Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

den Menschen unermeßlich überlegen sind. Von gutgelaunten und liberalen Göttern steht dieß auch billig zu hoffen: denn da der Witz eine göttliche Gabe ist, so bietet man ihnen nur wie in andern Fällen einen Theil ihrer eignen Wohlthaten zum Opfer, wenn man sich über sie lustig macht. Wenn der Satz: der Mensch bilde seine Götter nach sich, näher auf einzelne Nationen bezogen wird, so möchte Spaß verstehen eben nicht die Stärke Deutscher Nationalgötter seyn; mehr der Französischen und noch mehr der Jtaliänischen. Was haben sich nicht so viele italiänische Dichter vom Boccaz an, ungeachtet ihres Katholicismus erlaubt! Ueberhaupt war jene düstre Aengstlichkeit, die Gottheit ja nicht durch irgend ein scherzendes Wort zu beleidigen, die für ihre Größe vielmehr beleidigend als ehrend ist, im ganzen Mittelalter nicht hergebracht. Man erinnre sich nur an die possenhaften Aufzüge, die Esels- und Narrenfeste, die lustige Darstellungsart der Mysterien; noch bey unserm Hans Sachs kann man fast nicht zweifeln, daß er sich bey aller redlichen Andacht der leisen Parodie bewußt war, wenn er z. B. Gott den Vater die Kinder der ersten Eltern katechisiren läßt. Die entgegengesetzte illiberale Gesinnung ist erst in neuern Zeiten dem Christenthum angekünstelt worden, als die Spaltungen in der Kirche und die Angriffe der sogenannten Freygeister zum Argwohn und zur wachsamen Selbstvertheidigung nöthigten. Jndessen hat sie immer in umgekehrtem Verhältnisse mit gläubiger Einfalt und kindlicher Mystik gestanden; je mehr

den Menschen unermeßlich uͤberlegen sind. Von gutgelaunten und liberalen Goͤttern steht dieß auch billig zu hoffen: denn da der Witz eine goͤttliche Gabe ist, so bietet man ihnen nur wie in andern Faͤllen einen Theil ihrer eignen Wohlthaten zum Opfer, wenn man sich uͤber sie lustig macht. Wenn der Satz: der Mensch bilde seine Goͤtter nach sich, naͤher auf einzelne Nationen bezogen wird, so moͤchte Spaß verstehen eben nicht die Staͤrke Deutscher Nationalgoͤtter seyn; mehr der Franzoͤsischen und noch mehr der Jtaliaͤnischen. Was haben sich nicht so viele italiaͤnische Dichter vom Boccaz an, ungeachtet ihres Katholicismus erlaubt! Ueberhaupt war jene duͤstre Aengstlichkeit, die Gottheit ja nicht durch irgend ein scherzendes Wort zu beleidigen, die fuͤr ihre Groͤße vielmehr beleidigend als ehrend ist, im ganzen Mittelalter nicht hergebracht. Man erinnre sich nur an die possenhaften Aufzuͤge, die Esels- und Narrenfeste, die lustige Darstellungsart der Mysterien; noch bey unserm Hans Sachs kann man fast nicht zweifeln, daß er sich bey aller redlichen Andacht der leisen Parodie bewußt war, wenn er z. B. Gott den Vater die Kinder der ersten Eltern katechisiren laͤßt. Die entgegengesetzte illiberale Gesinnung ist erst in neuern Zeiten dem Christenthum angekuͤnstelt worden, als die Spaltungen in der Kirche und die Angriffe der sogenannten Freygeister zum Argwohn und zur wachsamen Selbstvertheidigung noͤthigten. Jndessen hat sie immer in umgekehrtem Verhaͤltnisse mit glaͤubiger Einfalt und kindlicher Mystik gestanden; je mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0272" n="260"/>
