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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Marcus. Und Darstellung ist Sache der Kunst, man stelle sich wie man auch wolle.

Antonio. Nun so sollte man die Poesie auch als Kunst behandeln. Es kann wenig fruchten, sie in einer kritischen Geschichte so zu betrachten, wenn die Dichter nicht selbst Künstler und Meister sind, mit sichern Werkzeugen zu bestimmten Zwecken auf beliebige Weise zu verfahren.

Marcus. Und warum sollten sie das nicht? Freylich müssen sie es und werden es auch. Das wesentlichste sind die bestimmten Zwecke, die Absonderung wodurch allein das Kunstwerk Umriß erhält und in sich selbst vollendet wird. Die Fantasie des Dichters soll sich nicht in eine chaotische Ueberhauptpoesie ergießen, sondern jedes Werk soll der Form und der Gattung nach einen durchaus bestimmten Charakter haben.

Antonio. Sie zielen schon wieder auf Jhre Theorie der Dichtarten. Wären Sie nur erst damit im Reinen.

Lothario. Es ist nicht zu tadeln, wenn unser Freund auch noch so oft darauf zurückkommt. Die Theorie der Dichtungsarten würde die eigenthümliche Kunstlehre der Poesie seyn. Jch habe oft im Einzelnen bestätigt gefunden, was ich im Allgemeinen schon wußte: daß die Principien des Rhythmus und selbst der gereimten Sylbenmaße musikalisch sind; was in der Darstellung von Charakteren, Situationen, Leidenschaften das Wesentliche, Jnnere ist, der Geist, dürfte in den bildenden und zeichnenden Künsten einheimisch

Marcus. Und Darstellung ist Sache der Kunst, man stelle sich wie man auch wolle.

Antonio. Nun so sollte man die Poesie auch als Kunst behandeln. Es kann wenig fruchten, sie in einer kritischen Geschichte so zu betrachten, wenn die Dichter nicht selbst Kuͤnstler und Meister sind, mit sichern Werkzeugen zu bestimmten Zwecken auf beliebige Weise zu verfahren.

Marcus. Und warum sollten sie das nicht? Freylich muͤssen sie es und werden es auch. Das wesentlichste sind die bestimmten Zwecke, die Absonderung wodurch allein das Kunstwerk Umriß erhaͤlt und in sich selbst vollendet wird. Die Fantasie des Dichters soll sich nicht in eine chaotische Ueberhauptpoesie ergießen, sondern jedes Werk soll der Form und der Gattung nach einen durchaus bestimmten Charakter haben.

Antonio. Sie zielen schon wieder auf Jhre Theorie der Dichtarten. Waͤren Sie nur erst damit im Reinen.

Lothario. Es ist nicht zu tadeln, wenn unser Freund auch noch so oft darauf zuruͤckkommt. Die Theorie der Dichtungsarten wuͤrde die eigenthuͤmliche Kunstlehre der Poesie seyn. Jch habe oft im Einzelnen bestaͤtigt gefunden, was ich im Allgemeinen schon wußte: daß die Principien des Rhythmus und selbst der gereimten Sylbenmaße musikalisch sind; was in der Darstellung von Charakteren, Situationen, Leidenschaften das Wesentliche, Jnnere ist, der Geist, duͤrfte in den bildenden und zeichnenden Kuͤnsten einheimisch

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[90/0098] Marcus. Und Darstellung ist Sache der Kunst, man stelle sich wie man auch wolle. Antonio. Nun so sollte man die Poesie auch als Kunst behandeln. Es kann wenig fruchten, sie in einer kritischen Geschichte so zu betrachten, wenn die Dichter nicht selbst Kuͤnstler und Meister sind, mit sichern Werkzeugen zu bestimmten Zwecken auf beliebige Weise zu verfahren. Marcus. Und warum sollten sie das nicht? Freylich muͤssen sie es und werden es auch. Das wesentlichste sind die bestimmten Zwecke, die Absonderung wodurch allein das Kunstwerk Umriß erhaͤlt und in sich selbst vollendet wird. Die Fantasie des Dichters soll sich nicht in eine chaotische Ueberhauptpoesie ergießen, sondern jedes Werk soll der Form und der Gattung nach einen durchaus bestimmten Charakter haben. Antonio. Sie zielen schon wieder auf Jhre Theorie der Dichtarten. Waͤren Sie nur erst damit im Reinen. Lothario. Es ist nicht zu tadeln, wenn unser Freund auch noch so oft darauf zuruͤckkommt. Die Theorie der Dichtungsarten wuͤrde die eigenthuͤmliche Kunstlehre der Poesie seyn. Jch habe oft im Einzelnen bestaͤtigt gefunden, was ich im Allgemeinen schon wußte: daß die Principien des Rhythmus und selbst der gereimten Sylbenmaße musikalisch sind; was in der Darstellung von Charakteren, Situationen, Leidenschaften das Wesentliche, Jnnere ist, der Geist, duͤrfte in den bildenden und zeichnenden Kuͤnsten einheimisch

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/98>, abgerufen am 21.11.2024.