Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Römer hatten nur einen kurzen Anfall von Poesie, während dessen sie mit großer Kraft kämpften und strebten, sich die Kunst ihrer Vorbilder anzueignen. Sie erhielten dieselben zunächst aus den Händen der Alexandriner; daher herrscht das Erotische und Gelehrte in ihren Werken, und muß auch, was die Kunst betrifft, der Gesichtspunkt bleiben, sie zu würdigen. Denn der Verständige läßt jedes Gebildete in seiner Sphäre, und beurtheilt es nur nach seinem eignen Jdeale. Zwar erscheint Horatius in jeder Form interessant, und einen Menschen von dem Werth dieses Römers würden wir vergeblich unter den spätern Hellenen suchen; aber dieses allgemeine Jnteresse an ihm selbst ist mehr ein romantisches als ein Kunsturtheil, welches ihn nur in der Satire hoch stellen kann. Eine herrliche Erscheinung ists wenn die römische Kraft mit der hellenischen Kunst bis zur Verschmelzung Eins wird. So bildete Propertius eine große Natur durch die gelehrteste Kunst; der Strom inniger Liebe quoll mächtig aus seiner treuen Brust. Er darf uns über den Verlust hellenischer Elegiker trösten, wie Lucretius über den des Empedokles.

Während einiger Menschenalter wollte alles dichten in Rom, und jeder glaubte, er müsse die Musen begünstigen und ihnen wieder aufhelfen; und das nannten sie ihre goldne Zeit der Poesie. Gleichsam die taube Blüthe in der Bildung dieser Nation. Die Modernen sind ihnen darin gefolgt; was unter Augustus und Maecenas geschah, war eine Vorbedeutung auf die Cinquecantisten Jtaliens. Ludwig der vierzehnte

Die Roͤmer hatten nur einen kurzen Anfall von Poesie, waͤhrend dessen sie mit großer Kraft kaͤmpften und strebten, sich die Kunst ihrer Vorbilder anzueignen. Sie erhielten dieselben zunaͤchst aus den Haͤnden der Alexandriner; daher herrscht das Erotische und Gelehrte in ihren Werken, und muß auch, was die Kunst betrifft, der Gesichtspunkt bleiben, sie zu wuͤrdigen. Denn der Verstaͤndige laͤßt jedes Gebildete in seiner Sphaͤre, und beurtheilt es nur nach seinem eignen Jdeale. Zwar erscheint Horatius in jeder Form interessant, und einen Menschen von dem Werth dieses Roͤmers wuͤrden wir vergeblich unter den spaͤtern Hellenen suchen; aber dieses allgemeine Jnteresse an ihm selbst ist mehr ein romantisches als ein Kunsturtheil, welches ihn nur in der Satire hoch stellen kann. Eine herrliche Erscheinung ists wenn die roͤmische Kraft mit der hellenischen Kunst bis zur Verschmelzung Eins wird. So bildete Propertius eine große Natur durch die gelehrteste Kunst; der Strom inniger Liebe quoll maͤchtig aus seiner treuen Brust. Er darf uns uͤber den Verlust hellenischer Elegiker troͤsten, wie Lucretius uͤber den des Empedokles.

