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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Empfindungen an eine Sache geknüpft sind, wo die Natur den sich freydünkenden Menschen als organisches Werkzeug zur Fortpflanzung der Gattung braucht: er hat sich daher mit der ehrwürdigen Anstalt, wodurch er in die Welt kommt, von je und je selbst zum besten gehabt. Was bey einigen Völkern Gegenstand religiöser Verehrung war, wird bey andern zu Flüchen gemisbraucht; und dieß hängt in der That zusammen: mit der Antwort, die ein Pabst gegeben haben soll, als man ihm einen unanständigen Fluch verwies, (e pero il padre di tutti li Santi!) können sich die Anbeter der Fortpflanzungssymbole ebenfalls rechtfertigen. Dem zufolge sind die witzigen Unanständigkeiten des Aristophanes in künstlerischer Hinsicht gar nicht zu tadeln; man sieht auch, daß er sie, je nachdem es der Jnhalt fodert, mehr oder weniger anbringt, und manchmal ganz wegläßt. Wo Götter komödirt werden sollen, kann es ohne dergleichen nicht abgehn: menschlich abgebildet, werden sie bestimmter oder verworrner unter einem Geschlechte gedacht, sie würden sonst Misgeburten oder Ungeheuer seyn; zur Karikatur gehören also auch die Possenstreiche des sich darauf beziehenden Triebes. Bey dem Kriege, den das vorliegende Gedicht schildert, ist die Leichtfertigkeit der alten Götter, und der große Werth, der auf die Tugend der Keuschheit von den Anhängern der neuen Religion gelegt ward, gerade der sinnliche Ausdruck für die Pole des ganzen Streites: die menschlich entstandne Religion geht hier wie überall auf Vergötterung der Natur aus, die geoffenbarte

Empfindungen an eine Sache geknuͤpft sind, wo die Natur den sich freyduͤnkenden Menschen als organisches Werkzeug zur Fortpflanzung der Gattung braucht: er hat sich daher mit der ehrwuͤrdigen Anstalt, wodurch er in die Welt kommt, von je und je selbst zum besten gehabt. Was bey einigen Voͤlkern Gegenstand religioͤser Verehrung war, wird bey andern zu Fluͤchen gemisbraucht; und dieß haͤngt in der That zusammen: mit der Antwort, die ein Pabst gegeben haben soll, als man ihm einen unanstaͤndigen Fluch verwies, (è però il padre di tutti li Santi!) koͤnnen sich die Anbeter der Fortpflanzungssymbole ebenfalls rechtfertigen. Dem zufolge sind die witzigen Unanstaͤndigkeiten des Aristophanes in kuͤnstlerischer Hinsicht gar nicht zu tadeln; man sieht auch, daß er sie, je nachdem es der Jnhalt fodert, mehr oder weniger anbringt, und manchmal ganz weglaͤßt. Wo Goͤtter komoͤdirt werden sollen, kann es ohne dergleichen nicht abgehn: menschlich abgebildet, werden sie bestimmter oder verworrner unter einem Geschlechte gedacht, sie wuͤrden sonst Misgeburten oder Ungeheuer seyn; zur Karikatur gehoͤren also auch die Possenstreiche des sich darauf beziehenden Triebes. Bey dem Kriege, den das vorliegende Gedicht schildert, ist die Leichtfertigkeit der alten Goͤtter, und der große Werth, der auf die Tugend der Keuschheit von den Anhaͤngern der neuen Religion gelegt ward, gerade der sinnliche Ausdruck fuͤr die Pole des ganzen Streites: die menschlich entstandne Religion geht hier wie uͤberall auf Vergoͤtterung der Natur aus, die geoffenbarte

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[265/0277] Empfindungen an eine Sache geknuͤpft sind, wo die Natur den sich freyduͤnkenden Menschen als organisches Werkzeug zur Fortpflanzung der Gattung braucht: er hat sich daher mit der ehrwuͤrdigen Anstalt, wodurch er in die Welt kommt, von je und je selbst zum besten gehabt. Was bey einigen Voͤlkern Gegenstand religioͤser Verehrung war, wird bey andern zu Fluͤchen gemisbraucht; und dieß haͤngt in der That zusammen: mit der Antwort, die ein Pabst gegeben haben soll, als man ihm einen unanstaͤndigen Fluch verwies, (è però il padre di tutti li Santi!) koͤnnen sich die Anbeter der Fortpflanzungssymbole ebenfalls rechtfertigen. Dem zufolge sind die witzigen Unanstaͤndigkeiten des Aristophanes in kuͤnstlerischer Hinsicht gar nicht zu tadeln; man sieht auch, daß er sie, je nachdem es der Jnhalt fodert, mehr oder weniger anbringt, und manchmal ganz weglaͤßt. Wo Goͤtter komoͤdirt werden sollen, kann es ohne dergleichen nicht abgehn: menschlich abgebildet, werden sie bestimmter oder verworrner unter einem Geschlechte gedacht, sie wuͤrden sonst Misgeburten oder Ungeheuer seyn; zur Karikatur gehoͤren also auch die Possenstreiche des sich darauf beziehenden Triebes. Bey dem Kriege, den das vorliegende Gedicht schildert, ist die Leichtfertigkeit der alten Goͤtter, und der große Werth, der auf die Tugend der Keuschheit von den Anhaͤngern der neuen Religion gelegt ward, gerade der sinnliche Ausdruck fuͤr die Pole des ganzen Streites: die menschlich entstandne Religion geht hier wie uͤberall auf Vergoͤtterung der Natur aus, die geoffenbarte

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/277>, abgerufen am 27.07.2024.