Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

was der Mensch als Mensch davon braucht, aus der gesammten Philosophie auszuwählen, und im Zusammenhange mit der größten Popularität darzustellen. Da die Bedürfnisse so verschieden sind: so müßte ich freylich nach einem gewissen Durchschnitte streben und in Gedanken gleichsam für einen Doryphorus von Leser, ich meyne für einen durch und durch wohl proportionirten Leser schreiben. Aber außerdem, daß ich vielleicht eine Reise machen müßte, um die besten Leser aufzusuchen, und aus ihnen, wie der alte Mahler in Kroton seine Venus aus den schönsten Mädchen der Stadt, jenes Jdeal zusammen zu setzen, so ist auch eine solche Durchschnitts-Figur eben nicht die Person, für die ich mich vorzüglich begeistern könnte. Der Gedanke an Dich und einige andere Freunde wird kräftiger wirken.

Jndessen hat das Bild eines so umfassenden Ganzen, wie diese Philosophie für den Menschen seyn würde, eine gewisse abschreckende Würde für mich, und wird sie wohl noch eine Zeit lang behalten. Zuerst dürfte ich mich daher an kleinere Versuche wagen, für die ich keinen rechten Namen weiß. Denke Dir Selbstgespräche über Gegenstände, die den ganzen Menschen angehen, oder doch mit einziger Rücksicht darauf; mit nicht mehr Analyse als in einem freundschaftlichen Briefe erlaubt ist; im Tone einer zusammenhängenden Conversation, etwa wie dieses Schreiben an Dich. Jch möchte es nicht so wohl Philosophie als Moral nennen, obgleich es von dem verschieden ist, was gewöhnlich so heißt. Um in der

was der Mensch als Mensch davon braucht, aus der gesammten Philosophie auszuwaͤhlen, und im Zusammenhange mit der groͤßten Popularitaͤt darzustellen. Da die Beduͤrfnisse so verschieden sind: so muͤßte ich freylich nach einem gewissen Durchschnitte streben und in Gedanken gleichsam fuͤr einen Doryphorus von Leser, ich meyne fuͤr einen durch und durch wohl proportionirten Leser schreiben. Aber außerdem, daß ich vielleicht eine Reise machen muͤßte, um die besten Leser aufzusuchen, und aus ihnen, wie der alte Mahler in Kroton seine Venus aus den schoͤnsten Maͤdchen der Stadt, jenes Jdeal zusammen zu setzen, so ist auch eine solche Durchschnitts-Figur eben nicht die Person, fuͤr die ich mich vorzuͤglich begeistern koͤnnte. Der Gedanke an Dich und einige andere Freunde wird kraͤftiger wirken.

