Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier zu Lande möchte ein todtgeschlagner Stier wohl nicht mehr stöhnen: doch vielleicht muß man in Spanien gewesen seyn, um diese Erfahrung gemacht zu haben. Jm Original:

Del ya vencido toro el implacable
Bramido,

ist der Ausdruck ganz des Bildes würdig, das durch die ihm zum Grunde liegende Anschauung der Stiergefechte so unmittelbar und so groß wird. Wo ein schönes Grausen durch das Gedicht zieht, ist es in nordisches Spuk- und Gespensterwesen verwandelt, z. B. "Leiht, fletschender Verdammten Heer, Eur Zähngeklapper mir; des Leichhuhns Klaggeschrey," dann "die Unke, die Drude." So sehr ich meinen Leser vorzubereiten gesucht habe, so fürchte ich doch, ihn durch das helle Posthorn der Fama und den Brummbaß des Cerberus noch zu sehr außer Fassung zu bringen. Ja es steht wirklich da: das helle Posthorn der Fama und der Brummbaß des Cerberus. Möge denn jenes die Bemühungen unsers Uebersetzers verkündigen, und dieser den neuen Orpheus bewillkommen!

Freylich kann man sich nicht wundern, daß die Cancion desesperada so ausgefallen ist, wenn man S. 474 erfährt, daß Herr S. sie für tragikomischen verliebten Unsinn nimmt. Ein Gedicht, das den Scharfsinn der gegen sich selbst wüthenden Verzweiflung mit dieser zerreißenden Wahrheit darstellt!

Hier zu Lande moͤchte ein todtgeschlagner Stier wohl nicht mehr stoͤhnen: doch vielleicht muß man in Spanien gewesen seyn, um diese Erfahrung gemacht zu haben. Jm Original:

Del ya vencido toro el implacable
Bramido,

ist der Ausdruck ganz des Bildes wuͤrdig, das durch die ihm zum Grunde liegende Anschauung der Stiergefechte so unmittelbar und so groß wird. Wo ein schoͤnes Grausen durch das Gedicht zieht, ist es in nordisches Spuk- und Gespensterwesen verwandelt, z. B. “Leiht, fletschender Verdammten Heer, Eur Zaͤhngeklapper mir; des Leichhuhns Klaggeschrey,” dann “die Unke, die Drude.” So sehr ich meinen Leser vorzubereiten gesucht habe, so fuͤrchte ich doch, ihn durch das helle Posthorn der Fama und den Brummbaß des Cerberus noch zu sehr außer Fassung zu bringen. Ja es steht wirklich da: das helle Posthorn der Fama und der Brummbaß des Cerberus. Moͤge denn jenes die Bemuͤhungen unsers Uebersetzers verkuͤndigen, und dieser den neuen Orpheus bewillkommen!

Freylich kann man sich nicht wundern, daß die Cancion desesperada so ausgefallen ist, wenn man S. 474 erfaͤhrt, daß Herr S. sie fuͤr tragikomischen verliebten Unsinn nimmt. Ein Gedicht, das den Scharfsinn der gegen sich selbst wuͤthenden Verzweiflung mit dieser zerreißenden Wahrheit darstellt!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0335" n="323"/>
            <p>Hier zu Lande mo&#x0364;chte ein todtgeschlagner Stier wohl nicht mehr sto&#x0364;hnen: doch vielleicht muß man in Spanien gewesen seyn, um diese Erfahrung gemacht zu haben. Jm Original:<lb/><lg type="poem"><l>Del ya vencido toro el implacable</l><lb/><l>Bramido,</l></lg><lb/>
ist der Ausdruck ganz des Bildes wu&#x0364;rdig, das durch die ihm zum Grunde liegende Anschauung der Stiergefechte so unmittelbar und so groß wird. Wo ein scho&#x0364;nes Grausen durch das Gedicht zieht, ist es in nordisches Spuk- und Gespensterwesen verwandelt, z. B. &#x201C;Leiht, <hi rendition="#g">fletschender</hi> Verdammten Heer, Eur Za&#x0364;hngeklapper mir; des <hi rendition="#g">Leichhuhns</hi> Klaggeschrey,&#x201D; dann &#x201C;<hi rendition="#g">die Unke</hi>, <hi rendition="#g">die Drude</hi>.&#x201D; So sehr ich meinen Leser vorzubereiten gesucht habe, so fu&#x0364;rchte ich doch, ihn durch <hi rendition="#g">das helle Posthorn der Fama</hi> und den <hi rendition="#g">Brummbaß des Cerberus</hi> noch zu sehr außer Fassung zu bringen. Ja es steht wirklich da: das helle Posthorn der Fama und der Brummbaß des Cerberus. Mo&#x0364;ge denn jenes die Bemu&#x0364;hungen unsers Uebersetzers verku&#x0364;ndigen, und dieser den neuen Orpheus bewillkommen!</p><lb/>
            <p>Freylich kann man sich nicht wundern, daß die Cancion desesperada so ausgefallen ist, wenn man S. 474 erfa&#x0364;hrt, daß Herr S. sie fu&#x0364;r <hi rendition="#g">tragikomischen verliebten Unsinn</hi> nimmt. Ein Gedicht, das den Scharfsinn der gegen sich selbst wu&#x0364;thenden Verzweiflung mit dieser zerreißenden Wahrheit darstellt!
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] Hier zu Lande moͤchte ein todtgeschlagner Stier wohl nicht mehr stoͤhnen: doch vielleicht muß man in Spanien gewesen seyn, um diese Erfahrung gemacht zu haben. Jm Original: Del ya vencido toro el implacable Bramido, ist der Ausdruck ganz des Bildes wuͤrdig, das durch die ihm zum Grunde liegende Anschauung der Stiergefechte so unmittelbar und so groß wird. Wo ein schoͤnes Grausen durch das Gedicht zieht, ist es in nordisches Spuk- und Gespensterwesen verwandelt, z. B. “Leiht, fletschender Verdammten Heer, Eur Zaͤhngeklapper mir; des Leichhuhns Klaggeschrey,” dann “die Unke, die Drude.” So sehr ich meinen Leser vorzubereiten gesucht habe, so fuͤrchte ich doch, ihn durch das helle Posthorn der Fama und den Brummbaß des Cerberus noch zu sehr außer Fassung zu bringen. Ja es steht wirklich da: das helle Posthorn der Fama und der Brummbaß des Cerberus. Moͤge denn jenes die Bemuͤhungen unsers Uebersetzers verkuͤndigen, und dieser den neuen Orpheus bewillkommen! Freylich kann man sich nicht wundern, daß die Cancion desesperada so ausgefallen ist, wenn man S. 474 erfaͤhrt, daß Herr S. sie fuͤr tragikomischen verliebten Unsinn nimmt. Ein Gedicht, das den Scharfsinn der gegen sich selbst wuͤthenden Verzweiflung mit dieser zerreißenden Wahrheit darstellt!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/335
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/335>, abgerufen am 21.11.2024.