fangsloser Zeit gewesen, ist nicht Spiel einer blinden Bildungskraft, nicht Product einer starren Nothwendigkeit, eines Schicksals, sondern es ist die freie That eines heiligen Urhebers, einer ewigen Liebe." In diesem Sinne hat sich keiner der Menschenstämme je zu dem Begriffe der Schöpfung erhoben, denn selbst die nahe anklingende und offenbar verwandte Brahmasage ist, gegen diesen einfachen, klaren Gedanken gehalten, phantastisch verworren und sinnlich unklar. -- Immer bis in die fernsten Zeiten wird es unverändert wiederhallen: "Gott schuf die Welt;" aber weit hinaus sind wir schon über die damit vermengten naturwissenschaftlichen Anfänge. Sie beziehen sich nicht auf die Welt, sondern auf eines der kleinsten Stäubchen von Einem der unzählbaren Staubhäufchen, die im Aethermeere ihren endlosen Reigen tanzen. Von allen jenen Millionen andern größern, wunder- baren Weltkörpern wissen wir über Entstehung und Entwicklung nichts. Von der Welt wissen wir nur, sie ist da und gehorcht jetzt einfachen, ausnahmslosen Naturgesetzen; jene mosaische Schöpfungs- geschichte dagegen ist zusammengeschmolzen zu Einer Zeile in dem Riesenbuche, welches die zeitlichen Veränderungen des schon Geschaf- fenen erzählt, eine Zeile, von der wir zwar einige Buchstaben mehr entziffert haben als die Menschheit zu Moses Zeit, aber ohne daß wir sie schon vollständig lesen könnten. Wir wollen versuchen, wie wir die entzifferten Buchstaben zu einem verständlichen Ganzen zusammen- fassen können.
Der erste Zustand der Erde, auf dessen Kenntniß noch mehr als bloße Träumereien, und wenigstens wohl geordnete wissenschaftliche Analogieen hinführen, ist der einer geschmolzenen, feurigflüssigen Masse, umgeben von einer dichten Atmosphäre, welche sämmtliche jetzt auf der Erde fließende Gewässer als Dampf enthielt, vielleicht eine beträchtlich größere Menge Sauerstoff, sicher aber einen ungleich größeren Antheil an Kohlensäure als jetzt zu ihren Bestand- theilen zählte. In dem nach ungefähren Schätzungen wenigstens -- 40 Grad kalten Weltraum mußte die Erde sich allmälig abkühlen, die geschmolzenen Massen mußten erstarren und so bildete sich eine
fangsloſer Zeit geweſen, iſt nicht Spiel einer blinden Bildungskraft, nicht Product einer ſtarren Nothwendigkeit, eines Schickſals, ſondern es iſt die freie That eines heiligen Urhebers, einer ewigen Liebe.“ In dieſem Sinne hat ſich keiner der Menſchenſtämme je zu dem Begriffe der Schöpfung erhoben, denn ſelbſt die nahe anklingende und offenbar verwandte Brahmaſage iſt, gegen dieſen einfachen, klaren Gedanken gehalten, phantaſtiſch verworren und ſinnlich unklar. — Immer bis in die fernſten Zeiten wird es unverändert wiederhallen: „Gott ſchuf die Welt;“ aber weit hinaus ſind wir ſchon über die damit vermengten naturwiſſenſchaftlichen Anfänge. Sie beziehen ſich nicht auf die Welt, ſondern auf eines der kleinſten Stäubchen von Einem der unzählbaren Staubhäufchen, die im Aethermeere ihren endloſen Reigen tanzen. Von allen jenen Millionen andern größern, wunder- baren Weltkörpern wiſſen wir über Entſtehung und Entwicklung nichts. Von der Welt wiſſen wir nur, ſie iſt da und gehorcht jetzt einfachen, ausnahmsloſen Naturgeſetzen; jene moſaiſche Schöpfungs- geſchichte dagegen iſt zuſammengeſchmolzen zu Einer Zeile in dem Rieſenbuche, welches die zeitlichen Veränderungen des ſchon Geſchaf- fenen erzählt, eine Zeile, von der wir zwar einige Buchſtaben mehr entziffert haben als die Menſchheit zu Moſes Zeit, aber ohne daß wir ſie ſchon vollſtändig leſen könnten. Wir wollen verſuchen, wie wir die entzifferten Buchſtaben zu einem verſtändlichen Ganzen zuſammen- faſſen können.
