Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Nachher vergaßen Sie Jhren Satz wieder oder gaben ihn auf und wollten behaupten: alle diese Eintheilungen führten zu nichts; es gebe nur Eine Poesie, und es komme nur darauf an, ob etwas schön sey; nach der Rubrik könne nur ein Pedant fragen. -- Sie wissen, was ich von den Classificationen, die so im Umlauf sind, halte. Aber doch sehe ich ein, daß es für jeden Virtuosen durchaus nothwendig ist, sich selbst auf einen durchaus bestimmten Zweck zu beschränken; und in der historischen Nachforschung komme ich auf mehre ursprüngliche Formen, die sich nicht mehr in einander auflösen laßen. So scheinen mir im Umkreise der romantischen Poesie selbst Novellen und Mährchen z. B., wenn ich so sagen darf, unendlich entgegengesetzt. Und ich wünsche nichts mehr, als daß ein Künstler jede dieser Arten verjüngen möge, indem er sie auf ihren ursprünglichen Charakter zurückführt. Wenn solche Beyspiele ans Licht träten, dann würde ich Muth bekommen zu einer Theorie des Romans, die im ursprünglichen Sinne des Wortes eine Theorie wäre: eine geistige Anschauung des Gegenstandes mit ruhigem, heitern ganzen Gemüth, wie es sich ziemt, das bedeutende Spiel göttlicher Bilder in festlicher Freude zu schauen. Eine solche Theorie des Romans würde selbst ein Roman seyn müssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergäbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da würden die alten Wesen in neuen Gestalten leben; da würde der heilige Schatten des Dante sich aus seiner Unterwelt erheben, Laura himmlisch Nachher vergaßen Sie Jhren Satz wieder oder gaben ihn auf und wollten behaupten: alle diese Eintheilungen fuͤhrten zu nichts; es gebe nur Eine Poesie, und es komme nur darauf an, ob etwas schoͤn sey; nach der Rubrik koͤnne nur ein Pedant fragen. — Sie wissen, was ich von den Classificationen, die so im Umlauf sind, halte. Aber doch sehe ich ein, daß es fuͤr jeden Virtuosen durchaus nothwendig ist, sich selbst auf einen durchaus bestimmten Zweck zu beschraͤnken; und in der historischen Nachforschung komme ich auf mehre urspruͤngliche Formen, die sich nicht mehr in einander aufloͤsen laßen. So scheinen mir im Umkreise der romantischen Poesie selbst Novellen und Maͤhrchen z. B., wenn ich so sagen darf, unendlich entgegengesetzt. Und ich wuͤnsche nichts mehr, als daß ein Kuͤnstler jede dieser Arten verjuͤngen moͤge, indem er sie auf ihren urspruͤnglichen Charakter zuruͤckfuͤhrt. Wenn solche Beyspiele ans Licht traͤten, dann wuͤrde ich Muth bekommen zu einer Theorie des Romans, die im urspruͤnglichen Sinne des Wortes eine Theorie waͤre: eine geistige Anschauung des Gegenstandes mit ruhigem, heitern ganzen Gemuͤth, wie es sich ziemt, das bedeutende Spiel goͤttlicher Bilder in festlicher Freude zu schauen. Eine solche Theorie des Romans wuͤrde selbst ein Roman seyn muͤssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergaͤbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da wuͤrden die alten Wesen in neuen Gestalten leben; da wuͤrde der heilige Schatten des Dante sich aus seiner Unterwelt erheben, Laura himmlisch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0133" n="125"/> <p>Nachher vergaßen Sie Jhren Satz wieder oder gaben ihn auf und wollten behaupten: alle diese Eintheilungen fuͤhrten zu nichts; es gebe nur Eine Poesie, und es komme nur darauf an, ob etwas schoͤn sey; nach der Rubrik koͤnne nur ein Pedant fragen. — Sie wissen, was ich von den Classificationen, die so im Umlauf sind, halte. Aber doch sehe ich ein, daß es fuͤr jeden Virtuosen durchaus nothwendig ist, sich selbst auf einen durchaus bestimmten Zweck zu beschraͤnken; und in der historischen Nachforschung komme ich auf mehre urspruͤngliche Formen, die sich nicht mehr in einander aufloͤsen laßen. So scheinen mir im Umkreise der romantischen Poesie selbst Novellen und Maͤhrchen z. B., wenn ich so sagen darf, unendlich entgegengesetzt. Und ich wuͤnsche nichts mehr, als daß ein Kuͤnstler jede dieser Arten verjuͤngen moͤge, indem er sie auf ihren urspruͤnglichen Charakter zuruͤckfuͤhrt.</p><lb/> <p>Wenn solche Beyspiele ans Licht traͤten, dann wuͤrde ich Muth bekommen zu einer <hi rendition="#g">Theorie des Romans</hi>, die im urspruͤnglichen Sinne des Wortes eine Theorie waͤre: eine geistige Anschauung des Gegenstandes mit ruhigem, heitern ganzen Gemuͤth, wie es sich ziemt, das bedeutende Spiel goͤttlicher Bilder in festlicher Freude zu schauen. Eine solche Theorie des Romans wuͤrde selbst ein Roman seyn muͤssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergaͤbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da wuͤrden die alten Wesen in neuen Gestalten leben; da wuͤrde der heilige Schatten des Dante sich aus seiner Unterwelt erheben, Laura himmlisch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0133]
Nachher vergaßen Sie Jhren Satz wieder oder gaben ihn auf und wollten behaupten: alle diese Eintheilungen fuͤhrten zu nichts; es gebe nur Eine Poesie, und es komme nur darauf an, ob etwas schoͤn sey; nach der Rubrik koͤnne nur ein Pedant fragen. — Sie wissen, was ich von den Classificationen, die so im Umlauf sind, halte. Aber doch sehe ich ein, daß es fuͤr jeden Virtuosen durchaus nothwendig ist, sich selbst auf einen durchaus bestimmten Zweck zu beschraͤnken; und in der historischen Nachforschung komme ich auf mehre urspruͤngliche Formen, die sich nicht mehr in einander aufloͤsen laßen. So scheinen mir im Umkreise der romantischen Poesie selbst Novellen und Maͤhrchen z. B., wenn ich so sagen darf, unendlich entgegengesetzt. Und ich wuͤnsche nichts mehr, als daß ein Kuͤnstler jede dieser Arten verjuͤngen moͤge, indem er sie auf ihren urspruͤnglichen Charakter zuruͤckfuͤhrt.
Wenn solche Beyspiele ans Licht traͤten, dann wuͤrde ich Muth bekommen zu einer Theorie des Romans, die im urspruͤnglichen Sinne des Wortes eine Theorie waͤre: eine geistige Anschauung des Gegenstandes mit ruhigem, heitern ganzen Gemuͤth, wie es sich ziemt, das bedeutende Spiel goͤttlicher Bilder in festlicher Freude zu schauen. Eine solche Theorie des Romans wuͤrde selbst ein Roman seyn muͤssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergaͤbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da wuͤrden die alten Wesen in neuen Gestalten leben; da wuͤrde der heilige Schatten des Dante sich aus seiner Unterwelt erheben, Laura himmlisch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |