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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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abhängt, auf welcher das Thier lebt. Wenn die Thiere völlig aus-
gebildet sind, werden sie mit dem Schweife eines Eichhörnchens von
den Zweigen der Pflanze abgekehrt und durch Sonnenhitze oder heiße
Wasserdämpfe getödtet, getrocknet und in den Handel gebracht. Bei
uns wird daraus durch Zusatz von Alaun der kostbare Carmin und
durch Zusatz von Thonerde der Carminlack (Florentiner Lack) bereitet.

So wie aber die Familie der Cactusgewächse durch ihre äußere
häßliche Form, durch die Pracht ihrer Blüthen, durch ihren viel-
fachen Nutzen im Allgemeinen ein hohes Interesse erregt, so ist sie
auch in engerer Beziehung nicht minder für den Botaniker interes-
sant. Von jeher haben die Zoologen in der Betrachtung der Mißge-
burten und der abweichenden Formen einen reichen Stoff gefunden,
um ihre Kenntnisse des regelmäßig sich entwickelnden Organismus
zu läutern und auszubreiten. Es läßt sich daher auch erwarten, daß
in der Pflanzenwelt ähnliche Verhältnisse ähnlichen Werth haben
werden, und welche Familie könnte man besser zu diesem Zwecke
auswählen, als die der Cacteen, die nur ein natürliches Museum
von Mißgeburten zu seyn scheint und deren Formen zum Theil so ab-
norm sind, daß man eine Art überhaupt nicht anders als mit dem Na-
men des monströsen Cactus (Cereus monstrosus) zu bezeichnen
wußte. Auch haben sie in vielfacher Hinsicht die Aufmerksamkeit der
Botaniker auf sich gezogen und es haben sich manche sowohl anato-
mische als physiologische Eigenthümlichkeiten ergeben, durch welche
sie von allen übrigen selbst den nächst verwandten Pflanzen abweichen.
Ja die Ergebnisse würden sicher noch viel interessanter seyn, wenn es
nicht so unendlich schwer wäre, sich das Material für die Untersuchung
zu verschaffen, indem nur zu selten Gärtner und Blumenliebhaber sich
geneigt zeigen, ihre Lieblinge dem Messer der Wissenschaft zu opfern.

Die Cacteen haben lange Zeit in der Wissenschaft zur Stütze eines
Satzes dienen müssen, der durchaus falsch, doch häufig genug selbst von
ausgezeichneten Botanikern behauptet worden ist, ich meine nämlich die
Ansicht, als könnten viele oder gar alle Pflanzen ihre Nahrung aus der

abhängt, auf welcher das Thier lebt. Wenn die Thiere völlig aus-
gebildet ſind, werden ſie mit dem Schweife eines Eichhörnchens von
den Zweigen der Pflanze abgekehrt und durch Sonnenhitze oder heiße
Waſſerdämpfe getödtet, getrocknet und in den Handel gebracht. Bei
uns wird daraus durch Zuſatz von Alaun der koſtbare Carmin und
durch Zuſatz von Thonerde der Carminlack (Florentiner Lack) bereitet.

