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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Werk, wenn er es nicht durch die Beziehung der ganzen Composition auf eine höhere Einheit, als jene Einheit des Buchstabens, über die er sich oft wegsetzt und wegsetzen darf, durch das Band der Jdeen, durch einen geistigen Centralpunkt wird.

Dieß abgerechnet, findet sonst so wenig ein Gegensatz zwischen dem Drama und dem Roman Statt, daß vielmehr das Drama so gründlich und historisch wie es Shakspeare z. B. nimmt und behandelt, die wahre Grnndlage des Romans ist. Sie behaupteten zwar, der Roman habe am meisten Verwandschaft mit der erzählenden ja mit der epischen Gattung. Dagegen erinnre ich nun erstlich, daß ein Lied eben so gut romantisch seyn kann als eine Geschichte. Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und andern Formen. Anders hat Cervantes nie gedichtet, und selbst der sonst so prosaische Boccaccio schmückt seine Sammlung mit einer Einfassung von Liedern. Giebt es einen Roman, in dem dieß nicht Statt findet und nicht Statt finden kann, so liegt es nur in der Jndividualität des Werks, nicht im Charakter der Gattung; sondern es ist schon eine Ausnahme von diesem. Doch das ist nur vorläufig. Mein eigentlicher Einwurf ist folgender. Es ist dem epischen Styl nichts entgegengesetzter als wem die Einflüsse der eignen Stimmung im geringsten sichtbar werden; geschweige denn, daß er sich seinem Humor so überlassen, so mit ihm spielen dürfte, wie es in den vortrefflichsten Romanen geschieht.

Werk, wenn er es nicht durch die Beziehung der ganzen Composition auf eine hoͤhere Einheit, als jene Einheit des Buchstabens, uͤber die er sich oft wegsetzt und wegsetzen darf, durch das Band der Jdeen, durch einen geistigen Centralpunkt wird.

Dieß abgerechnet, findet sonst so wenig ein Gegensatz zwischen dem Drama und dem Roman Statt, daß vielmehr das Drama so gruͤndlich und historisch wie es Shakspeare z. B. nimmt und behandelt, die wahre Grnndlage des Romans ist. Sie behaupteten zwar, der Roman habe am meisten Verwandschaft mit der erzaͤhlenden ja mit der epischen Gattung. Dagegen erinnre ich nun erstlich, daß ein Lied eben so gut romantisch seyn kann als eine Geschichte. Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzaͤhlung, Gesang und andern Formen. Anders hat Cervantes nie gedichtet, und selbst der sonst so prosaische Boccaccio schmuͤckt seine Sammlung mit einer Einfassung von Liedern. Giebt es einen Roman, in dem dieß nicht Statt findet und nicht Statt finden kann, so liegt es nur in der Jndividualitaͤt des Werks, nicht im Charakter der Gattung; sondern es ist schon eine Ausnahme von diesem. Doch das ist nur vorlaͤufig. Mein eigentlicher Einwurf ist folgender. Es ist dem epischen Styl nichts entgegengesetzter als wem die Einfluͤsse der eignen Stimmung im geringsten sichtbar werden; geschweige denn, daß er sich seinem Humor so uͤberlassen, so mit ihm spielen duͤrfte, wie es in den vortrefflichsten Romanen geschieht.

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[124/0132] Werk, wenn er es nicht durch die Beziehung der ganzen Composition auf eine hoͤhere Einheit, als jene Einheit des Buchstabens, uͤber die er sich oft wegsetzt und wegsetzen darf, durch das Band der Jdeen, durch einen geistigen Centralpunkt wird. Dieß abgerechnet, findet sonst so wenig ein Gegensatz zwischen dem Drama und dem Roman Statt, daß vielmehr das Drama so gruͤndlich und historisch wie es Shakspeare z. B. nimmt und behandelt, die wahre Grnndlage des Romans ist. Sie behaupteten zwar, der Roman habe am meisten Verwandschaft mit der erzaͤhlenden ja mit der epischen Gattung. Dagegen erinnre ich nun erstlich, daß ein Lied eben so gut romantisch seyn kann als eine Geschichte. Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzaͤhlung, Gesang und andern Formen. Anders hat Cervantes nie gedichtet, und selbst der sonst so prosaische Boccaccio schmuͤckt seine Sammlung mit einer Einfassung von Liedern. Giebt es einen Roman, in dem dieß nicht Statt findet und nicht Statt finden kann, so liegt es nur in der Jndividualitaͤt des Werks, nicht im Charakter der Gattung; sondern es ist schon eine Ausnahme von diesem. Doch das ist nur vorlaͤufig. Mein eigentlicher Einwurf ist folgender. Es ist dem epischen Styl nichts entgegengesetzter als wem die Einfluͤsse der eignen Stimmung im geringsten sichtbar werden; geschweige denn, daß er sich seinem Humor so uͤberlassen, so mit ihm spielen duͤrfte, wie es in den vortrefflichsten Romanen geschieht.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/132>, abgerufen am 15.05.2024.