Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Kant auch bloß litterarisch genommen unter die classischen Schriftsteller unserer Nazion gehört. Bey Fichte wäre ein solches Verfahren sehr überflüssig. Noch nie sind die Resultate der tiefsten und wie ins Unendliche fortgesetzten Reflexion mit der Popularität und Klarheit ausgedrückt, die Du in seiner neuen Darstellung der Wissenschaftslehre finden würdest. Es ist mir interessant, daß ein Denker, dessen einziges großes Ziel die Wissenschaftlichkeit der Philosophie ist, und der das künstliche Denken vielleicht mehr in seiner Gewalt hat, als irgend einer seiner Vorgänger, doch auch für die allgemeinste Mittheilung so begeistert seyn kann. Jch halte diese Popularität für eine Annäherung der Philosophie zur Humanität im wahren und großen Sinne des Worts, wo es erinnert, daß der Mensch nur unter Menschen leben, und so weit sein Geist auch um sich greift, am Ende doch dahin wieder heimkehren soll. Er hat auch hierin seinen Willen mit eiserner Kraft durchgesetzt, und seine neuesten Schriften sind freundschaftliche Gespräche mit dem Leser, in dem treuherzigen schlichten Style eines Luther. Jch glaube nicht, daß man den rechten Dilettanten noch auf einem andern Wege zu seiner Philosophie führen dürfte, als er selbst es in jener neuen Darstellung gethan hat. Wenn ihn jemand gar nicht versteht, so liegt es bloß an der gänzlichen Verschiedenheit des Standpunktes. Das einzige Stück Arbeit, was etwa für mich übrig bliebe, wäre der Versuch, den nothwendigen und natürlichen Charakter des Philosophen überhaupt darzustellen. Kant auch bloß litterarisch genommen unter die classischen Schriftsteller unserer Nazion gehoͤrt. Bey Fichte waͤre ein solches Verfahren sehr uͤberfluͤssig. Noch nie sind die Resultate der tiefsten und wie ins Unendliche fortgesetzten Reflexion mit der Popularitaͤt und Klarheit ausgedruͤckt, die Du in seiner neuen Darstellung der Wissenschaftslehre finden wuͤrdest. Es ist mir interessant, daß ein Denker, dessen einziges großes Ziel die Wissenschaftlichkeit der Philosophie ist, und der das kuͤnstliche Denken vielleicht mehr in seiner Gewalt hat, als irgend einer seiner Vorgaͤnger, doch auch fuͤr die allgemeinste Mittheilung so begeistert seyn kann. Jch halte diese Popularitaͤt fuͤr eine Annaͤherung der Philosophie zur Humanitaͤt im wahren und großen Sinne des Worts, wo es erinnert, daß der Mensch nur unter Menschen leben, und so weit sein Geist auch um sich greift, am Ende doch dahin wieder heimkehren soll. Er hat auch hierin seinen Willen mit eiserner Kraft durchgesetzt, und seine neuesten Schriften sind freundschaftliche Gespraͤche mit dem Leser, in dem treuherzigen schlichten Style eines Luther. Jch glaube nicht, daß man den rechten Dilettanten noch auf einem andern Wege zu seiner Philosophie fuͤhren duͤrfte, als er selbst es in jener neuen Darstellung gethan hat. Wenn ihn jemand gar nicht versteht, so liegt es bloß an der gaͤnzlichen Verschiedenheit des Standpunktes. Das einzige Stuͤck Arbeit, was etwa fuͤr mich uͤbrig bliebe, waͤre der Versuch, den nothwendigen und natuͤrlichen Charakter des Philosophen uͤberhaupt darzustellen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039" n="31"/> Kant auch bloß litterarisch genommen unter die classischen Schriftsteller unserer Nazion gehoͤrt.