Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist. Es giebt eine schöne Offenheit, die sich öffnet wie die Blume, nur um zu duften. Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehören, da der größte Theil der Poesie sich auf die Lebenskunst bezieht und auf die Kenntniß der Menschen! Jst sie also unabhängig von beyden und für sich bestehend? Oder ist es etwa mit ihr wie mit der Religion, daß sie gar nicht isolirt erscheinen soll? Du wolltest die Philosophie zerstören, und die Poesie, um Raum zu gewinnen für die Religion und Moral, die du verkanntest: aber du hast nichts zerstören können als dich selber. Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach nicht natürlich, sondern göttlich und menschlich; denn es muß aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist. Die einzige bedeutende Opposizion gegen die überall aufkeimende Religion der Menschen und der Künstler, ist von den wenigen eigentlichen Christen zu erwarten, die es noch giebt. Aber auch sie, wenn die Morgensonne wirklich emporsteigt, werden schon niederfallen und anbeten. Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist. Es giebt eine schoͤne Offenheit, die sich oͤffnet wie die Blume, nur um zu duften. Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehoͤren, da der groͤßte Theil der Poesie sich auf die Lebenskunst bezieht und auf die Kenntniß der Menschen! Jst sie also unabhaͤngig von beyden und fuͤr sich bestehend? Oder ist es etwa mit ihr wie mit der Religion, daß sie gar nicht isolirt erscheinen soll? Du wolltest die Philosophie zerstoͤren, und die Poesie, um Raum zu gewinnen fuͤr die Religion und Moral, die du verkanntest: aber du hast nichts zerstoͤren koͤnnen als dich selber. Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach nicht natuͤrlich, sondern goͤttlich und menschlich; denn es muß aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist. Die einzige bedeutende Opposizion gegen die uͤberall aufkeimende Religion der Menschen und der Kuͤnstler, ist von den wenigen eigentlichen Christen zu erwarten, die es noch giebt. Aber auch sie, wenn die Morgensonne wirklich emporsteigt, werden schon niederfallen und anbeten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0027" n="19"/> <p>Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es giebt eine schoͤne Offenheit, die sich oͤffnet wie die Blume, nur um zu duften.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehoͤren, da der groͤßte Theil der Poesie sich auf die Lebenskunst bezieht und auf die Kenntniß der Menschen! Jst sie also unabhaͤngig von beyden und fuͤr sich bestehend? Oder ist es etwa mit ihr wie mit der Religion, daß sie gar nicht isolirt erscheinen soll?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Du wolltest die Philosophie zerstoͤren, und die Poesie, um Raum zu gewinnen fuͤr die Religion und Moral, die du verkanntest: aber du hast nichts zerstoͤren koͤnnen als dich selber.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach nicht natuͤrlich, sondern goͤttlich und menschlich; denn es muß aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die einzige bedeutende Opposizion gegen die uͤberall aufkeimende Religion der Menschen und der Kuͤnstler, ist von den wenigen eigentlichen Christen zu erwarten, die es noch giebt. Aber auch sie, wenn die Morgensonne wirklich emporsteigt, werden schon niederfallen und anbeten.</p><lb/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0027]
Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist.
Es giebt eine schoͤne Offenheit, die sich oͤffnet wie die Blume, nur um zu duften.
Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehoͤren, da der groͤßte Theil der Poesie sich auf die Lebenskunst bezieht und auf die Kenntniß der Menschen! Jst sie also unabhaͤngig von beyden und fuͤr sich bestehend? Oder ist es etwa mit ihr wie mit der Religion, daß sie gar nicht isolirt erscheinen soll?
Du wolltest die Philosophie zerstoͤren, und die Poesie, um Raum zu gewinnen fuͤr die Religion und Moral, die du verkanntest: aber du hast nichts zerstoͤren koͤnnen als dich selber.
Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach nicht natuͤrlich, sondern goͤttlich und menschlich; denn es muß aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist.
Die einzige bedeutende Opposizion gegen die uͤberall aufkeimende Religion der Menschen und der Kuͤnstler, ist von den wenigen eigentlichen Christen zu erwarten, die es noch giebt. Aber auch sie, wenn die Morgensonne wirklich emporsteigt, werden schon niederfallen und anbeten.
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