Waͤhrend einiger Menschenalter wollte alles dichten in Rom, und jeder glaubte, er muͤsse die Musen beguͤnstigen und ihnen wieder aufhelfen; und das nannten sie ihre goldne Zeit der Poesie. Gleichsam die taube Bluͤthe in der Bildung dieser Nation. Die Modernen sind ihnen darin gefolgt; was unter Augustus und Maecenas geschah, war eine Vorbedeutung auf die Cinquecantisten Jtaliens. Ludwig der vierzehnte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0082" n="74"/>
            <p>Die Ro&#x0364;mer hatten nur einen kurzen Anfall von Poesie, wa&#x0364;hrend dessen sie mit großer Kraft ka&#x0364;mpften und strebten, sich die Kunst ihrer Vorbilder anzueignen. Sie erhielten dieselben zuna&#x0364;chst aus den Ha&#x0364;nden der Alexandriner; daher herrscht das Erotische und Gelehrte in ihren Werken, und muß auch, was die Kunst betrifft, der Gesichtspunkt bleiben, sie zu wu&#x0364;rdigen. Denn der Versta&#x0364;ndige la&#x0364;ßt jedes Gebildete in seiner Spha&#x0364;re, und beurtheilt es nur nach seinem eignen Jdeale. Zwar erscheint Horatius in jeder Form interessant, und einen Menschen von dem Werth dieses Ro&#x0364;mers wu&#x0364;rden wir vergeblich unter den spa&#x0364;tern Hellenen suchen; aber dieses allgemeine Jnteresse an ihm selbst ist mehr ein romantisches als ein Kunsturtheil, welches ihn nur in der Satire hoch stellen kann. Eine herrliche Erscheinung ists wenn die ro&#x0364;mische Kraft mit der hellenischen Kunst bis zur Verschmelzung Eins wird. So bildete Propertius eine große Natur durch die gelehrteste Kunst; der Strom inniger Liebe quoll ma&#x0364;chtig aus seiner treuen Brust. Er darf uns u&#x0364;ber den Verlust hellenischer Elegiker tro&#x0364;sten, wie Lucretius u&#x0364;ber den des Empedokles.</p><lb/>
            <p>Wa&#x0364;hrend einiger Menschenalter wollte alles dichten in Rom, und jeder glaubte, er mu&#x0364;sse die Musen begu&#x0364;nstigen und ihnen wieder aufhelfen; und das nannten sie ihre goldne Zeit der Poesie. Gleichsam die taube Blu&#x0364;the in der Bildung dieser Nation. Die Modernen sind ihnen darin gefolgt; was unter Augustus und Maecenas geschah, war eine Vorbedeutung auf die Cinquecantisten Jtaliens. Ludwig der vierzehnte
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0082] Die Roͤmer hatten nur einen kurzen Anfall von Poesie, waͤhrend dessen sie mit großer Kraft kaͤmpften und strebten, sich die Kunst ihrer Vorbilder anzueignen. Sie erhielten dieselben zunaͤchst aus den Haͤnden der Alexandriner; daher herrscht das Erotische und Gelehrte in ihren Werken, und muß auch, was die Kunst betrifft, der Gesichtspunkt bleiben, sie zu wuͤrdigen. Denn der Verstaͤndige laͤßt jedes Gebildete in seiner Sphaͤre, und beurtheilt es nur nach seinem eignen Jdeale. Zwar erscheint Horatius in jeder Form interessant, und einen Menschen von dem Werth dieses Roͤmers wuͤrden wir vergeblich unter den spaͤtern Hellenen suchen; aber dieses allgemeine Jnteresse an ihm selbst ist mehr ein romantisches als ein Kunsturtheil, welches ihn nur in der Satire hoch stellen kann. Eine herrliche Erscheinung ists wenn die roͤmische Kraft mit der hellenischen Kunst bis zur Verschmelzung Eins wird. So bildete Propertius eine große Natur durch die gelehrteste Kunst; der Strom inniger Liebe quoll maͤchtig aus seiner treuen Brust. Er darf uns uͤber den Verlust hellenischer Elegiker troͤsten, wie Lucretius uͤber den des Empedokles. Waͤhrend einiger Menschenalter wollte alles dichten in Rom, und jeder glaubte, er muͤsse die Musen beguͤnstigen und ihnen wieder aufhelfen; und das nannten sie ihre goldne Zeit der Poesie. Gleichsam die taube Bluͤthe in der Bildung dieser Nation. Die Modernen sind ihnen darin gefolgt; was unter Augustus und Maecenas geschah, war eine Vorbedeutung auf die Cinquecantisten Jtaliens. Ludwig der vierzehnte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/82
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/82>, abgerufen am 14.05.2024.