</p><lb/> <p>Bey Fichte waͤre ein solches Verfahren sehr uͤberfluͤssig. Noch nie sind die Resultate der tiefsten und wie ins Unendliche fortgesetzten Reflexion mit der Popularitaͤt und Klarheit ausgedruͤckt, die Du in seiner neuen Darstellung der Wissenschaftslehre finden wuͤrdest. Es ist mir interessant, daß ein Denker, dessen einziges großes Ziel die <hi rendition="#g">Wissenschaftlichkeit</hi> der Philosophie ist, und der das <hi rendition="#g">kuͤnstliche</hi> Denken vielleicht mehr in seiner Gewalt hat, als irgend einer seiner Vorgaͤnger, doch auch fuͤr die allgemeinste <hi rendition="#g">Mittheilung</hi> so begeistert seyn kann. Jch halte <hi rendition="#g">diese</hi> Popularitaͤt fuͤr eine Annaͤherung der Philosophie zur <hi rendition="#g">Humanitaͤt</hi> im wahren und großen Sinne des Worts, wo es erinnert, daß der Mensch nur unter Menschen leben, und so weit sein Geist auch um sich greift, am Ende doch dahin wieder heimkehren soll. Er hat auch hierin seinen Willen mit eiserner Kraft durchgesetzt, und seine neuesten Schriften sind freundschaftliche Gespraͤche mit dem Leser, in dem treuherzigen schlichten Style eines Luther. Jch glaube nicht, daß man den <hi rendition="#g">rechten</hi> Dilettanten noch auf einem andern Wege zu seiner Philosophie fuͤhren duͤrfte, als er selbst es in jener neuen Darstellung gethan hat. Wenn ihn jemand gar nicht versteht, so liegt es bloß an der gaͤnzlichen Verschiedenheit des Standpunktes. Das einzige Stuͤck Arbeit, was etwa fuͤr mich uͤbrig bliebe, waͤre der Versuch, den nothwendigen und natuͤrlichen Charakter des Philosophen uͤberhaupt darzustellen. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0039]
Kant auch bloß litterarisch genommen unter die classischen Schriftsteller unserer Nazion gehoͤrt.
Bey Fichte waͤre ein solches Verfahren sehr uͤberfluͤssig. Noch nie sind die Resultate der tiefsten und wie ins Unendliche fortgesetzten Reflexion mit der Popularitaͤt und Klarheit ausgedruͤckt, die Du in seiner neuen Darstellung der Wissenschaftslehre finden wuͤrdest. Es ist mir interessant, daß ein Denker, dessen einziges großes Ziel die Wissenschaftlichkeit der Philosophie ist, und der das kuͤnstliche Denken vielleicht mehr in seiner Gewalt hat, als irgend einer seiner Vorgaͤnger, doch auch fuͤr die allgemeinste Mittheilung so begeistert seyn kann. Jch halte diese Popularitaͤt fuͤr eine Annaͤherung der Philosophie zur Humanitaͤt im wahren und großen Sinne des Worts, wo es erinnert, daß der Mensch nur unter Menschen leben, und so weit sein Geist auch um sich greift, am Ende doch dahin wieder heimkehren soll. Er hat auch hierin seinen Willen mit eiserner Kraft durchgesetzt, und seine neuesten Schriften sind freundschaftliche Gespraͤche mit dem Leser, in dem treuherzigen schlichten Style eines Luther. Jch glaube nicht, daß man den rechten Dilettanten noch auf einem andern Wege zu seiner Philosophie fuͤhren duͤrfte, als er selbst es in jener neuen Darstellung gethan hat. Wenn ihn jemand gar nicht versteht, so liegt es bloß an der gaͤnzlichen Verschiedenheit des Standpunktes. Das einzige Stuͤck Arbeit, was etwa fuͤr mich uͤbrig bliebe, waͤre der Versuch, den nothwendigen und natuͤrlichen Charakter des Philosophen uͤberhaupt darzustellen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/39 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/39>, abgerufen am 16.07.2024. |