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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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wissen, von dem, was zu verschiedenen Zeiten der Erde war, und
gleichwohl möchte Manchem die Frage nach Dem was wir nicht
wissen
, nach dem wie es wurde, ein nicht minder großes Interesse
zu haben scheinen. Hier nun gerathen wir fast ganz in das Gebiet der
willkürlichen Phantasiespiele, nur schwankende Analogieen können wir
hin und wieder herbeiziehen, um uns die Bilder mit einem schwachen
Schein von Wahrscheinlichkeit auszumalen, und so natürlich es auf der
einen Seite ist, daß hier die Ansichten der einzelnen Forscher unendlich
von einander abweichen, so lächerlich und zwecklos ist es doch auf der
andern Seite, sich über diese oder jede Meinung, über die Wahrheit
oder Falschheit eines wachen Traumes zu streiten, wie nur zu oft
geschehen ist.

Daß einmal wenigstens aus dem Kampf der unorganischen Ele-
mente die Keime des organischen Lebens an der Erde hervorgegangen
seyn müssen, leidet keinen Zweifel, aber eine andere Frage ist die:
hat dieser Vorgang öfter Statt gefunden und mußte er öfter Statt
finden? -- Da in dieser Sache jeder seine Phantasieen für sich hat
und haben darf, warum ich nicht die Meinige auch. Ich halte die
Annahme einer mehrmaligen Urzeugung, einer ganz neuen Ent-
stehung von Pflanzenkeimen aus unorganisirten oder selbst unorgani-
schen Stoffen, für überflüssig und folglich für verwerflich und zwar
aus der Zusammenstellung folgender Betrachtungen über die allmä-
lige Entwicklung der Pflanzenwelt. Die einfachste Grundlage der
ganzen Pflanzenwelt ist die Zelle *), ein sehr einfach gebauter Orga-
nismus, dessen Entstehung aus dem eigenthümlichen Zusammentreten
von Kohlensäure und Wasser einerseits zu Gummi und Pflanzen-
gallerte, und von Kohlensäure und Ammoniak andererseits zu Schleim
oder Eiweiß, einer möglichen Erklärung nicht so sehr sich entzieht als
die plötzliche Entstehung eines Pflanzenkeims mit ganz bestimmten
Entwicklungsvermögen zu einer eigenthümlichen Pflanzenart. Daß
die Zelle als eine selbstständige Pflanze fortvegetiren kann, wissen wir

*) Man vergl. die zweite, dritte und vierte Vorlesung.

wiſſen, von dem, was zu verſchiedenen Zeiten der Erde war, und
gleichwohl möchte Manchem die Frage nach Dem was wir nicht
wiſſen
, nach dem wie es wurde, ein nicht minder großes Intereſſe
zu haben ſcheinen. Hier nun gerathen wir faſt ganz in das Gebiet der
willkürlichen Phantaſieſpiele, nur ſchwankende Analogieen können wir
hin und wieder herbeiziehen, um uns die Bilder mit einem ſchwachen
Schein von Wahrſcheinlichkeit auszumalen, und ſo natürlich es auf der
einen Seite iſt, daß hier die Anſichten der einzelnen Forſcher unendlich
von einander abweichen, ſo lächerlich und zwecklos iſt es doch auf der
andern Seite, ſich über dieſe oder jede Meinung, über die Wahrheit
oder Falſchheit eines wachen Traumes zu ſtreiten, wie nur zu oft
geſchehen iſt.

