plo&#x0364;tzlich in einer ganz andern Welt, und mu&#x0364;ssen die Vielseitigkeit des Ku&#x0364;nstlers bewundern, der sich mit gleicher Liebe und gleichem Glu&#x0364;ck in beyde warf, und jedes so rein in seiner Art zu erhalten weiß. Mehr kann man wahrlich von einem geistvollen Manne nicht verlangen, als daß er in seiner Sinnesart und seinem Geschmack entweder recht entschieden modern, oder recht entschieden antik sey. Leider giebt es, seit begeisterte Kunstrichter das klassische Alterthum gepredigt haben, so viel halbe Wesen, die nicht sind was sie sollen, und nicht seyn ko&#x0364;nnen was sie wollen. Es sind die Ma&#x0364;use der Kunst und Poesie, die bey dem großen Kampfe zwischen den Erd- und Luftbewohnern zur entgegengesetzten Partey u&#x0364;bergingen, und zum Dank
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0234] erleuchtete Domenico! Mit wie feinem Urtheile ist hier der Moͤnch Franciscus, der Streiter fuͤr den Glauben, ganz anders abgebildet, als dort der friedliche Heilige am Todtenbett seines Ordensbruders! Eben so erscheint die Kirche auf dem Blatt, wo wir ihre furchtbaren Triumphe erblicken, in weiblicher Andacht und Wehrlosigkeit; hier hingegen im vollen priesterlichen Ornat, mit unverruͤckter heiliger Miene und Haltung. Gern beschriebe ich noch, wie die wiederhohlte Handlung, daß ein Engel dem Virgil und Dante ein mystisches Thor zum Hinaufsteigen auf den Berg der Buͤßung oͤffnet, durch den einsichtsvollen Gebrauch der Symmetrie beydemale feyerlich, und doch wieder nach den zartesten Beziehungen verschieden charakterisirt ist: aber ich reiße mich los, um zu den uͤbrigen Sammlungen zu kommen. Hier befinden wir uns ploͤtzlich in einer ganz andern Welt, und muͤssen die Vielseitigkeit des Kuͤnstlers bewundern, der sich mit gleicher Liebe und gleichem Gluͤck in beyde warf, und jedes so rein in seiner Art zu erhalten weiß. Mehr kann man wahrlich von einem geistvollen Manne nicht verlangen, als daß er in seiner Sinnesart und seinem Geschmack entweder recht entschieden modern, oder recht entschieden antik sey. Leider giebt es, seit begeisterte Kunstrichter das klassische Alterthum gepredigt haben, so viel halbe Wesen, die nicht sind was sie sollen, und nicht seyn koͤnnen was sie wollen. Es sind die Maͤuse der Kunst und Poesie, die bey dem großen Kampfe zwischen den Erd- und Luftbewohnern zur entgegengesetzten Partey uͤbergingen, und zum Dank

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/234
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/234>, abgerufen am 18.05.2024.