sagte, daß er unter allen den Göttern, welche die welterobernde Roma von den Besiegten entlehnt und in sich versammelt hätte, keinen der Anbetung wahrhaft würdig gefunden habe, als die Sonne, und unter allen Formen des Heidenthums ist gewiß die erhebenste Feier die, wenn der Parse frühmorgens am Ufer des Meeres harrt und bei den ersten Strahlen der Sonne, die über die tanzenden Wellen hinzucken, sich mit dem Antlitz zu Boden wirft um im stillen Gebet die Wieder- kehr der Allbelebenden und Allzeugenden zu begrüßen.
Leider ist hier abermals der Ausspruch der Bibel, welcher eine gleiche Vertheilung der himmlischen Gaben an alle Menschen be- hauptet ("der Herr läßt es regnen über Gerechte und Ungerechte") unrichtig und der Mensch hat je nach seinem Wohnplatz auf der Erde sehr verschiedenen Antheil an dem erwärmenden und belebenden Ein- fluß der Sonne. Nur dann spendet sie ihren Seegen im höchsten Maße, wenn ihre Strahlen senkrecht den Erdboden treffen und dies geschieht wegen der Stellung der kugelrunden Erde zur Sonne nur in einer schmalen Zone zu beiden Seiten des Aequators, im Ganzen etwa nur in einem Viertel der ganzen Länge vom Südpol bis zum Nordpol. Von diesem Gürtel an nimmt ihre Einwirkung so schnell ab, daß sie schon durchschnittlich im 70° nördlicher und südlicher Breite nicht im Stande ist, den gefrornen Boden tiefer als wenige Fuß aufzuthauen und im 80° auch die Oberfläche sogar im höchsten Sommer von unschmelzbarem Eise starrt. Der Aequator selbst liegt zweimal im Jahre, zur Zeit der Herbst- und Frühlings-Tagundnacht- gleiche, unter den senkrechten Strahlen und ebenfalls jeder Ort in der eben bezeichneten Zone, aber so, daß die Zeitpuncte immer näher zu- sammenrücken bis sie unter den Wendekreisen zusammenfallen, welche nur einmal im Jahre, und zwar der Wendekreis des Krebses zur Zeit unseres längsten Tages, der des Steinbocks zur Zeit unseres kürzesten Tages, von den senkrechten Strahlen der Sonne durchwärmt werden.
Wenn der Schiffer auf seiner Fahrt nach Süden mitten im at- landischen Oceane sich dem Aequator nähert, so ergreift bange Furcht die ganze Equipage. Früher oder später, je nach der Jahreszeit, wird
ſagte, daß er unter allen den Göttern, welche die welterobernde Roma von den Beſiegten entlehnt und in ſich verſammelt hätte, keinen der Anbetung wahrhaft würdig gefunden habe, als die Sonne, und unter allen Formen des Heidenthums iſt gewiß die erhebenſte Feier die, wenn der Parſe frühmorgens am Ufer des Meeres harrt und bei den erſten Strahlen der Sonne, die über die tanzenden Wellen hinzucken, ſich mit dem Antlitz zu Boden wirft um im ſtillen Gebet die Wieder- kehr der Allbelebenden und Allzeugenden zu begrüßen.