Jndessen hat das Bild eines so umfassenden Ganzen, wie diese Philosophie fuͤr den Menschen seyn wuͤrde, eine gewisse abschreckende Wuͤrde fuͤr mich, und wird sie wohl noch eine Zeit lang behalten. Zuerst duͤrfte ich mich daher an kleinere Versuche wagen, fuͤr die ich keinen rechten Namen weiß. Denke Dir Selbstgespraͤche uͤber Gegenstaͤnde, die den ganzen Menschen angehen, oder doch mit einziger Ruͤcksicht darauf; mit nicht mehr Analyse als in einem freundschaftlichen Briefe erlaubt ist; im Tone einer zusammenhaͤngenden Conversation, etwa wie dieses Schreiben an Dich. Jch moͤchte es nicht so wohl Philosophie als Moral nennen, obgleich es von dem verschieden ist, was gewoͤhnlich so heißt. Um in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="37"/>
was der Mensch als Mensch davon braucht, aus der gesammten Philosophie auszuwa&#x0364;hlen, und im Zusammenhange mit der gro&#x0364;ßten Popularita&#x0364;t darzustellen. Da die Bedu&#x0364;rfnisse so verschieden sind: so mu&#x0364;ßte ich freylich nach einem gewissen Durchschnitte streben und in Gedanken gleichsam fu&#x0364;r einen Doryphorus von Leser, ich meyne fu&#x0364;r einen durch und durch wohl proportionirten Leser schreiben. Aber außerdem, daß ich vielleicht eine Reise machen mu&#x0364;ßte, um die besten Leser aufzusuchen, und aus ihnen, wie der alte Mahler in Kroton seine Venus aus den scho&#x0364;nsten Ma&#x0364;dchen der Stadt, jenes Jdeal zusammen zu setzen, so ist auch eine solche Durchschnitts-Figur eben nicht die Person, fu&#x0364;r die ich mich vorzu&#x0364;glich begeistern ko&#x0364;nnte. Der Gedanke an Dich und einige andere Freunde wird kra&#x0364;ftiger wirken.</p><lb/>
          <p>Jndessen hat das Bild eines so umfassenden Ganzen, wie diese <hi rendition="#g">Philosophie fu&#x0364;r den Menschen</hi> seyn wu&#x0364;rde, eine gewisse abschreckende Wu&#x0364;rde fu&#x0364;r mich, und wird sie wohl noch eine Zeit lang behalten. Zuerst du&#x0364;rfte ich mich daher an kleinere Versuche wagen, fu&#x0364;r die ich keinen rechten Namen weiß. Denke Dir Selbstgespra&#x0364;che u&#x0364;ber Gegensta&#x0364;nde, die den ganzen Menschen angehen, oder doch mit einziger Ru&#x0364;cksicht darauf; mit nicht mehr Analyse als in einem freundschaftlichen Briefe erlaubt ist; im Tone einer zusammenha&#x0364;ngenden Conversation, etwa wie dieses Schreiben an Dich. Jch mo&#x0364;chte es nicht so wohl Philosophie als <hi rendition="#g">Moral</hi> nennen, obgleich es von dem verschieden ist, was gewo&#x0364;hnlich so heißt. Um in der
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0045] was der Mensch als Mensch davon braucht, aus der gesammten Philosophie auszuwaͤhlen, und im Zusammenhange mit der groͤßten Popularitaͤt darzustellen. Da die Beduͤrfnisse so verschieden sind: so muͤßte ich freylich nach einem gewissen Durchschnitte streben und in Gedanken gleichsam fuͤr einen Doryphorus von Leser, ich meyne fuͤr einen durch und durch wohl proportionirten Leser schreiben. Aber außerdem, daß ich vielleicht eine Reise machen muͤßte, um die besten Leser aufzusuchen, und aus ihnen, wie der alte Mahler in Kroton seine Venus aus den schoͤnsten Maͤdchen der Stadt, jenes Jdeal zusammen zu setzen, so ist auch eine solche Durchschnitts-Figur eben nicht die Person, fuͤr die ich mich vorzuͤglich begeistern koͤnnte. Der Gedanke an Dich und einige andere Freunde wird kraͤftiger wirken. Jndessen hat das Bild eines so umfassenden Ganzen, wie diese Philosophie fuͤr den Menschen seyn wuͤrde, eine gewisse abschreckende Wuͤrde fuͤr mich, und wird sie wohl noch eine Zeit lang behalten. Zuerst duͤrfte ich mich daher an kleinere Versuche wagen, fuͤr die ich keinen rechten Namen weiß. Denke Dir Selbstgespraͤche uͤber Gegenstaͤnde, die den ganzen Menschen angehen, oder doch mit einziger Ruͤcksicht darauf; mit nicht mehr Analyse als in einem freundschaftlichen Briefe erlaubt ist; im Tone einer zusammenhaͤngenden Conversation, etwa wie dieses Schreiben an Dich. Jch moͤchte es nicht so wohl Philosophie als Moral nennen, obgleich es von dem verschieden ist, was gewoͤhnlich so heißt. Um in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/45
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/45>, abgerufen am 03.12.2024.