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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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menschliche Geist hinwagen dürfte, und darum stehn sie unter jenen) die Menschen also die auf dem untersten Grad der Bildung stehen, sind durch etwas einmal angerührt worden, wodurch sie auf die Vermuthung gerathen sind, daß der Mensch innerlich schöne Gefühle haben könne, und alles was sie nun empfinden, stellen sie als das Höchste auf, was das menschliche Herz erreichen kann. -- Diese sprechen immer von dem Herzen, dies wollen sie auch einzig bilden, -- sie geben auf den Geist nicht viel. Ueber ihnen stehen die, welche es eingesehen haben, daß es mit den Empfindungen so gar viel nicht ist. Sie sind die, welche sich ihrer Thränen schämen, weil sie sie doch wieder abtrocknen müssen, sie können sich nicht zufrieden geben, daß sie in sich nicht einen Gott verehren können, -- und betteln sich einige Sentenzen zusammen, die sie Vernunft nennen, und die so lange glänzen und scheinen bis eine Gelegenheit kömmt, wo sie anwendbar wären; in diesem Fall muß man sich dann mit der menschlichen Schwachheit trösten.

Der dritte Grad der Bildung scheint mir der zu seyn, wo sich ein Mensch allen menschlichen Empfindungen überläßt; wo er in einem Tage weint und sich erfreut; es genießt wenn alle Leidenschaften seine Seele in heftigen Stürmen bewegen und in ruhigen Augenblicken sich nicht dieser Ruhe überhebt, sich in keinem Moment klüger sondern nur anders als in den vorigen erkennt, dessen Herz sich den edelsten Empfindungen öfnet, und der nicht sein Schicksal verwünscht, wenn in demselben Augenblick die Nothwendigkeit auf

menschliche Geist hinwagen duͤrfte, und darum stehn sie unter jenen) die Menschen also die auf dem untersten Grad der Bildung stehen, sind durch etwas einmal angeruͤhrt worden, wodurch sie auf die Vermuthung gerathen sind, daß der Mensch innerlich schoͤne Gefuͤhle haben koͤnne, und alles was sie nun empfinden, stellen sie als das Hoͤchste auf, was das menschliche Herz erreichen kann. — Diese sprechen immer von dem Herzen, dies wollen sie auch einzig bilden, — sie geben auf den Geist nicht viel. Ueber ihnen stehen die, welche es eingesehen haben, daß es mit den Empfindungen so gar viel nicht ist. Sie sind die, welche sich ihrer Thraͤnen schaͤmen, weil sie sie doch wieder abtrocknen muͤssen, sie koͤnnen sich nicht zufrieden geben, daß sie in sich nicht einen Gott verehren koͤnnen, — und betteln sich einige Sentenzen zusammen, die sie Vernunft nennen, und die so lange glaͤnzen und scheinen bis eine Gelegenheit koͤmmt, wo sie anwendbar waͤren; in diesem Fall muß man sich dann mit der menschlichen Schwachheit troͤsten.

Der dritte Grad der Bildung scheint mir der zu seyn, wo sich ein Mensch allen menschlichen Empfindungen uͤberlaͤßt; wo er in einem Tage weint und sich erfreut; es genießt wenn alle Leidenschaften seine Seele in heftigen Stuͤrmen bewegen und in ruhigen Augenblicken sich nicht dieser Ruhe uͤberhebt, sich in keinem Moment kluͤger sondern nur anders als in den vorigen erkennt, dessen Herz sich den edelsten Empfindungen oͤfnet, und der nicht sein Schicksal verwuͤnscht, wenn in demselben Augenblick die Nothwendigkeit auf

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[209/0221] menschliche Geist hinwagen duͤrfte, und darum stehn sie unter jenen) die Menschen also die auf dem untersten Grad der Bildung stehen, sind durch etwas einmal angeruͤhrt worden, wodurch sie auf die Vermuthung gerathen sind, daß der Mensch innerlich schoͤne Gefuͤhle haben koͤnne, und alles was sie nun empfinden, stellen sie als das Hoͤchste auf, was das menschliche Herz erreichen kann. — Diese sprechen immer von dem Herzen, dies wollen sie auch einzig bilden, — sie geben auf den Geist nicht viel. Ueber ihnen stehen die, welche es eingesehen haben, daß es mit den Empfindungen so gar viel nicht ist. Sie sind die, welche sich ihrer Thraͤnen schaͤmen, weil sie sie doch wieder abtrocknen muͤssen, sie koͤnnen sich nicht zufrieden geben, daß sie in sich nicht einen Gott verehren koͤnnen, — und betteln sich einige Sentenzen zusammen, die sie Vernunft nennen, und die so lange glaͤnzen und scheinen bis eine Gelegenheit koͤmmt, wo sie anwendbar waͤren; in diesem Fall muß man sich dann mit der menschlichen Schwachheit troͤsten. Der dritte Grad der Bildung scheint mir der zu seyn, wo sich ein Mensch allen menschlichen Empfindungen uͤberlaͤßt; wo er in einem Tage weint und sich erfreut; es genießt wenn alle Leidenschaften seine Seele in heftigen Stuͤrmen bewegen und in ruhigen Augenblicken sich nicht dieser Ruhe uͤberhebt, sich in keinem Moment kluͤger sondern nur anders als in den vorigen erkennt, dessen Herz sich den edelsten Empfindungen oͤfnet, und der nicht sein Schicksal verwuͤnscht, wenn in demselben Augenblick die Nothwendigkeit auf

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/221>, abgerufen am 15.05.2024.