den Menschen unermeßlich u&#x0364;berlegen sind. Von gutgelaunten und liberalen Go&#x0364;ttern steht dieß auch billig zu hoffen: denn da der Witz eine go&#x0364;ttliche Gabe ist, so bietet man ihnen nur wie in andern Fa&#x0364;llen einen Theil ihrer eignen Wohlthaten zum Opfer, wenn man sich u&#x0364;ber sie lustig macht. Wenn der Satz: der Mensch bilde seine Go&#x0364;tter nach sich, na&#x0364;her auf einzelne Nationen bezogen wird, so mo&#x0364;chte Spaß verstehen eben nicht die Sta&#x0364;rke Deutscher Nationalgo&#x0364;tter seyn; mehr der Franzo&#x0364;sischen und noch mehr der Jtalia&#x0364;nischen. Was haben sich nicht so viele italia&#x0364;nische Dichter vom Boccaz an, ungeachtet ihres Katholicismus erlaubt! Ueberhaupt war jene du&#x0364;stre Aengstlichkeit, die Gottheit ja nicht durch irgend ein scherzendes Wort zu beleidigen, die fu&#x0364;r ihre Gro&#x0364;ße vielmehr beleidigend als ehrend ist, im ganzen Mittelalter nicht hergebracht. Man erinnre sich nur an die possenhaften Aufzu&#x0364;ge, die Esels- und Narrenfeste, die lustige Darstellungsart der Mysterien; noch bey unserm Hans Sachs kann man fast nicht zweifeln, daß er sich bey aller redlichen Andacht der leisen Parodie bewußt war, wenn er z. B. Gott den Vater die Kinder der ersten Eltern katechisiren la&#x0364;ßt. Die entgegengesetzte illiberale Gesinnung ist erst in neuern Zeiten dem Christenthum angeku&#x0364;nstelt worden, als die Spaltungen in der Kirche und die Angriffe der sogenannten Freygeister zum Argwohn und zur wachsamen Selbstvertheidigung no&#x0364;thigten. Jndessen hat sie immer in umgekehrtem Verha&#x0364;ltnisse mit gla&#x0364;ubiger Einfalt und kindlicher Mystik gestanden; je mehr
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0272] den Menschen unermeßlich uͤberlegen sind. Von gutgelaunten und liberalen Goͤttern steht dieß auch billig zu hoffen: denn da der Witz eine goͤttliche Gabe ist, so bietet man ihnen nur wie in andern Faͤllen einen Theil ihrer eignen Wohlthaten zum Opfer, wenn man sich uͤber sie lustig macht. Wenn der Satz: der Mensch bilde seine Goͤtter nach sich, naͤher auf einzelne Nationen bezogen wird, so moͤchte Spaß verstehen eben nicht die Staͤrke Deutscher Nationalgoͤtter seyn; mehr der Franzoͤsischen und noch mehr der Jtaliaͤnischen. Was haben sich nicht so viele italiaͤnische Dichter vom Boccaz an, ungeachtet ihres Katholicismus erlaubt! Ueberhaupt war jene duͤstre Aengstlichkeit, die Gottheit ja nicht durch irgend ein scherzendes Wort zu beleidigen, die fuͤr ihre Groͤße vielmehr beleidigend als ehrend ist, im ganzen Mittelalter nicht hergebracht. Man erinnre sich nur an die possenhaften Aufzuͤge, die Esels- und Narrenfeste, die lustige Darstellungsart der Mysterien; noch bey unserm Hans Sachs kann man fast nicht zweifeln, daß er sich bey aller redlichen Andacht der leisen Parodie bewußt war, wenn er z. B. Gott den Vater die Kinder der ersten Eltern katechisiren laͤßt. Die entgegengesetzte illiberale Gesinnung ist erst in neuern Zeiten dem Christenthum angekuͤnstelt worden, als die Spaltungen in der Kirche und die Angriffe der sogenannten Freygeister zum Argwohn und zur wachsamen Selbstvertheidigung noͤthigten. Jndessen hat sie immer in umgekehrtem Verhaͤltnisse mit glaͤubiger Einfalt und kindlicher Mystik gestanden; je mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/272
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/272>, abgerufen am 21.11.2024.