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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Wir müssen aber weiter nach den ferneren Schicksalen der er-
wärmten Luft fragen, welche in den Tropen den beständig aufsteigen-
den Strom bildet. Je höher sie sich erhebt, desto mehr kühlt sie sich
ab und in Folge dessen wird sie schwerer und fängt an zu sinken; da
aber unter ihr der schwere, kalte Polarstrom gleichsam einen festen
Boden bildet, so fließt sie auf dieser Luftschicht ab gegen die Pole
hin und bildet so den zweiten auf der Erde herrschenden Wind, den
man nach seinem Ursprunge passend den Aequatorialstrom benennt.
Für uns ist derselbe ein Südwind, für die südliche Erdhälfte natürlich
ein Nordwind. -- Aber so wie der Polarstrom bei seinem Fortrücken
gegen den Aequator sich allmälig in einen Ostwind umänderte, so
wird aus denselben Gründen der von dem Aequator zu den Polen
abfließende Luftstrom, im entgegengesetzten Sinne abgelenkt, allmälig
zum Westwind. Auch kommen diesem Aequatorialstrom natürlich ge-
rade die entgegengesetzten Eigenschaften zu, wie dem Polarstrome, er
ist leichter, wärmer und feuchter, er bringt das Barometer zum Fallen,
das Thermometer zum Steigen und bedingt Bildung von Wolken,
Regen und Schnee. Durch beide Ströme in Verbindung mit einan-
der wird eine beständige Circulation in der gesammten Atmosphäre
der Erde unterhalten, welche es unmöglich macht, daß irgendwo,
durch locale Einflüsse bedingt, ein den Organismen wesentlicher Stoff
der Atmosphäre, z. B. Sauerstoff oder Wasserdampf, vollständig ver-
zehrt werde, oder ein schädlicher, z. B. Kohlensäure, sich übermäßig
anhäufe. So ist also das Bestehen der ganzen belebten Natur an
diesen Kreislauf gebunden.

Beim ersten Anblick scheinen die einfachen und großartigen Züge
des Grundgesetzes der atmosphärischen Veränderungen wie ich es
so eben zu skitziren versucht habe, durchaus nicht zu passen zu dem
scheinbar so launenhaften Spiel des Wetters, wie es uns erscheint
und welches geradezu als Prototyp der Veränderlichkeit und Unbe-
ständigkeit gilt. Das Folgende mag dazu dienen, diesen scheinbaren
Widerspruch aufzuklären. Nach den Witterungserscheinungen können
wir die Oberfläche unserer Erde in zwei ungleiche Theile theilen, in

8*

Wir müſſen aber weiter nach den ferneren Schickſalen der er-
wärmten Luft fragen, welche in den Tropen den beſtändig aufſteigen-
den Strom bildet. Je höher ſie ſich erhebt, deſto mehr kühlt ſie ſich
ab und in Folge deſſen wird ſie ſchwerer und fängt an zu ſinken; da
aber unter ihr der ſchwere, kalte Polarſtrom gleichſam einen feſten
Boden bildet, ſo fließt ſie auf dieſer Luftſchicht ab gegen die Pole
hin und bildet ſo den zweiten auf der Erde herrſchenden Wind, den
man nach ſeinem Urſprunge paſſend den Aequatorialſtrom benennt.
Für uns iſt derſelbe ein Südwind, für die ſüdliche Erdhälfte natürlich
ein Nordwind. — Aber ſo wie der Polarſtrom bei ſeinem Fortrücken
gegen den Aequator ſich allmälig in einen Oſtwind umänderte, ſo
wird aus denſelben Gründen der von dem Aequator zu den Polen
abfließende Luftſtrom, im entgegengeſetzten Sinne abgelenkt, allmälig
zum Weſtwind. Auch kommen dieſem Aequatorialſtrom natürlich ge-
rade die entgegengeſetzten Eigenſchaften zu, wie dem Polarſtrome, er
iſt leichter, wärmer und feuchter, er bringt das Barometer zum Fallen,
das Thermometer zum Steigen und bedingt Bildung von Wolken,
Regen und Schnee. Durch beide Ströme in Verbindung mit einan-
der wird eine beſtändige Circulation in der geſammten Atmosphäre
der Erde unterhalten, welche es unmöglich macht, daß irgendwo,
durch locale Einflüſſe bedingt, ein den Organismen weſentlicher Stoff
der Atmosphäre, z. B. Sauerſtoff oder Waſſerdampf, vollſtändig ver-
zehrt werde, oder ein ſchädlicher, z. B. Kohlenſäure, ſich übermäßig
anhäufe. So iſt alſo das Beſtehen der ganzen belebten Natur an
dieſen Kreislauf gebunden.

