Nur eine Pflanze zeichnet sich unter den Culturpflanzen noch durch eine besondere Vegetationsweise aus, eine Pflanze die vielleicht das erste Geschenk der Natur an den erwachenden Menschen und so- mit der Gegenstand der allerältesten Cultur ist, ich meine die Ba- nane*). Und nicht nur die erste, auch die werthvollste Gabe der Natur ist diese Pflanze, deren schwacharomatische, süße und nahrhafte Früchte dem größten Theil der Bewohner der heißern Landstriche die Einzige oder doch die vornehmste Nahrung sind. Ein unter der Erde fortkriechender Wurzelstock treibt aus seitlichen Augen einen 15 -- 20 Fuß langen Schaft in die Höhe, der nur aus den überein- andergerollten, scheidenförmigen Blattstielen besteht, welche die oft 10 Fuß langen und 2 Fuß breiten sammetartig glänzenden Blätter tragen; nur die Mittelrippe des Blattes ist derb und dick, die Blatt- fläche zu beiden Seiten aber so zart, daß sie vom Winde leicht zerris- sen wird, wodurch das Blatt ein eigenthümlich gefiedertes Ansehn erhält **). Zwischen den Blättern hervor drängt sich der reiche Blü- thenbüschel, der schon drei Monate nachdem der Trieb sich erhoben 150 bis 180 reife Früchte, etwa von der Größe und Form einer Gurke, gebildet hat. Die Früchte zusammen wiegen etwa 70--80 Pfd. und derselbe Raum, welcher im Stande ist 1000 Pfd. Kartoffeln zu tragen, bringt in bedeutend kürzerer Zeit 44,000 Pfd. Bananen hervor, und wenn wir den Nahrungsstoff selbst in Rechnung bringen, den diese Frucht enthält, so kann eine Fläche, die mit Weizen bestellt einen Menschen ernährt, mit Bananen bepflanzt, fünf und zwanzigen ihren Unterhalt gewähren. Nichts fällt einem Europäer, der in der heißen Zone landet, anfänglich so sehr auf als das winzige Fleckchen Culturland um eine Hütte, die eine höchst zahlreiche Indianerfamilie birgt. --
Erst bei Weitem später lernte der Mensch die Gaben der Ceres kennen und anbauen. Jetzt muß es uns in der That überraschen zu sehen, daß bei Weitem dem größten Theile aller Menschen nur
*)Musa sapientum.
**) S. das Titelblatt rechts unter der Cocospalme.
Nur eine Pflanze zeichnet ſich unter den Culturpflanzen noch durch eine beſondere Vegetationsweiſe aus, eine Pflanze die vielleicht das erſte Geſchenk der Natur an den erwachenden Menſchen und ſo- mit der Gegenſtand der allerälteſten Cultur iſt, ich meine die Ba- nane*). Und nicht nur die erſte, auch die werthvollſte Gabe der Natur iſt dieſe Pflanze, deren ſchwacharomatiſche, ſüße und nahrhafte Früchte dem größten Theil der Bewohner der heißern Landſtriche die Einzige oder doch die vornehmſte Nahrung ſind. Ein unter der Erde fortkriechender Wurzelſtock treibt aus ſeitlichen Augen einen 15 — 20 Fuß langen Schaft in die Höhe, der nur aus den überein- andergerollten, ſcheidenförmigen Blattſtielen beſteht, welche die oft 10 Fuß langen und 2 Fuß breiten ſammetartig glänzenden Blätter tragen; nur die Mittelrippe des Blattes iſt derb und dick, die Blatt- fläche zu beiden Seiten aber ſo zart, daß ſie vom Winde leicht zerriſ- ſen wird, wodurch das Blatt ein eigenthümlich gefiedertes Anſehn erhält **). Zwiſchen den Blättern hervor drängt ſich der reiche Blü- thenbüſchel, der ſchon drei Monate nachdem der Trieb ſich erhoben 150 bis 180 reife Früchte, etwa von der Größe und Form einer Gurke, gebildet hat. Die Früchte zuſammen wiegen etwa 70—80 Pfd. und derſelbe Raum, welcher im Stande iſt 1000 Pfd. Kartoffeln zu tragen, bringt in bedeutend kürzerer Zeit 44,000 Pfd. Bananen hervor, und wenn wir den Nahrungsſtoff ſelbſt in Rechnung bringen, den dieſe Frucht enthält, ſo kann eine Fläche, die mit Weizen beſtellt einen Menſchen ernährt, mit Bananen bepflanzt, fünf und zwanzigen ihren Unterhalt gewähren. Nichts fällt einem Europäer, der in der heißen Zone landet, anfänglich ſo ſehr auf als das winzige Fleckchen Culturland um eine Hütte, die eine höchſt zahlreiche Indianerfamilie birgt. —
Erſt bei Weitem ſpäter lernte der Menſch die Gaben der Ceres kennen und anbauen. Jetzt muß es uns in der That überraſchen zu ſehen, daß bei Weitem dem größten Theile aller Menſchen nur
*)Musa sapientum.