Leider iſt hier abermals der Ausſpruch der Bibel, welcher eine gleiche Vertheilung der himmliſchen Gaben an alle Menſchen be- hauptet („der Herr läßt es regnen über Gerechte und Ungerechte“) unrichtig und der Menſch hat je nach ſeinem Wohnplatz auf der Erde ſehr verſchiedenen Antheil an dem erwärmenden und belebenden Ein- fluß der Sonne. Nur dann ſpendet ſie ihren Seegen im höchſten Maße, wenn ihre Strahlen ſenkrecht den Erdboden treffen und dies geſchieht wegen der Stellung der kugelrunden Erde zur Sonne nur in einer ſchmalen Zone zu beiden Seiten des Aequators, im Ganzen etwa nur in einem Viertel der ganzen Länge vom Südpol bis zum Nordpol. Von dieſem Gürtel an nimmt ihre Einwirkung ſo ſchnell ab, daß ſie ſchon durchſchnittlich im 70° nördlicher und ſüdlicher Breite nicht im Stande iſt, den gefrornen Boden tiefer als wenige Fuß aufzuthauen und im 80° auch die Oberfläche ſogar im höchſten Sommer von unſchmelzbarem Eiſe ſtarrt. Der Aequator ſelbſt liegt zweimal im Jahre, zur Zeit der Herbſt- und Frühlings-Tagundnacht- gleiche, unter den ſenkrechten Strahlen und ebenfalls jeder Ort in der eben bezeichneten Zone, aber ſo, daß die Zeitpuncte immer näher zu- ſammenrücken bis ſie unter den Wendekreiſen zuſammenfallen, welche nur einmal im Jahre, und zwar der Wendekreis des Krebſes zur Zeit unſeres längſten Tages, der des Steinbocks zur Zeit unſeres kürzeſten Tages, von den ſenkrechten Strahlen der Sonne durchwärmt werden.
Wenn der Schiffer auf ſeiner Fahrt nach Süden mitten im at- landiſchen Oceane ſich dem Aequator nähert, ſo ergreift bange Furcht die ganze Equipage. Früher oder ſpäter, je nach der Jahreszeit, wird
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ſagte, daß er unter allen den Göttern, welche die welterobernde Roma
von den Beſiegten entlehnt und in ſich verſammelt hätte, keinen der
Anbetung wahrhaft würdig gefunden habe, als die Sonne, und unter
allen Formen des Heidenthums iſt gewiß die erhebenſte Feier die,
wenn der Parſe frühmorgens am Ufer des Meeres harrt und bei den
erſten Strahlen der Sonne, die über die tanzenden Wellen hinzucken,
ſich mit dem Antlitz zu Boden wirft um im ſtillen Gebet die Wieder-
kehr der Allbelebenden und Allzeugenden zu begrüßen.
Leider iſt hier abermals der Ausſpruch der Bibel, welcher eine
gleiche Vertheilung der himmliſchen Gaben an alle Menſchen be-
hauptet („der Herr läßt es regnen über Gerechte und Ungerechte“)
unrichtig und der Menſch hat je nach ſeinem Wohnplatz auf der Erde
ſehr verſchiedenen Antheil an dem erwärmenden und belebenden Ein-
fluß der Sonne. Nur dann ſpendet ſie ihren Seegen im höchſten
Maße, wenn ihre Strahlen ſenkrecht den Erdboden treffen und dies
geſchieht wegen der Stellung der kugelrunden Erde zur Sonne nur
in einer ſchmalen Zone zu beiden Seiten des Aequators, im Ganzen
etwa nur in einem Viertel der ganzen Länge vom Südpol bis zum
Nordpol. Von dieſem Gürtel an nimmt ihre Einwirkung ſo ſchnell
ab, daß ſie ſchon durchſchnittlich im 70° nördlicher und ſüdlicher
Breite nicht im Stande iſt, den gefrornen Boden tiefer als wenige
Fuß aufzuthauen und im 80° auch die Oberfläche ſogar im höchſten
Sommer von unſchmelzbarem Eiſe ſtarrt. Der Aequator ſelbſt liegt
zweimal im Jahre, zur Zeit der Herbſt- und Frühlings-Tagundnacht-
gleiche, unter den ſenkrechten Strahlen und ebenfalls jeder Ort in der
eben bezeichneten Zone, aber ſo, daß die Zeitpuncte immer näher zu-
ſammenrücken bis ſie unter den Wendekreiſen zuſammenfallen, welche
nur einmal im Jahre, und zwar der Wendekreis des Krebſes zur Zeit
unſeres längſten Tages, der des Steinbocks zur Zeit unſeres kürzeſten
Tages, von den ſenkrechten Strahlen der Sonne durchwärmt werden.
Wenn der Schiffer auf ſeiner Fahrt nach Süden mitten im at-
landiſchen Oceane ſich dem Aequator nähert, ſo ergreift bange Furcht
die ganze Equipage. Früher oder ſpäter, je nach der Jahreszeit, wird
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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