Beim erſten Anblick ſcheinen die einfachen und großartigen Züge
des Grundgeſetzes der atmosphäriſchen Veränderungen wie ich es
ſo eben zu ſkitziren verſucht habe, durchaus nicht zu paſſen zu dem
ſcheinbar ſo launenhaften Spiel des Wetters, wie es uns erſcheint
und welches geradezu als Prototyp der Veränderlichkeit und Unbe-
ſtändigkeit gilt. Das Folgende mag dazu dienen, dieſen ſcheinbaren
Widerſpruch aufzuklären. Nach den Witterungserſcheinungen können
wir die Oberfläche unſerer Erde in zwei ungleiche Theile theilen, in

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[115/0131] Wir müſſen aber weiter nach den ferneren Schickſalen der er- wärmten Luft fragen, welche in den Tropen den beſtändig aufſteigen- den Strom bildet. Je höher ſie ſich erhebt, deſto mehr kühlt ſie ſich ab und in Folge deſſen wird ſie ſchwerer und fängt an zu ſinken; da aber unter ihr der ſchwere, kalte Polarſtrom gleichſam einen feſten Boden bildet, ſo fließt ſie auf dieſer Luftſchicht ab gegen die Pole hin und bildet ſo den zweiten auf der Erde herrſchenden Wind, den man nach ſeinem Urſprunge paſſend den Aequatorialſtrom benennt. Für uns iſt derſelbe ein Südwind, für die ſüdliche Erdhälfte natürlich ein Nordwind. — Aber ſo wie der Polarſtrom bei ſeinem Fortrücken gegen den Aequator ſich allmälig in einen Oſtwind umänderte, ſo wird aus denſelben Gründen der von dem Aequator zu den Polen abfließende Luftſtrom, im entgegengeſetzten Sinne abgelenkt, allmälig zum Weſtwind. Auch kommen dieſem Aequatorialſtrom natürlich ge- rade die entgegengeſetzten Eigenſchaften zu, wie dem Polarſtrome, er iſt leichter, wärmer und feuchter, er bringt das Barometer zum Fallen, das Thermometer zum Steigen und bedingt Bildung von Wolken, Regen und Schnee. Durch beide Ströme in Verbindung mit einan- der wird eine beſtändige Circulation in der geſammten Atmosphäre der Erde unterhalten, welche es unmöglich macht, daß irgendwo, durch locale Einflüſſe bedingt, ein den Organismen weſentlicher Stoff der Atmosphäre, z. B. Sauerſtoff oder Waſſerdampf, vollſtändig ver- zehrt werde, oder ein ſchädlicher, z. B. Kohlenſäure, ſich übermäßig anhäufe. So iſt alſo das Beſtehen der ganzen belebten Natur an dieſen Kreislauf gebunden. Beim erſten Anblick ſcheinen die einfachen und großartigen Züge des Grundgeſetzes der atmosphäriſchen Veränderungen wie ich es ſo eben zu ſkitziren verſucht habe, durchaus nicht zu paſſen zu dem ſcheinbar ſo launenhaften Spiel des Wetters, wie es uns erſcheint und welches geradezu als Prototyp der Veränderlichkeit und Unbe- ſtändigkeit gilt. Das Folgende mag dazu dienen, dieſen ſcheinbaren Widerſpruch aufzuklären. Nach den Witterungserſcheinungen können wir die Oberfläche unſerer Erde in zwei ungleiche Theile theilen, in 8*

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/131>, abgerufen am 24.11.2024.