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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Ton eben nicht für etwas großes, wie er selbst -- und bescheiden genug auch mit Anwendung auf seine Werke -- gesteht. Doch ist es mit den Systemen etwas besser gegangen als mit dem Aristoteles, wahrscheinlich weil die meisten nicht so viel von Styl und Ton haben, denn dies alles mußte in seinen Darstellungen eben so nothwendig verloren gehn, wie der Charakter eines Jndividuums in seiner Charakteristik. Aber hier vorzüglich leuchtet der redliche Wille hervor. Welche unsägliche Mühe hat er es sich nicht kosten laßen, besonders das Kantische System nach allen Seiten, die ihm als Seiten erscheinen, herumzudrehen, um überall etwas davon aufzufassen. Es ist nur eine gerechte Belohnung für diesen Eifer, daß er vorzüglich im Entdecken mancher Lücke Viele übertrifft, und daß der Verdruß über das Mißverstehen des Ganzen ihm nicht die Freude über das Verstehen manches Einzelnen ganz vergällt hat.

Manches wäre noch zu sagen über seine Begriffe vom Witz, vom Anziehenden und mehrere Theorien, die mit seiner schriftstellerischen Praxis genau zusammenhängen; aber was man auch sagen möchte, es würde immer nur beweisen, daß man unmöglich etwas nachtheiliges von Garve sagen könnte, was er nicht auf irgend eine Art selbst gesagt hätte. Keinesweges aber immer unbewußt und unwillkührlich, sondern auch sehr gerade heraus. Und so bleibe es ungesagt, weil es ohnedies nicht mehr nöthig scheint, gegen eine übertriebene Meinung von Garve's Talenten oder Verdiensten als gegen ein herrschendes Uebel sich aufzulehnen; wohl aber wäre es nicht uneben,

Ton eben nicht fuͤr etwas großes, wie er selbst — und bescheiden genug auch mit Anwendung auf seine Werke — gesteht. Doch ist es mit den Systemen etwas besser gegangen als mit dem Aristoteles, wahrscheinlich weil die meisten nicht so viel von Styl und Ton haben, denn dies alles mußte in seinen Darstellungen eben so nothwendig verloren gehn, wie der Charakter eines Jndividuums in seiner Charakteristik. Aber hier vorzuͤglich leuchtet der redliche Wille hervor. Welche unsaͤgliche Muͤhe hat er es sich nicht kosten laßen, besonders das Kantische System nach allen Seiten, die ihm als Seiten erscheinen, herumzudrehen, um uͤberall etwas davon aufzufassen. Es ist nur eine gerechte Belohnung fuͤr diesen Eifer, daß er vorzuͤglich im Entdecken mancher Luͤcke Viele uͤbertrifft, und daß der Verdruß uͤber das Mißverstehen des Ganzen ihm nicht die Freude uͤber das Verstehen manches Einzelnen ganz vergaͤllt hat.

Manches waͤre noch zu sagen uͤber seine Begriffe vom Witz, vom Anziehenden und mehrere Theorien, die mit seiner schriftstellerischen Praxis genau zusammenhaͤngen; aber was man auch sagen moͤchte, es wuͤrde immer nur beweisen, daß man unmoͤglich etwas nachtheiliges von Garve sagen koͤnnte, was er nicht auf irgend eine Art selbst gesagt haͤtte. Keinesweges aber immer unbewußt und unwillkuͤhrlich, sondern auch sehr gerade heraus. Und so bleibe es ungesagt, weil es ohnedies nicht mehr noͤthig scheint, gegen eine uͤbertriebene Meinung von Garve's Talenten oder Verdiensten als gegen ein herrschendes Uebel sich aufzulehnen; wohl aber waͤre es nicht uneben,

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[138/0146] Ton eben nicht fuͤr etwas großes, wie er selbst — und bescheiden genug auch mit Anwendung auf seine Werke — gesteht. Doch ist es mit den Systemen etwas besser gegangen als mit dem Aristoteles, wahrscheinlich weil die meisten nicht so viel von Styl und Ton haben, denn dies alles mußte in seinen Darstellungen eben so nothwendig verloren gehn, wie der Charakter eines Jndividuums in seiner Charakteristik. Aber hier vorzuͤglich leuchtet der redliche Wille hervor. Welche unsaͤgliche Muͤhe hat er es sich nicht kosten laßen, besonders das Kantische System nach allen Seiten, die ihm als Seiten erscheinen, herumzudrehen, um uͤberall etwas davon aufzufassen. Es ist nur eine gerechte Belohnung fuͤr diesen Eifer, daß er vorzuͤglich im Entdecken mancher Luͤcke Viele uͤbertrifft, und daß der Verdruß uͤber das Mißverstehen des Ganzen ihm nicht die Freude uͤber das Verstehen manches Einzelnen ganz vergaͤllt hat. Manches waͤre noch zu sagen uͤber seine Begriffe vom Witz, vom Anziehenden und mehrere Theorien, die mit seiner schriftstellerischen Praxis genau zusammenhaͤngen; aber was man auch sagen moͤchte, es wuͤrde immer nur beweisen, daß man unmoͤglich etwas nachtheiliges von Garve sagen koͤnnte, was er nicht auf irgend eine Art selbst gesagt haͤtte. Keinesweges aber immer unbewußt und unwillkuͤhrlich, sondern auch sehr gerade heraus. Und so bleibe es ungesagt, weil es ohnedies nicht mehr noͤthig scheint, gegen eine uͤbertriebene Meinung von Garve's Talenten oder Verdiensten als gegen ein herrschendes Uebel sich aufzulehnen; wohl aber waͤre es nicht uneben,

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/146>, abgerufen am 15.05.2024.