Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.Ueber die Entstehung der Arten. unrichtig ist, geht schon einfach daraus hervor, daß in der Natur jedesPferd eine gewisse Farbe haben muß, "das Pferd" als Begriff aber keine Farbe haben darf, weil dann die anders gefärbten Pferde von dem Begriffe Pferd durch das Merkmal der Farbe ausgeschlossen würden. Es ist eine ganz bekannte Erscheinung, daß es stets nur einen ganz Der Mensch hängt in seiner Erkenntniß der Natur von der Zeit Ueber die Entſtehung der Arten. unrichtig iſt, geht ſchon einfach daraus hervor, daß in der Natur jedesPferd eine gewiſſe Farbe haben muß, „das Pferd“ als Begriff aber keine Farbe haben darf, weil dann die anders gefärbten Pferde von dem Begriffe Pferd durch das Merkmal der Farbe ausgeſchloſſen würden. Es iſt eine ganz bekannte Erſcheinung, daß es ſtets nur einen ganz Der Menſch hängt in ſeiner Erkenntniß der Natur von der Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="37"/><fw place="top" type="header">Ueber die Entſtehung der Arten.<lb/></fw>unrichtig iſt, geht ſchon einfach daraus hervor, daß in der Natur jedes<lb/> Pferd eine gewiſſe Farbe haben muß, „das Pferd“ als Begriff aber<lb/> keine Farbe haben darf, weil dann die anders gefärbten Pferde von dem<lb/> Begriffe Pferd durch das Merkmal der Farbe ausgeſchloſſen würden.</p><lb/> <p>Es iſt eine ganz bekannte Erſcheinung, daß es ſtets nur einen ganz<lb/> kleinen Theil der Naturforſcher giebt, die immer nur über einen ganz<lb/> kleinen Theil der Arten übereinſtimmen; dies wurde denn der unzu¬<lb/> länglichen Erkenntniß der Natur zugeſchrieben, ſtatt anzuerkennen, daß<lb/> jeder Fortſchritt in der Naturkenntniß nothwendig eine andere Beſtim¬<lb/> mung der Arten zur Folge haben und da der Fortſchritt ein unendlicher<lb/> iſt, auch die Artbeſtimmung nothwendig eine veränderliche bleiben muß.<lb/> — Von jenem letzten Ueberbleibſel des Realismus werden uns nun<lb/> hoffentlich die neueren naturwiſſenſchaftlichen Forſchungen befreien und<lb/> wiederum einen treffenden Beweis liefern, daß Philoſophie und Natur¬<lb/> wiſſenſchaft nur mit einander zur klaren Erkenntniß fortſchreiten können.<lb/> Deshalb habe ich auch geglaubt mich bei dieſem Punkte länger aufhal¬<lb/> ten zu müſſen. Der Artbegriff ſcheint noch Vielen das eigentliche Fun¬<lb/> dament aller Naturwiſſenſchaft zu ſein und es iſt daher eine richtige<lb/> Vorſtellung von demſelben eine außerordentlich wichtige Sache. —</p><lb/> <p>Der Menſch hängt in ſeiner Erkenntniß der Natur von der Zeit<lb/> ab und für die unendliche Zeit iſt nicht nur die Lebensdauer des Ein¬<lb/> zelnen, ſondern ſelbſt der Zeitraum von ein Paar Jahrtauſenden, bis<lb/> zu welchen ſeine feſte Geſchichte zurückreicht, kein brauchbarer Maa߬<lb/> ſtab. Eine Veränderung in der Natur, die ſo langſam vor ſich geht,<lb/> daß die erſten erkennbaren Zeichen dieſer Veränderung erſt nach Zehn¬<lb/> tauſenden von Jahren erkennbar ihm entgegentreten können, entgeht<lb/> natürlich der unmittelbaren Beobachtung und der Gegenſtand ſtellt ſich<lb/> ihm als unveränderlich dar, gerade wie uns der Stundenzeiger einer<lb/> Taſchenuhr, die wir nur Secunden lang beobachten, vollkommen ſtille<lb/> zu ſtehen ſcheint. Daher kam es, daß ſich die Menſchen die Arten in<lb/> der Pflanzen- und Thierwelt, ſo lange die Kenntniß derſelben noch<lb/> räumlich und zeitlich beſchränkt war, als feſtſtehend dachten und ihre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0047]
Ueber die Entſtehung der Arten.
unrichtig iſt, geht ſchon einfach daraus hervor, daß in der Natur jedes
Pferd eine gewiſſe Farbe haben muß, „das Pferd“ als Begriff aber
keine Farbe haben darf, weil dann die anders gefärbten Pferde von dem
Begriffe Pferd durch das Merkmal der Farbe ausgeſchloſſen würden.
Es iſt eine ganz bekannte Erſcheinung, daß es ſtets nur einen ganz
kleinen Theil der Naturforſcher giebt, die immer nur über einen ganz
kleinen Theil der Arten übereinſtimmen; dies wurde denn der unzu¬
länglichen Erkenntniß der Natur zugeſchrieben, ſtatt anzuerkennen, daß
jeder Fortſchritt in der Naturkenntniß nothwendig eine andere Beſtim¬
mung der Arten zur Folge haben und da der Fortſchritt ein unendlicher
iſt, auch die Artbeſtimmung nothwendig eine veränderliche bleiben muß.
— Von jenem letzten Ueberbleibſel des Realismus werden uns nun
hoffentlich die neueren naturwiſſenſchaftlichen Forſchungen befreien und
wiederum einen treffenden Beweis liefern, daß Philoſophie und Natur¬
wiſſenſchaft nur mit einander zur klaren Erkenntniß fortſchreiten können.
Deshalb habe ich auch geglaubt mich bei dieſem Punkte länger aufhal¬
ten zu müſſen. Der Artbegriff ſcheint noch Vielen das eigentliche Fun¬
dament aller Naturwiſſenſchaft zu ſein und es iſt daher eine richtige
Vorſtellung von demſelben eine außerordentlich wichtige Sache. —
Der Menſch hängt in ſeiner Erkenntniß der Natur von der Zeit
ab und für die unendliche Zeit iſt nicht nur die Lebensdauer des Ein¬
zelnen, ſondern ſelbſt der Zeitraum von ein Paar Jahrtauſenden, bis
zu welchen ſeine feſte Geſchichte zurückreicht, kein brauchbarer Maa߬
ſtab. Eine Veränderung in der Natur, die ſo langſam vor ſich geht,
daß die erſten erkennbaren Zeichen dieſer Veränderung erſt nach Zehn¬
tauſenden von Jahren erkennbar ihm entgegentreten können, entgeht
natürlich der unmittelbaren Beobachtung und der Gegenſtand ſtellt ſich
ihm als unveränderlich dar, gerade wie uns der Stundenzeiger einer
Taſchenuhr, die wir nur Secunden lang beobachten, vollkommen ſtille
zu ſtehen ſcheint. Daher kam es, daß ſich die Menſchen die Arten in
der Pflanzen- und Thierwelt, ſo lange die Kenntniß derſelben noch
räumlich und zeitlich beſchränkt war, als feſtſtehend dachten und ihre
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