**) S. das Titelblatt rechts unter der Cocospalme.
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Nur eine Pflanze zeichnet ſich unter den Culturpflanzen noch
durch eine beſondere Vegetationsweiſe aus, eine Pflanze die vielleicht
das erſte Geſchenk der Natur an den erwachenden Menſchen und ſo-
mit der Gegenſtand der allerälteſten Cultur iſt, ich meine die Ba-
nane *). Und nicht nur die erſte, auch die werthvollſte Gabe der
Natur iſt dieſe Pflanze, deren ſchwacharomatiſche, ſüße und nahrhafte
Früchte dem größten Theil der Bewohner der heißern Landſtriche die
Einzige oder doch die vornehmſte Nahrung ſind. Ein unter der
Erde fortkriechender Wurzelſtock treibt aus ſeitlichen Augen einen
15 — 20 Fuß langen Schaft in die Höhe, der nur aus den überein-
andergerollten, ſcheidenförmigen Blattſtielen beſteht, welche die oft
10 Fuß langen und 2 Fuß breiten ſammetartig glänzenden Blätter
tragen; nur die Mittelrippe des Blattes iſt derb und dick, die Blatt-
fläche zu beiden Seiten aber ſo zart, daß ſie vom Winde leicht zerriſ-
ſen wird, wodurch das Blatt ein eigenthümlich gefiedertes Anſehn
erhält **). Zwiſchen den Blättern hervor drängt ſich der reiche Blü-
thenbüſchel, der ſchon drei Monate nachdem der Trieb ſich erhoben
150 bis 180 reife Früchte, etwa von der Größe und Form einer
Gurke, gebildet hat. Die Früchte zuſammen wiegen etwa 70—80
Pfd. und derſelbe Raum, welcher im Stande iſt 1000 Pfd. Kartoffeln
zu tragen, bringt in bedeutend kürzerer Zeit 44,000 Pfd. Bananen
hervor, und wenn wir den Nahrungsſtoff ſelbſt in Rechnung bringen,
den dieſe Frucht enthält, ſo kann eine Fläche, die mit Weizen beſtellt
einen Menſchen ernährt, mit Bananen bepflanzt, fünf und zwanzigen
ihren Unterhalt gewähren. Nichts fällt einem Europäer, der in der
heißen Zone landet, anfänglich ſo ſehr auf als das winzige Fleckchen
Culturland um eine Hütte, die eine höchſt zahlreiche Indianerfamilie
birgt. —
Erſt bei Weitem ſpäter lernte der Menſch die Gaben der Ceres
kennen und anbauen. Jetzt muß es uns in der That überraſchen
zu ſehen, daß bei Weitem dem größten Theile aller Menſchen nur
*) Musa sapientum.
**) S. das Titelblatt rechts unter der Cocospalme.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/260>, abgerufen am 21.11.2024.
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