Besonders findet sich dies bei den langen säulenförmigen Cereen, de- ren alte abgestorbenen Stämme, nach Zerstörung der graugrünen Rinde, mit weißem Holze Gespenstern gleich zwischen den lebenden Stämmen stehen bleiben, bis ein von der Nacht überfallener Rei- sender sich ihrer bemächtigt, um in jenen holzarmen Gegenden sich ein Feuer gegen Mosquitos anzuzünden, seinen Maiskuchen dabei zu rösten, oder indem er sie als Fackel anbrennt, die dunkle Tropen- nacht zu erhellen. Von dem letztern Gebrauch haben sie eben den Namen der Fackeldisteln erhalten. Auf die Höhen der Cordilleren werden diese Stämme wegen ihrer Leichtigkeit auf Maulthieren hin- aufgeschafft, um als Balken, Pfosten und Thürschwellen der häu- ser zu dienen, wie z. B. in der Meierei von Antisana, vielleicht dem höchsten bewohnten Ort der Erde (12,604 F.). Ganz wie bei uns ihre Verwandten, die Stachelbeerbüsche, vom Landmann zur Ein- zäunung seiner Gärten benutzt werden, wendet man in Mexico, an der Westküste Südamerika's und in den südlichen Theilen Europa's und auf den Canaren mit noch größerem Erfolg die Opuntien an, deren feste, unförmliche Zweige sich schnell zu einem undurchdring- lichen Zaun zusammenschlingen und durch ihre furchtbaren Stacheln jedem Eindringling ein unüberwindliches Hinderniß entgegensetzen. Endlich geht auch der Arzneischatz nicht leer aus, indem die Aerzte Amerika's vielfach von dem säuerlichen Safte Gebrauch zu Umschlä- gen bei Entzündungen machen und die eingekochten Früchte als Brustsaft anwenden, einiger anderer Vorschriften nicht zu gedenken.
Aber in ähnlicher Weise wie Gras und Klee nicht sowohl un- mittelbar, sondern nur als Nahrungsmittel nützlicher Thiere dem Menschen schätzbar werden, ist es auch eine Anzahl von Cacteen, die ein Thier ernähren, welches von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Es ist dies das Cochenille-Insect (Coccus Cacti), ein klei- nes, höchst unscheinbares Thier, im Aeußern ganz dem kleinen wei- ßen, wolligen Schmarotzer ähnlich, der in unsern Treibhäusern so häufig sich auf den Pflanzen einfindet, und doch durch den unschätz-
Beſonders findet ſich dies bei den langen ſäulenförmigen Cereen, de- ren alte abgeſtorbenen Stämme, nach Zerſtörung der graugrünen Rinde, mit weißem Holze Geſpenſtern gleich zwiſchen den lebenden Stämmen ſtehen bleiben, bis ein von der Nacht überfallener Rei- ſender ſich ihrer bemächtigt, um in jenen holzarmen Gegenden ſich ein Feuer gegen Moſquitos anzuzünden, ſeinen Maiskuchen dabei zu röſten, oder indem er ſie als Fackel anbrennt, die dunkle Tropen- nacht zu erhellen. Von dem letztern Gebrauch haben ſie eben den Namen der Fackeldiſteln erhalten. Auf die Höhen der Cordilleren werden dieſe Stämme wegen ihrer Leichtigkeit auf Maulthieren hin- aufgeſchafft, um als Balken, Pfoſten und Thürſchwellen der häu- ſer zu dienen, wie z. B. in der Meierei von Antiſana, vielleicht dem höchſten bewohnten Ort der Erde (12,604 F.). Ganz wie bei uns ihre Verwandten, die Stachelbeerbüſche, vom Landmann zur Ein- zäunung ſeiner Gärten benutzt werden, wendet man in Mexico, an der Weſtküſte Südamerika's und in den ſüdlichen Theilen Europa's und auf den Canaren mit noch größerem Erfolg die Opuntien an, deren feſte, unförmliche Zweige ſich ſchnell zu einem undurchdring- lichen Zaun zuſammenſchlingen und durch ihre furchtbaren Stacheln jedem Eindringling ein unüberwindliches Hinderniß entgegenſetzen. Endlich geht auch der Arzneiſchatz nicht leer aus, indem die Aerzte Amerika's vielfach von dem ſäuerlichen Safte Gebrauch zu Umſchlä- gen bei Entzündungen machen und die eingekochten Früchte als Bruſtſaft anwenden, einiger anderer Vorſchriften nicht zu gedenken.
Aber in ähnlicher Weiſe wie Gras und Klee nicht ſowohl un- mittelbar, ſondern nur als Nahrungsmittel nützlicher Thiere dem Menſchen ſchätzbar werden, iſt es auch eine Anzahl von Cacteen, die ein Thier ernähren, welches von außerordentlicher Wichtigkeit iſt. Es iſt dies das Cochenille-Inſect (Coccus Cacti), ein klei- nes, höchſt unſcheinbares Thier, im Aeußern ganz dem kleinen wei- ßen, wolligen Schmarotzer ähnlich, der in unſern Treibhäuſern ſo häufig ſich auf den Pflanzen einfindet, und doch durch den unſchätz-
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Beſonders findet ſich dies bei den langen ſäulenförmigen Cereen, de-
ren alte abgeſtorbenen Stämme, nach Zerſtörung der graugrünen
Rinde, mit weißem Holze Geſpenſtern gleich zwiſchen den lebenden
Stämmen ſtehen bleiben, bis ein von der Nacht überfallener Rei-
ſender ſich ihrer bemächtigt, um in jenen holzarmen Gegenden ſich
ein Feuer gegen Moſquitos anzuzünden, ſeinen Maiskuchen dabei
zu röſten, oder indem er ſie als Fackel anbrennt, die dunkle Tropen-
nacht zu erhellen. Von dem letztern Gebrauch haben ſie eben den
Namen der Fackeldiſteln erhalten. Auf die Höhen der Cordilleren
werden dieſe Stämme wegen ihrer Leichtigkeit auf Maulthieren hin-
aufgeſchafft, um als Balken, Pfoſten und Thürſchwellen der häu-
ſer zu dienen, wie z. B. in der Meierei von Antiſana, vielleicht dem
höchſten bewohnten Ort der Erde (12,604 F.). Ganz wie bei uns
ihre Verwandten, die Stachelbeerbüſche, vom Landmann zur Ein-
zäunung ſeiner Gärten benutzt werden, wendet man in Mexico, an
der Weſtküſte Südamerika's und in den ſüdlichen Theilen Europa's
und auf den Canaren mit noch größerem Erfolg die Opuntien an,
deren feſte, unförmliche Zweige ſich ſchnell zu einem undurchdring-
lichen Zaun zuſammenſchlingen und durch ihre furchtbaren Stacheln
jedem Eindringling ein unüberwindliches Hinderniß entgegenſetzen.
Endlich geht auch der Arzneiſchatz nicht leer aus, indem die Aerzte
Amerika's vielfach von dem ſäuerlichen Safte Gebrauch zu Umſchlä-
gen bei Entzündungen machen und die eingekochten Früchte als
Bruſtſaft anwenden, einiger anderer Vorſchriften nicht zu gedenken.
Aber in ähnlicher Weiſe wie Gras und Klee nicht ſowohl un-
mittelbar, ſondern nur als Nahrungsmittel nützlicher Thiere dem
Menſchen ſchätzbar werden, iſt es auch eine Anzahl von Cacteen,
die ein Thier ernähren, welches von außerordentlicher Wichtigkeit
iſt. Es iſt dies das Cochenille-Inſect (Coccus Cacti), ein klei-
nes, höchſt unſcheinbares Thier, im Aeußern ganz dem kleinen wei-
ßen, wolligen Schmarotzer ähnlich, der in unſern Treibhäuſern ſo
häufig ſich auf den Pflanzen einfindet, und doch durch den unſchätz-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/218>, abgerufen am 23.11.2024.
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