Daß einmal wenigſtens aus dem Kampf der unorganiſchen Ele-
mente die Keime des organiſchen Lebens an der Erde hervorgegangen
ſeyn müſſen, leidet keinen Zweifel, aber eine andere Frage iſt die:
hat dieſer Vorgang öfter Statt gefunden und mußte er öfter Statt
finden? — Da in dieſer Sache jeder ſeine Phantaſieen für ſich hat
und haben darf, warum ich nicht die Meinige auch. Ich halte die
Annahme einer mehrmaligen Urzeugung, einer ganz neuen Ent-
ſtehung von Pflanzenkeimen aus unorganiſirten oder ſelbſt unorgani-
ſchen Stoffen, für überflüſſig und folglich für verwerflich und zwar
aus der Zuſammenſtellung folgender Betrachtungen über die allmä-
lige Entwicklung der Pflanzenwelt. Die einfachſte Grundlage der
ganzen Pflanzenwelt iſt die Zelle *), ein ſehr einfach gebauter Orga-
nismus, deſſen Entſtehung aus dem eigenthümlichen Zuſammentreten
von Kohlenſäure und Waſſer einerſeits zu Gummi und Pflanzen-
gallerte, und von Kohlenſäure und Ammoniak andererſeits zu Schleim
oder Eiweiß, einer möglichen Erklärung nicht ſo ſehr ſich entzieht als
die plötzliche Entſtehung eines Pflanzenkeims mit ganz beſtimmten
Entwicklungsvermögen zu einer eigenthümlichen Pflanzenart. Daß
die Zelle als eine ſelbſtſtändige Pflanze fortvegetiren kann, wiſſen wir

*) Man vergl. die zweite, dritte und vierte Vorleſung.
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[267/0283] wiſſen, von dem, was zu verſchiedenen Zeiten der Erde war, und gleichwohl möchte Manchem die Frage nach Dem was wir nicht wiſſen, nach dem wie es wurde, ein nicht minder großes Intereſſe zu haben ſcheinen. Hier nun gerathen wir faſt ganz in das Gebiet der willkürlichen Phantaſieſpiele, nur ſchwankende Analogieen können wir hin und wieder herbeiziehen, um uns die Bilder mit einem ſchwachen Schein von Wahrſcheinlichkeit auszumalen, und ſo natürlich es auf der einen Seite iſt, daß hier die Anſichten der einzelnen Forſcher unendlich von einander abweichen, ſo lächerlich und zwecklos iſt es doch auf der andern Seite, ſich über dieſe oder jede Meinung, über die Wahrheit oder Falſchheit eines wachen Traumes zu ſtreiten, wie nur zu oft geſchehen iſt. Daß einmal wenigſtens aus dem Kampf der unorganiſchen Ele- mente die Keime des organiſchen Lebens an der Erde hervorgegangen ſeyn müſſen, leidet keinen Zweifel, aber eine andere Frage iſt die: hat dieſer Vorgang öfter Statt gefunden und mußte er öfter Statt finden? — Da in dieſer Sache jeder ſeine Phantaſieen für ſich hat und haben darf, warum ich nicht die Meinige auch. Ich halte die Annahme einer mehrmaligen Urzeugung, einer ganz neuen Ent- ſtehung von Pflanzenkeimen aus unorganiſirten oder ſelbſt unorgani- ſchen Stoffen, für überflüſſig und folglich für verwerflich und zwar aus der Zuſammenſtellung folgender Betrachtungen über die allmä- lige Entwicklung der Pflanzenwelt. Die einfachſte Grundlage der ganzen Pflanzenwelt iſt die Zelle *), ein ſehr einfach gebauter Orga- nismus, deſſen Entſtehung aus dem eigenthümlichen Zuſammentreten von Kohlenſäure und Waſſer einerſeits zu Gummi und Pflanzen- gallerte, und von Kohlenſäure und Ammoniak andererſeits zu Schleim oder Eiweiß, einer möglichen Erklärung nicht ſo ſehr ſich entzieht als die plötzliche Entſtehung eines Pflanzenkeims mit ganz beſtimmten Entwicklungsvermögen zu einer eigenthümlichen Pflanzenart. Daß die Zelle als eine ſelbſtſtändige Pflanze fortvegetiren kann, wiſſen wir *) Man vergl. die zweite, dritte und vierte Vorleſung.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/283>, abgerufen am 21.11.2024.