Der erſte Zuſtand der Erde, auf deſſen Kenntniß noch mehr als bloße Träumereien, und wenigſtens wohl geordnete wiſſenſchaftliche Analogieen hinführen, iſt der einer geſchmolzenen, feurigflüſſigen Maſſe, umgeben von einer dichten Atmoſphäre, welche ſämmtliche jetzt auf der Erde fließende Gewäſſer als Dampf enthielt, vielleicht eine beträchtlich größere Menge Sauerſtoff, ſicher aber einen ungleich größeren Antheil an Kohlenſäure als jetzt zu ihren Beſtand- theilen zählte. In dem nach ungefähren Schätzungen wenigſtens — 40 Grad kalten Weltraum mußte die Erde ſich allmälig abkühlen, die geſchmolzenen Maſſen mußten erſtarren und ſo bildete ſich eine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0270"n="254"/>
fangsloſer Zeit geweſen, iſt nicht Spiel einer blinden Bildungskraft,<lb/>
nicht Product einer ſtarren Nothwendigkeit, eines Schickſals, ſondern<lb/>
es iſt die freie That eines heiligen Urhebers, einer ewigen Liebe.“ In<lb/>
dieſem Sinne hat ſich keiner der Menſchenſtämme je zu dem Begriffe<lb/>
der <hirendition="#g">Schöpfung</hi> erhoben, denn ſelbſt die nahe anklingende und<lb/>
offenbar verwandte <hirendition="#g">Brahmaſage</hi> iſt, gegen dieſen einfachen, klaren<lb/>
Gedanken gehalten, phantaſtiſch verworren und ſinnlich unklar. —<lb/>
Immer bis in die fernſten Zeiten wird es unverändert wiederhallen:<lb/>„Gott ſchuf die Welt;“ aber weit hinaus ſind wir ſchon über die<lb/>
damit vermengten naturwiſſenſchaftlichen Anfänge. Sie beziehen ſich<lb/>
nicht auf die Welt, ſondern auf eines der kleinſten Stäubchen von Einem<lb/>
der unzählbaren Staubhäufchen, die im Aethermeere ihren endloſen<lb/>
Reigen tanzen. Von allen jenen Millionen andern größern, wunder-<lb/>
baren Weltkörpern wiſſen wir über Entſtehung und Entwicklung<lb/>
nichts. Von der Welt wiſſen wir nur, ſie iſt da und gehorcht jetzt<lb/>
einfachen, ausnahmsloſen Naturgeſetzen; jene moſaiſche Schöpfungs-<lb/>
geſchichte dagegen iſt zuſammengeſchmolzen zu Einer Zeile in dem<lb/>
Rieſenbuche, welches die zeitlichen Veränderungen des ſchon Geſchaf-<lb/>
fenen erzählt, eine Zeile, von der wir zwar einige Buchſtaben mehr<lb/>
entziffert haben als die Menſchheit zu Moſes Zeit, aber ohne daß wir<lb/>ſie ſchon vollſtändig leſen könnten. Wir wollen verſuchen, wie wir<lb/>
die entzifferten Buchſtaben zu einem verſtändlichen Ganzen zuſammen-<lb/>
faſſen können.</p><lb/><p>Der erſte Zuſtand der Erde, auf deſſen Kenntniß noch<lb/>
mehr als bloße Träumereien, und wenigſtens wohl geordnete<lb/>
wiſſenſchaftliche Analogieen hinführen, iſt der einer geſchmolzenen,<lb/>
feurigflüſſigen Maſſe, umgeben von einer dichten Atmoſphäre, welche<lb/>ſämmtliche jetzt auf der Erde fließende Gewäſſer als Dampf enthielt,<lb/>
vielleicht eine beträchtlich größere Menge Sauerſtoff, ſicher aber einen<lb/>
ungleich größeren Antheil an Kohlenſäure als jetzt zu ihren Beſtand-<lb/>
theilen zählte. In dem nach ungefähren Schätzungen wenigſtens<lb/>— 40 Grad kalten Weltraum mußte die Erde ſich allmälig abkühlen,<lb/>
die geſchmolzenen Maſſen mußten erſtarren und ſo bildete ſich eine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[254/0270]
fangsloſer Zeit geweſen, iſt nicht Spiel einer blinden Bildungskraft,
nicht Product einer ſtarren Nothwendigkeit, eines Schickſals, ſondern
es iſt die freie That eines heiligen Urhebers, einer ewigen Liebe.“ In
dieſem Sinne hat ſich keiner der Menſchenſtämme je zu dem Begriffe
der Schöpfung erhoben, denn ſelbſt die nahe anklingende und
offenbar verwandte Brahmaſage iſt, gegen dieſen einfachen, klaren
Gedanken gehalten, phantaſtiſch verworren und ſinnlich unklar. —
Immer bis in die fernſten Zeiten wird es unverändert wiederhallen:
„Gott ſchuf die Welt;“ aber weit hinaus ſind wir ſchon über die
damit vermengten naturwiſſenſchaftlichen Anfänge. Sie beziehen ſich
nicht auf die Welt, ſondern auf eines der kleinſten Stäubchen von Einem
der unzählbaren Staubhäufchen, die im Aethermeere ihren endloſen
Reigen tanzen. Von allen jenen Millionen andern größern, wunder-
baren Weltkörpern wiſſen wir über Entſtehung und Entwicklung
nichts. Von der Welt wiſſen wir nur, ſie iſt da und gehorcht jetzt
einfachen, ausnahmsloſen Naturgeſetzen; jene moſaiſche Schöpfungs-
geſchichte dagegen iſt zuſammengeſchmolzen zu Einer Zeile in dem
Rieſenbuche, welches die zeitlichen Veränderungen des ſchon Geſchaf-
fenen erzählt, eine Zeile, von der wir zwar einige Buchſtaben mehr
entziffert haben als die Menſchheit zu Moſes Zeit, aber ohne daß wir
ſie ſchon vollſtändig leſen könnten. Wir wollen verſuchen, wie wir
die entzifferten Buchſtaben zu einem verſtändlichen Ganzen zuſammen-
faſſen können.
Der erſte Zuſtand der Erde, auf deſſen Kenntniß noch
mehr als bloße Träumereien, und wenigſtens wohl geordnete
wiſſenſchaftliche Analogieen hinführen, iſt der einer geſchmolzenen,
feurigflüſſigen Maſſe, umgeben von einer dichten Atmoſphäre, welche
ſämmtliche jetzt auf der Erde fließende Gewäſſer als Dampf enthielt,
vielleicht eine beträchtlich größere Menge Sauerſtoff, ſicher aber einen
ungleich größeren Antheil an Kohlenſäure als jetzt zu ihren Beſtand-
theilen zählte. In dem nach ungefähren Schätzungen wenigſtens
— 40 Grad kalten Weltraum mußte die Erde ſich allmälig abkühlen,
die geſchmolzenen Maſſen mußten erſtarren und ſo bildete ſich eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/270>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.