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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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störten Hütte auffinden helfen. Nirgends haben sich europäische
Pflanzen in so großer Menge vermehrt als in den Gefilden zwischen
Theresia und Montevideo und von dieser Stadt aus bis zum Rio
negro
. Schon haben sich in der Umgegend von Sta. Theresia
das Veilchen, der Borretsch, einige Geranien, der Fenchel
und Andere angesiedelt. Ueberall findet man unsere Malven und
Camillen; unsere Mariendistel, besonders aber unsere Arti-
schocken
, welche in die Ebene des Rio de la Plata und Uru-
guay
eingeführt sind, bedecken jetzt unermeßliche Landstriche und
machen sie zu Weiden untauglich." -- Nach den Befreiungskriegen fand
sich an vielen Stellen, wo Kosacken gelagert, z. B. um Schwetzi-
gen
, eine den Gänsefußarten verwandte Pflanze *) ein, welche
sonst ausschließlich in den Steppen am Dnieper einheimisch ist,
und in ähnlicher Weise verbreitete sich die Bunias orientalis mit den
russischen Heereszügen von 1814 durch Deutschland bis Paris.

Aber auch ganz ohne Mitwirkung des Menschen finden sich solche
Wanderungen der Pflanzen. An die Ufer der Malediven treibt von
Meeresströmungen getragen die Sechellennuß **) und keimt dort
im Sande. Die ersten Ansiedler neuentstehender Coralleninseln im
stillen Ocean sind Cocospalmen und Pandaneen, deren durch
harte Schalen geschützte Früchte man überall in jenen Meeren treibend
findet. Flüsse führen die Saamen höherer Landstriche den Niederungen
zu und so verbreiten sich zum Beispiel an den Ufern der Alpenströme
in Süddeutschland, in Baiern und Würtemberg, Formen, die
ursprünglich höhern Bergen eigenthümlich waren. Unbeabsichtigt giebt
auch der Mensch den ersten Anstoß zu solchen Wanderungen, die dann
die Pflanze, unabhängig vom Menschen, fortsetzt. So hat sich der
Calmus über ganz Europa ausgebreitet, der anfänglich aus Indien
geholt in einigen botanischen Gärten gezogen wurde. Die india-
nische Feige
und die americanische Agave haben verwildernd
wesentlich die Physiognomie der Landschaft im südlichen Spanien,

*) Corispermum Marschallii.
**) Lodoicea sechellarum.

ſtörten Hütte auffinden helfen. Nirgends haben ſich europäiſche
Pflanzen in ſo großer Menge vermehrt als in den Gefilden zwiſchen
Thereſia und Montevideo und von dieſer Stadt aus bis zum Rio
negro
. Schon haben ſich in der Umgegend von Sta. Thereſia
das Veilchen, der Borretſch, einige Geranien, der Fenchel
und Andere angeſiedelt. Ueberall findet man unſere Malven und
Camillen; unſere Mariendiſtel, beſonders aber unſere Arti-
ſchocken
, welche in die Ebene des Rio de la Plata und Uru-
guay
eingeführt ſind, bedecken jetzt unermeßliche Landſtriche und
machen ſie zu Weiden untauglich.“ — Nach den Befreiungskriegen fand
ſich an vielen Stellen, wo Koſacken gelagert, z. B. um Schwetzi-
gen
, eine den Gänſefußarten verwandte Pflanze *) ein, welche
ſonſt ausſchließlich in den Steppen am Dnieper einheimiſch iſt,
und in ähnlicher Weiſe verbreitete ſich die Bunias orientalis mit den
ruſſiſchen Heereszügen von 1814 durch Deutſchland bis Paris.

Aber auch ganz ohne Mitwirkung des Menſchen finden ſich ſolche
Wanderungen der Pflanzen. An die Ufer der Malediven treibt von
Meeresſtrömungen getragen die Sechellennuß **) und keimt dort
im Sande. Die erſten Anſiedler neuentſtehender Coralleninſeln im
ſtillen Ocean ſind Cocospalmen und Pandaneen, deren durch
harte Schalen geſchützte Früchte man überall in jenen Meeren treibend
findet. Flüſſe führen die Saamen höherer Landſtriche den Niederungen
zu und ſo verbreiten ſich zum Beiſpiel an den Ufern der Alpenſtröme
in Süddeutſchland, in Baiern und Würtemberg, Formen, die
urſprünglich höhern Bergen eigenthümlich waren. Unbeabſichtigt giebt
auch der Menſch den erſten Anſtoß zu ſolchen Wanderungen, die dann
die Pflanze, unabhängig vom Menſchen, fortſetzt. So hat ſich der
Calmus über ganz Europa ausgebreitet, der anfänglich aus Indien
geholt in einigen botaniſchen Gärten gezogen wurde. Die india-
niſche Feige
und die americaniſche Agave haben verwildernd
weſentlich die Phyſiognomie der Landſchaft im ſüdlichen Spanien,

*) Corispermum Marschallii.
**) Lodoicea sechellarum.
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[279/0295] ſtörten Hütte auffinden helfen. Nirgends haben ſich europäiſche Pflanzen in ſo großer Menge vermehrt als in den Gefilden zwiſchen Thereſia und Montevideo und von dieſer Stadt aus bis zum Rio negro. Schon haben ſich in der Umgegend von Sta. