Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.Zweite Vorlesung. erwachsenden neuen Pflanzen schon mehr frühzeitige Blüthen zeigenund wenn wir so in der "Auswahl" der Samenpflanzen fortfahren, erhalten wir in einer Reihe von Generationen Pflanzen, an denen alle Blüthen früher hervorbrechen als bei den Vorfahren dieser Pflanzen normal war. Diese Abweichungen von den Merkmalen eines Stammorganis¬ Zweite Vorleſung. erwachſenden neuen Pflanzen ſchon mehr frühzeitige Blüthen zeigenund wenn wir ſo in der „Auswahl“ der Samenpflanzen fortfahren, erhalten wir in einer Reihe von Generationen Pflanzen, an denen alle Blüthen früher hervorbrechen als bei den Vorfahren dieſer Pflanzen normal war. Dieſe Abweichungen von den Merkmalen eines Stammorganis¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="40"/><fw place="top" type="header">Zweite Vorleſung.<lb/></fw>erwachſenden neuen Pflanzen ſchon mehr frühzeitige Blüthen zeigen<lb/> und wenn wir ſo in der „<hi rendition="#g">Auswahl</hi>“ der Samenpflanzen fortfahren,<lb/> erhalten wir in einer Reihe von Generationen Pflanzen, an denen alle<lb/> Blüthen früher hervorbrechen als bei den Vorfahren dieſer Pflanzen<lb/> normal war.</p><lb/> <p>Dieſe Abweichungen von den Merkmalen eines Stammorganis¬<lb/> mus können nun in gewiſſer Beziehung nur dreierlei Art ſein, nämlich:<lb/> entweder geben ſie dem neuen Organismus einen, wenn auch noch ſo<lb/> kleinen Vorzug, durch den ſeine Exiſtenz erleichtert oder mehr geſichert<lb/> wird, z. B. etwas ſchlankeren Bau, um leichter die zur Nahrung die¬<lb/> nende Beute zu erreichen, oder eine Farbenverſchiedenheit, die ihn ſei¬<lb/> nen Feinden weniger erkennbar macht, — oder die Abweichungen fin¬<lb/> den in entgegengeſetzter Richtung ſtatt, — oder endlich ſie ſind gleich¬<lb/> gültig. Es verſteht ſich nun ganz von ſelbſt, daß diejenigen Organis¬<lb/> men, bei welchen Merkmale der erſten Art ſich finden, hinſichtlich ihrer<lb/> Dauer gegen ihre Vorfahren wie gegen ihre Zeitgenoſſen bevorzugt<lb/> ſind. Sie werden ſich leichter und beſſer ernähren, leichter und häufiger<lb/> fortpflanzen, alſo die vortheilhaften Merkmale mich auf ihre Nachkom¬<lb/> men in höherem Grade übertragen. Mit einem Worte, es geſchieht hier<lb/> in der Natur, wenn auch langſamer und weniger auffällig nothwendig<lb/> dasſelbe, was wir durch abſichtliche „<hi rendition="#g">Auswahl</hi>“ der zur Nachzucht<lb/> beſtimmten Individuen in unſeren ökonomiſchen Viehſtänden und Kunſt¬<lb/> gärtnereien hervorbringen. Wenn ſich die äußeren Lebensbedingungen<lb/> für die Organismen auf der Erde ändern, ſo werden natürlich diejeni¬<lb/> gen Spielarten und Abweichungen, welche für die Exiſtenz unter dieſen<lb/> veränderten Bedingungen begünſtigt ſind, ſich erhalten und ausbreiten,<lb/> während die anderen allmählich verkümmern und verſchwinden. — Das<lb/> iſt das Geſetz für die Geſchichte des Lebendigen, welches <hi rendition="#g">Darwin</hi> mit<lb/> dem Ausdruck: Geſetz der „<hi rendition="#g">natürlichen Auswahl</hi>“ (<hi rendition="#aq">natural se¬<lb/> lection</hi>) bezeichnete. — Man muß aber hierbei die Zeit als weſentlichen<lb/> Factor nicht außer Acht laſſen. Keineswegs war der unmittelbare Nach¬<lb/> komme eines der großen fliegenden Amphibien des Solenhofer Kalk¬<lb/> ſchiefers ein Vogel, aber indem durch viele Jahrtauſende hindurch und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [40/0050]
Zweite Vorleſung.
erwachſenden neuen Pflanzen ſchon mehr frühzeitige Blüthen zeigen
und wenn wir ſo in der „Auswahl“ der Samenpflanzen fortfahren,
erhalten wir in einer Reihe von Generationen Pflanzen, an denen alle
Blüthen früher hervorbrechen als bei den Vorfahren dieſer Pflanzen
normal war.
Dieſe Abweichungen von den Merkmalen eines Stammorganis¬
mus können nun in gewiſſer Beziehung nur dreierlei Art ſein, nämlich:
entweder geben ſie dem neuen Organismus einen, wenn auch noch ſo
kleinen Vorzug, durch den ſeine Exiſtenz erleichtert oder mehr geſichert
wird, z. B. etwas ſchlankeren Bau, um leichter die zur Nahrung die¬
nende Beute zu erreichen, oder eine Farbenverſchiedenheit, die ihn ſei¬
nen Feinden weniger erkennbar macht, — oder die Abweichungen fin¬
den in entgegengeſetzter Richtung ſtatt, — oder endlich ſie ſind gleich¬
gültig. Es verſteht ſich nun ganz von ſelbſt, daß diejenigen Organis¬
men, bei welchen Merkmale der erſten Art ſich finden, hinſichtlich ihrer
Dauer gegen ihre Vorfahren wie gegen ihre Zeitgenoſſen bevorzugt
ſind. Sie werden ſich leichter und beſſer ernähren, leichter und häufiger
fortpflanzen, alſo die vortheilhaften Merkmale mich auf ihre Nachkom¬
men in höherem Grade übertragen. Mit einem Worte, es geſchieht hier
in der Natur, wenn auch langſamer und weniger auffällig nothwendig
dasſelbe, was wir durch abſichtliche „Auswahl“ der zur Nachzucht
beſtimmten Individuen in unſeren ökonomiſchen Viehſtänden und Kunſt¬
gärtnereien hervorbringen. Wenn ſich die äußeren Lebensbedingungen
für die Organismen auf der Erde ändern, ſo werden natürlich diejeni¬
gen Spielarten und Abweichungen, welche für die Exiſtenz unter dieſen
veränderten Bedingungen begünſtigt ſind, ſich erhalten und ausbreiten,
während die anderen allmählich verkümmern und verſchwinden. — Das
iſt das Geſetz für die Geſchichte des Lebendigen, welches Darwin mit
dem Ausdruck: Geſetz der „natürlichen Auswahl“ (natural se¬
lection) bezeichnete. — Man muß aber hierbei die Zeit als weſentlichen
Factor nicht außer Acht laſſen. Keineswegs war der unmittelbare Nach¬
komme eines der großen fliegenden Amphibien des Solenhofer Kalk¬
ſchiefers ein Vogel, aber indem durch viele Jahrtauſende hindurch und
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