Italien und Sicilien verändert. In der Mitte des 17. Jahrhun- derts kam in einem ausgestopften Vogel ein Saame von Erigeron canadense nach Europa, wurde gesäet und jetzt ist die Pflanze überall in ganz Europa auf Plätzen verbreitet, wo kein Mensch jemals sie hingebracht hat. Die Bildung der Saamen und Früchte, welche sie geschickt macht weit vom Winde fortgetragen zu werden, die Gefrä- ßigkeit der Vögel, welche den unverdaulichen Saamen mit verschlin- gen, der dann nachher oft in weiter Entfernung von seiner Mutter- pflanze im Auswurf des Vogels keimt und ähnliche Verhältnisse sind es, die diese leichte Verbreitung der Gewächse erklären.
Ungleich bedeutender aber als alle diese Veränderungen im Klei- nen und Einzelnen sind die climatischen Veränderungen, welche die Zeit oder die Einwirkung der Menschen auf der Erde und in der Pflanzenwelt hervorruft. Zwar wissen wir, daß die Gesammt- menge der unserer Erde zukommenden Wärme sich seit Jahrtausenden nicht um so viel verändert hat, um auch nur die geringste Verän- derung in der Pflanzenwelt, die dadurch allein bedingt wäre, hervor- zurufen, aber die Vertheilung der Wärme auf der Erde und in den verschiedenen Jahreszeiten kann im Laufe der Zeit eine wesentlich verschiedene werden und dadurch die ganze Physiognomie eines Landes umgestalten. Das unglückliche Island hatte noch vor wenigen Jahr- hunderten Getreidebau *), der jetzt ganz aufgehört hat und sich auf einige dürftige, in den meisten Jahren fehlschlagende Gerstenärndten beschränkt; die sonst dichte Wälder bildende Birke ist jetzt zu kurzem Gestrüpp verkümmert. Bekannt ist die wesentliche Veränderung des Climas, welche, mit dem zwölften Jahrhundert beginnend, Grönland zu einer fast unbewohnten Eiswüste gemacht hat.
So sehr nun auch diese Vorgänge im Großen der Willkühr des Menschen entzogen scheinen, so ist dies doch keineswegs der Fall und seine fortgesetzte auf einen bestimmten Punct gerichtete Thätigkeit ver-
*) sogar bedeutenden Roggenbau.
Italien und Sicilien verändert. In der Mitte des 17. Jahrhun- derts kam in einem ausgeſtopften Vogel ein Saame von Erigeron canadense nach Europa, wurde geſäet und jetzt iſt die Pflanze überall in ganz Europa auf Plätzen verbreitet, wo kein Menſch jemals ſie hingebracht hat. Die Bildung der Saamen und Früchte, welche ſie geſchickt macht weit vom Winde fortgetragen zu werden, die Gefrä- ßigkeit der Vögel, welche den unverdaulichen Saamen mit verſchlin- gen, der dann nachher oft in weiter Entfernung von ſeiner Mutter- pflanze im Auswurf des Vogels keimt und ähnliche Verhältniſſe ſind es, die dieſe leichte Verbreitung der Gewächſe erklären.
Ungleich bedeutender aber als alle dieſe Veränderungen im Klei- nen und Einzelnen ſind die climatiſchen Veränderungen, welche die Zeit oder die Einwirkung der Menſchen auf der Erde und in der Pflanzenwelt hervorruft. Zwar wiſſen wir, daß die Geſammt- menge der unſerer Erde zukommenden Wärme ſich ſeit Jahrtauſenden nicht um ſo viel verändert hat, um auch nur die geringſte Verän- derung in der Pflanzenwelt, die dadurch allein bedingt wäre, hervor- zurufen, aber die Vertheilung der Wärme auf der Erde und in den verſchiedenen Jahreszeiten kann im Laufe der Zeit eine weſentlich verſchiedene werden und dadurch die ganze Phyſiognomie eines Landes umgeſtalten. Das unglückliche Island hatte noch vor wenigen Jahr- hunderten Getreidebau *), der jetzt ganz aufgehört hat und ſich auf einige dürftige, in den meiſten Jahren fehlſchlagende Gerſtenärndten beſchränkt; die ſonſt dichte Wälder bildende Birke iſt jetzt zu kurzem Geſtrüpp verkümmert. Bekannt iſt die weſentliche Veränderung des Climas, welche, mit dem zwölften Jahrhundert beginnend, Grönland zu einer faſt unbewohnten Eiswüſte gemacht hat.
So ſehr nun auch dieſe Vorgänge im Großen der Willkühr des Menſchen entzogen ſcheinen, ſo iſt dies doch keineswegs der Fall und ſeine fortgeſetzte auf einen beſtimmten Punct gerichtete Thätigkeit ver-
*) ſogar bedeutenden Roggenbau.
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Italien und Sicilien verändert. In der Mitte des 17. Jahrhun-
derts kam in einem ausgeſtopften Vogel ein Saame von Erigeron
canadense nach Europa, wurde geſäet und jetzt iſt die Pflanze überall
in ganz Europa auf Plätzen verbreitet, wo kein Menſch jemals ſie
hingebracht hat. Die Bildung der Saamen und Früchte, welche ſie
geſchickt macht weit vom Winde fortgetragen zu werden, die Gefrä-
ßigkeit der Vögel, welche den unverdaulichen Saamen mit verſchlin-
gen, der dann nachher oft in weiter Entfernung von ſeiner Mutter-
pflanze im Auswurf des Vogels keimt und ähnliche Verhältniſſe
ſind es, die dieſe leichte Verbreitung der Gewächſe erklären.
Ungleich bedeutender aber als alle dieſe Veränderungen im Klei-
nen und Einzelnen ſind die climatiſchen Veränderungen, welche die
Zeit oder die Einwirkung der Menſchen auf der Erde und in der
Pflanzenwelt hervorruft. Zwar wiſſen wir, daß die Geſammt-
menge der unſerer Erde zukommenden Wärme ſich ſeit Jahrtauſenden
nicht um ſo viel verändert hat, um auch nur die geringſte Verän-
derung in der Pflanzenwelt, die dadurch allein bedingt wäre, hervor-
zurufen, aber die Vertheilung der Wärme auf der Erde und in
den verſchiedenen Jahreszeiten kann im Laufe der Zeit eine weſentlich
verſchiedene werden und dadurch die ganze Phyſiognomie eines Landes
umgeſtalten. Das unglückliche Island hatte noch vor wenigen Jahr-
hunderten Getreidebau *), der jetzt ganz aufgehört hat und ſich auf
einige dürftige, in den meiſten Jahren fehlſchlagende Gerſtenärndten
beſchränkt; die ſonſt dichte Wälder bildende Birke iſt jetzt zu kurzem
Geſtrüpp verkümmert. Bekannt iſt die weſentliche Veränderung des
Climas, welche, mit dem zwölften Jahrhundert beginnend, Grönland
zu einer faſt unbewohnten Eiswüſte gemacht hat.
So ſehr nun auch dieſe Vorgänge im Großen der Willkühr des
Menſchen entzogen ſcheinen, ſo iſt dies doch keineswegs der Fall und
ſeine fortgeſetzte auf einen beſtimmten Punct gerichtete Thätigkeit ver-
*) ſogar bedeutenden Roggenbau.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/296>, abgerufen am 21.11.2024.
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