So wie aber die Familie der Cactusgewächſe durch ihre äußere
häßliche Form, durch die Pracht ihrer Blüthen, durch ihren viel-
fachen Nutzen im Allgemeinen ein hohes Intereſſe erregt, ſo iſt ſie
auch in engerer Beziehung nicht minder für den Botaniker intereſ-
ſant. Von jeher haben die Zoologen in der Betrachtung der Mißge-
burten und der abweichenden Formen einen reichen Stoff gefunden,
um ihre Kenntniſſe des regelmäßig ſich entwickelnden Organismus
zu läutern und auszubreiten. Es läßt ſich daher auch erwarten, daß
in der Pflanzenwelt ähnliche Verhältniſſe ähnlichen Werth haben
werden, und welche Familie könnte man beſſer zu dieſem Zwecke
auswählen, als die der Cacteen, die nur ein natürliches Muſeum
von Mißgeburten zu ſeyn ſcheint und deren Formen zum Theil ſo ab-
norm ſind, daß man eine Art überhaupt nicht anders als mit dem Na-
men des monſtröſen Cactus (Cereus monstrosus) zu bezeichnen
wußte. Auch haben ſie in vielfacher Hinſicht die Aufmerkſamkeit der
Botaniker auf ſich gezogen und es haben ſich manche ſowohl anato-
miſche als phyſiologiſche Eigenthümlichkeiten ergeben, durch welche
ſie von allen übrigen ſelbſt den nächſt verwandten Pflanzen abweichen.
Ja die Ergebniſſe würden ſicher noch viel intereſſanter ſeyn, wenn es
nicht ſo unendlich ſchwer wäre, ſich das Material für die Unterſuchung
zu verſchaffen, indem nur zu ſelten Gärtner und Blumenliebhaber ſich
geneigt zeigen, ihre Lieblinge dem Meſſer der Wiſſenſchaft zu opfern.

Die Cacteen haben lange Zeit in der Wiſſenſchaft zur Stütze eines
Satzes dienen müſſen, der durchaus falſch, doch häufig genug ſelbſt von
ausgezeichneten Botanikern behauptet worden iſt, ich meine nämlich die
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[204/0220] abhängt, auf welcher das Thier lebt. Wenn die Thiere völlig aus- gebildet ſind, werden ſie mit dem Schweife eines Eichhörnchens von den Zweigen der Pflanze abgekehrt und durch Sonnenhitze oder heiße Waſſerdämpfe getödtet, getrocknet und in den Handel gebracht. Bei uns wird daraus durch Zuſatz von Alaun der koſtbare Carmin und durch Zuſatz von Thonerde der Carminlack (Florentiner Lack) bereitet. So wie aber die Familie der Cactusgewächſe durch ihre äußere häßliche Form, durch die Pracht ihrer Blüthen, durch ihren viel- fachen Nutzen im Allgemeinen ein hohes Intereſſe erregt, ſo iſt ſie auch in engerer Beziehung nicht minder für den Botaniker intereſ- ſant. Von jeher haben die Zoologen in der Betrachtung der Mißge- burten und der abweichenden Formen einen reichen Stoff gefunden, um ihre Kenntniſſe des regelmäßig ſich entwickelnden Organismus zu läutern und auszubreiten. Es läßt ſich daher auch erwarten, daß in der Pflanzenwelt ähnliche Verhältniſſe ähnlichen Werth haben werden, und welche Familie könnte man beſſer zu dieſem Zwecke auswählen, als die der Cacteen, die nur ein natürliches Muſeum von Mißgeburten zu ſeyn ſcheint und deren Formen zum Theil ſo ab- norm ſind, daß man eine Art überhaupt nicht anders als mit dem Na- men des monſtröſen Cactus (Cereus monstrosus) zu bezeichnen wußte. Auch haben ſie in vielfacher Hinſicht die Aufmerkſamkeit der Botaniker auf ſich gezogen und es haben ſich manche ſowohl anato- miſche als phyſiologiſche Eigenthümlichkeiten ergeben, durch welche ſie von allen übrigen ſelbſt den nächſt verwandten Pflanzen abweichen. Ja die Ergebniſſe würden ſicher noch viel intereſſanter ſeyn, wenn es nicht ſo unendlich ſchwer wäre, ſich das Material für die Unterſuchung zu verſchaffen, indem nur zu ſelten Gärtner und Blumenliebhaber ſich geneigt zeigen, ihre Lieblinge dem Meſſer der Wiſſenſchaft zu opfern. Die Cacteen haben lange Zeit in der Wiſſenſchaft zur Stütze eines Satzes dienen müſſen, der durchaus falſch, doch häufig genug ſelbſt von ausgezeichneten Botanikern behauptet worden iſt, ich meine nämlich die Anſicht, als könnten viele oder gar alle Pflanzen ihre Nahrung aus der

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/220>, abgerufen am 23.11.2024.