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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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33.
Er naht dem nackten Fels bis auf die Weite,
Die wohl ein Stein durchfliegt aus rascher Hand.
Jhn dünkt, daß in sein Ohr ein Stöhnen gleite,
Allein so schwach, er hätt' es kaum erkannt.
Er wendet nun sich ganz zur linken Seite,
Und sieht, den Blick gerichtet auf den Strand,
An einen Stamm gebunden, unverhohlen
Ein nacktes Weib, vom Meer bespült die Sohlen.
34.
Noch kann er, wer sie sey, sich nicht enthüllen,
Denn sie ist fern und senkt ihr Antliz nieder;
Sie zu erkennen, reizt ihn Wunsch und Willen,
Er rudert hin und rühret frisch die Glieder.
Allein er hört indeß die Küste brüllen,
Die Wälder und die Höhlen hallen wieder,
Die Wogen schwellen: seht das Unthier kommen!
Die See verbergend, kommt es angeschwommen.
35.
Wie von Gewittern schwanger und von Güssen
Die Wolke steigt aus dunklem, feuchtem Thal;
Sie deckt die Welt mit nächt'gen Finsternissen,
Und zu erlöschen scheint des Tages Strahl:
So schwimmt das Seethier, und dem Blick entrissen
Wird von der Last die See mit Einem Mahl.
Die Wogen brausen: Roland schaut, der kühne,
Gefaßt es an, ihm wankt noch Herz noch Miene.
33.
Er naht dem nackten Fels bis auf die Weite,
Die wohl ein Stein durchfliegt aus rascher Hand.
Jhn duͤnkt, daß in sein Ohr ein Stoͤhnen gleite,
Allein so schwach, er haͤtt' es kaum erkannt.
Er wendet nun sich ganz zur linken Seite,
Und sieht, den Blick gerichtet auf den Strand,
An einen Stamm gebunden, unverhohlen
Ein nacktes Weib, vom Meer bespuͤlt die Sohlen.
34.
Noch kann er, wer sie sey, sich nicht enthuͤllen,
Denn sie ist fern und senkt ihr Antliz nieder;
Sie zu erkennen, reizt ihn Wunsch und Willen,
Er rudert hin und ruͤhret frisch die Glieder.
Allein er hoͤrt indeß die Kuͤste bruͤllen,
Die Waͤlder und die Hoͤhlen hallen wieder,
Die Wogen schwellen: seht das Unthier kommen!
Die See verbergend, kommt es angeschwommen.
35.
Wie von Gewittern schwanger und von Guͤssen
Die Wolke steigt aus dunklem, feuchtem Thal;
Sie deckt die Welt mit naͤcht'gen Finsternissen,
Und zu erloͤschen scheint des Tages Strahl:
So schwimmt das Seethier, und dem Blick entrissen
Wird von der Last die See mit Einem Mahl.
Die Wogen brausen: Roland schaut, der kuͤhne,
Gefaßt es an, ihm wankt noch Herz noch Miene.
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[260/0270] 33. Er naht dem nackten Fels bis auf die Weite, Die wohl ein Stein durchfliegt aus rascher Hand. Jhn duͤnkt, daß in sein Ohr ein Stoͤhnen gleite, Allein so schwach, er haͤtt' es kaum erkannt. Er wendet nun sich ganz zur linken Seite, Und sieht, den Blick gerichtet auf den Strand, An einen Stamm gebunden, unverhohlen Ein nacktes Weib, vom Meer bespuͤlt die Sohlen. 34. Noch kann er, wer sie sey, sich nicht enthuͤllen, Denn sie ist fern und senkt ihr Antliz nieder; Sie zu erkennen, reizt ihn Wunsch und Willen, Er rudert hin und ruͤhret frisch die Glieder. Allein er hoͤrt indeß die Kuͤste bruͤllen, Die Waͤlder und die Hoͤhlen hallen wieder, Die Wogen schwellen: seht das Unthier kommen! Die See verbergend, kommt es angeschwommen. 35. Wie von Gewittern schwanger und von Guͤssen Die Wolke steigt aus dunklem, feuchtem Thal; Sie deckt die Welt mit naͤcht'gen Finsternissen, Und zu erloͤschen scheint des Tages Strahl: So schwimmt das Seethier, und dem Blick entrissen Wird von der Last die See mit Einem Mahl. Die Wogen brausen: Roland schaut, der kuͤhne, Gefaßt es an, ihm wankt noch Herz noch Miene.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/270>, abgerufen am 16.07.2024.