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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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keln zusammengesetzt sei, wo denn die Wurzel
selbst eigentlich unverändert und unfruchtbar
bleibt. Daß eine so kunstreiche Grammatik den-
noch sehr einfach seyn könne, zeigt das Beispiel
der indischen selbst am besten. Es wird auch
nichts dazu vorausgesetzt als etwas, was man
doch wohl annehmen muß, um den Ursprung
der Sprache auf eine deutliche und verständliche
Art zu erklären; ein sehr feines Gefühl nehm-
lich für den unterscheidend eigenthümlichen Aus-
druck, für die ursprüngliche Naturbedeutung,
wenn ich so sagen darf, der Buchstaben, der
Wurzellaute und Sylben; ein Gefühl, das wir
uns jetzt, da das Gepräge der Worte durch lan-
gen Gebrauch verwischt, das Ohr durch die ver-
worrne Menge allartiger Eindrücke abgestumpft
worden ist, kaum mehr in seiner ganzen Reg-
samkeit und Lebendigkeit vorstellen können, was
aber doch wohl vorhanden gewesen seyn muß,
weil ohne dasselbe keine Sprache, wenigstens
keine solche, hätte entstehen können.

Dieß feine Gefühl mußte dann mit der
Sprache selbst zugleich auch Schrift hervorbrin-
gen; keine hieroglyphische nach äussern Natur-

keln zuſammengeſetzt ſei, wo denn die Wurzel
ſelbſt eigentlich unveraͤndert und unfruchtbar
bleibt. Daß eine ſo kunſtreiche Grammatik den-
noch ſehr einfach ſeyn koͤnne, zeigt das Beiſpiel
der indiſchen ſelbſt am beſten. Es wird auch
nichts dazu vorausgeſetzt als etwas, was man
doch wohl annehmen muß, um den Urſprung
der Sprache auf eine deutliche und verſtaͤndliche
Art zu erklaͤren; ein ſehr feines Gefuͤhl nehm-
lich fuͤr den unterſcheidend eigenthuͤmlichen Aus-
druck, fuͤr die urſpruͤngliche Naturbedeutung,
wenn ich ſo ſagen darf, der Buchſtaben, der
Wurzellaute und Sylben; ein Gefuͤhl, das wir
uns jetzt, da das Gepraͤge der Worte durch lan-
gen Gebrauch verwiſcht, das Ohr durch die ver-
worrne Menge allartiger Eindruͤcke abgeſtumpft
worden iſt, kaum mehr in ſeiner ganzen Reg-
ſamkeit und Lebendigkeit vorſtellen koͤnnen, was
aber doch wohl vorhanden geweſen ſeyn muß,
weil ohne daſſelbe keine Sprache, wenigſtens
keine ſolche, haͤtte entſtehen koͤnnen.

Dieß feine Gefuͤhl mußte dann mit der
Sprache ſelbſt zugleich auch Schrift hervorbrin-
gen; keine hieroglyphiſche nach aͤuſſern Natur-

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[42/0061] keln zuſammengeſetzt ſei, wo denn die Wurzel ſelbſt eigentlich unveraͤndert und unfruchtbar bleibt. Daß eine ſo kunſtreiche Grammatik den- noch ſehr einfach ſeyn koͤnne, zeigt das Beiſpiel der indiſchen ſelbſt am beſten. Es wird auch nichts dazu vorausgeſetzt als etwas, was man doch wohl annehmen muß, um den Urſprung der Sprache auf eine deutliche und verſtaͤndliche Art zu erklaͤren; ein ſehr feines Gefuͤhl nehm- lich fuͤr den unterſcheidend eigenthuͤmlichen Aus- druck, fuͤr die urſpruͤngliche Naturbedeutung, wenn ich ſo ſagen darf, der Buchſtaben, der Wurzellaute und Sylben; ein Gefuͤhl, das wir uns jetzt, da das Gepraͤge der Worte durch lan- gen Gebrauch verwiſcht, das Ohr durch die ver- worrne Menge allartiger Eindruͤcke abgeſtumpft worden iſt, kaum mehr in ſeiner ganzen Reg- ſamkeit und Lebendigkeit vorſtellen koͤnnen, was aber doch wohl vorhanden geweſen ſeyn muß, weil ohne daſſelbe keine Sprache, wenigſtens keine ſolche, haͤtte entſtehen koͤnnen. Dieß feine Gefuͤhl mußte dann mit der Sprache ſelbſt zugleich auch Schrift hervorbrin- gen; keine hieroglyphiſche nach aͤuſſern Natur-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/61>, abgerufen am 23.11.2024.