Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

gleicher Würde Feindlichen entwickeln, entzünden, nähren, mit einem Worte bilden. Jst das Höchste aber wirklich keiner absichtlichen Bildung fähig; so laßt uns nur gleich jeden Anspruch auf irgend eine freye Jdeenkunst aufgeben, die alsdann ein leerer Name seyn würde.

Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk der Natur. Jn ihrem Gewebe ist das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthümliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf.

Da finde ich nun eine große Aehnlichkeit mit jenem großen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Einfällen, sondern in der Construction des Ganzen sich zeigt, und den unser Freund uns schon so oft an den Werken des Cervantes und des Shakspeare entwickelt hat. Ja, diese künstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widersprüchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Jronie, der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisazion ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die älteste und ursprüngliche Form der menschlichen Fantasie. Weder dieser Witz noch eine Mythologie können bestehn ohne ein erstes Ursprüngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unauflöslich ist, was nach allen Unbildungen noch die alte Natur und Kraft durchschimmern läßt, wo der naive Tiefsinn den Schein des Verkehrten

gleicher Wuͤrde Feindlichen entwickeln, entzuͤnden, naͤhren, mit einem Worte bilden. Jst das Hoͤchste aber wirklich keiner absichtlichen Bildung faͤhig; so laßt uns nur gleich jeden Anspruch auf irgend eine freye Jdeenkunst aufgeben, die alsdann ein leerer Name seyn wuͤrde.

Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk der Natur. Jn ihrem Gewebe ist das Hoͤchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthuͤmliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf.

Da finde ich nun eine große Aehnlichkeit mit jenem großen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Einfaͤllen, sondern in der Construction des Ganzen sich zeigt, und den unser Freund uns schon so oft an den Werken des Cervantes und des Shakspeare entwickelt hat. Ja, diese kuͤnstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widerspruͤchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Jronie, der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisazion ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die aͤlteste und urspruͤngliche Form der menschlichen Fantasie. Weder dieser Witz noch eine Mythologie koͤnnen bestehn ohne ein erstes Urspruͤngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unaufloͤslich ist, was nach allen Unbildungen noch die alte Natur und Kraft durchschimmern laͤßt, wo der naive Tiefsinn den Schein des Verkehrten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="102"/>
gleicher Wu&#x0364;rde Feindlichen entwickeln, entzu&#x0364;nden, na&#x0364;hren, mit einem Worte bilden. Jst das Ho&#x0364;chste aber wirklich keiner absichtlichen Bildung fa&#x0364;hig; so laßt uns nur gleich jeden Anspruch auf irgend eine freye Jdeenkunst aufgeben, die alsdann ein leerer Name seyn wu&#x0364;rde.</p><lb/>
            <p>Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk der Natur. Jn ihrem Gewebe ist das Ho&#x0364;chste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthu&#x0364;mliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf.</p><lb/>
            <p>Da finde ich nun eine große Aehnlichkeit mit jenem großen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Einfa&#x0364;llen, sondern in der Construction des Ganzen sich zeigt, und den unser Freund uns schon so oft an den Werken des Cervantes und des Shakspeare entwickelt hat. Ja, diese ku&#x0364;nstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widerspru&#x0364;chen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Jronie, der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisazion ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die a&#x0364;lteste und urspru&#x0364;ngliche Form der menschlichen Fantasie. Weder dieser Witz noch eine Mythologie ko&#x0364;nnen bestehn ohne ein erstes Urspru&#x0364;ngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unauflo&#x0364;slich ist, was nach allen Unbildungen noch die alte Natur und Kraft durchschimmern la&#x0364;ßt, wo der naive Tiefsinn den Schein des Verkehrten
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0110] gleicher Wuͤrde Feindlichen entwickeln, entzuͤnden, naͤhren, mit einem Worte bilden. Jst das Hoͤchste aber wirklich keiner absichtlichen Bildung faͤhig; so laßt uns nur gleich jeden Anspruch auf irgend eine freye Jdeenkunst aufgeben, die alsdann ein leerer Name seyn wuͤrde. Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk der Natur. Jn ihrem Gewebe ist das Hoͤchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthuͤmliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf. Da finde ich nun eine große Aehnlichkeit mit jenem großen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Einfaͤllen, sondern in der Construction des Ganzen sich zeigt, und den unser Freund uns schon so oft an den Werken des Cervantes und des Shakspeare entwickelt hat. Ja, diese kuͤnstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widerspruͤchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Jronie, der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisazion ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die aͤlteste und urspruͤngliche Form der menschlichen Fantasie. Weder dieser Witz noch eine Mythologie koͤnnen bestehn ohne ein erstes Urspruͤngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unaufloͤslich ist, was nach allen Unbildungen noch die alte Natur und Kraft durchschimmern laͤßt, wo der naive Tiefsinn den Schein des Verkehrten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/110
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/110>, abgerufen am 11.12.2024.