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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Seite des schmalen Vorgrundes stehen ein paar himmelhohe Bäume, die das Ganze für den ersten Blick so schön einschließen. Hinter dem Vorgebirge erhebt sich wie eine Wolke der Gipfel des Vesuv, dessen unterirdische Flammen vor der Morgensonne erblassen. Sie leuchtet mit sanftem Schein um die Felsen her. Keine Lichtgesäumten Gewölbe; es ist reiner Glanz, nur vom Hauch der Frühe gemildert, und der Körper selbst eben sichtbar, der ihn ausströmt. Unbeschreiblich harmonisch vermischt er sich mit dem grünlichen Meer, worauf auch der Nebel noch ruht, kaum gefärbt von dem Strahle, welchen die Sonnenscheibe herübersendet. Die ganze Luft ist mitgemahlt: kein Gegenstand steht nackt da, ihr durchsichtiger Schleyer ist über ihn geworfen. Man sieht in die Vertiefung zwischen die Felsen, oder auf die weite Meeresfläche hinaus: der Gesichtspunkt ist überall gleich vortheilhaft. Es ist aber in der Natur dieser Landschaft, daß man in sie hinausblickt, ohne in und auf ihr zu wohnen. Sie bedürfte daher keine Figuren zu ihrer Belebung. Eine solche Ferne scheint doch niemals einsam, das Leben des Unbeseelten webet über ihr, das wiederum Seele aus sich selber schafft. Da Claude keine Figuren mahlte, so hat Allegrini den Vorgrund mit einer Gruppe verziert, wo Acis und Galatea liebkosend zusammen ruhn; auf dem Vorgebirge liegt der eifersüchtige Polyphem. Das Zelt von violetter Farbe, welches die Liebenden schirmt, und ihre hellen Gewänder ziehn doch das Auge zu sehr an sich, und stören anfangs die süße Ruhe, die über die Landschaft ausgegossen ist. Denn

Seite des schmalen Vorgrundes stehen ein paar himmelhohe Baͤume, die das Ganze fuͤr den ersten Blick so schoͤn einschließen. Hinter dem Vorgebirge erhebt sich wie eine Wolke der Gipfel des Vesuv, dessen unterirdische Flammen vor der Morgensonne erblassen. Sie leuchtet mit sanftem Schein um die Felsen her. Keine Lichtgesaͤumten Gewoͤlbe; es ist reiner Glanz, nur vom Hauch der Fruͤhe gemildert, und der Koͤrper selbst eben sichtbar, der ihn ausstroͤmt. Unbeschreiblich harmonisch vermischt er sich mit dem gruͤnlichen Meer, worauf auch der Nebel noch ruht, kaum gefaͤrbt von dem Strahle, welchen die Sonnenscheibe heruͤbersendet. Die ganze Luft ist mitgemahlt: kein Gegenstand steht nackt da, ihr durchsichtiger Schleyer ist uͤber ihn geworfen. Man sieht in die Vertiefung zwischen die Felsen, oder auf die weite Meeresflaͤche hinaus: der Gesichtspunkt ist uͤberall gleich vortheilhaft. Es ist aber in der Natur dieser Landschaft, daß man in sie hinausblickt, ohne in und auf ihr zu wohnen. Sie beduͤrfte daher keine Figuren zu ihrer Belebung. Eine solche Ferne scheint doch niemals einsam, das Leben des Unbeseelten webet uͤber ihr, das wiederum Seele aus sich selber schafft. Da Claude keine Figuren mahlte, so hat Allegrini den Vorgrund mit einer Gruppe verziert, wo Acis und Galatea liebkosend zusammen ruhn; auf dem Vorgebirge liegt der eifersuͤchtige Polyphem. Das Zelt von violetter Farbe, welches die Liebenden schirmt, und ihre hellen Gewaͤnder ziehn doch das Auge zu sehr an sich, und stoͤren anfangs die suͤße Ruhe, die uͤber die Landschaft ausgegossen ist. Denn

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[59/0067] Seite des schmalen Vorgrundes stehen ein paar himmelhohe Baͤume, die das Ganze fuͤr den ersten Blick so schoͤn einschließen. Hinter dem Vorgebirge erhebt sich wie eine Wolke der Gipfel des Vesuv, dessen unterirdische Flammen vor der Morgensonne erblassen. Sie leuchtet mit sanftem Schein um die Felsen her. Keine Lichtgesaͤumten Gewoͤlbe; es ist reiner Glanz, nur vom Hauch der Fruͤhe gemildert, und der Koͤrper selbst eben sichtbar, der ihn ausstroͤmt. Unbeschreiblich harmonisch vermischt er sich mit dem gruͤnlichen Meer, worauf auch der Nebel noch ruht, kaum gefaͤrbt von dem Strahle, welchen die Sonnenscheibe heruͤbersendet. Die ganze Luft ist mitgemahlt: kein Gegenstand steht nackt da, ihr durchsichtiger Schleyer ist uͤber ihn geworfen. Man sieht in die Vertiefung zwischen die Felsen, oder auf die weite Meeresflaͤche hinaus: der Gesichtspunkt ist uͤberall gleich vortheilhaft. Es ist aber in der Natur dieser Landschaft, daß man in sie hinausblickt, ohne in und auf ihr zu wohnen. Sie beduͤrfte daher keine Figuren zu ihrer Belebung. Eine solche Ferne scheint doch niemals einsam, das Leben des Unbeseelten webet uͤber ihr, das wiederum Seele aus sich selber schafft. Da Claude keine Figuren mahlte, so hat Allegrini den Vorgrund mit einer Gruppe verziert, wo Acis und Galatea liebkosend zusammen ruhn; auf dem Vorgebirge liegt der eifersuͤchtige Polyphem. Das Zelt von violetter Farbe, welches die Liebenden schirmt, und ihre hellen Gewaͤnder ziehn doch das Auge zu sehr an sich, und stoͤren anfangs die suͤße Ruhe, die uͤber die Landschaft ausgegossen ist. Denn

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/67>, abgerufen am 24.11.2024.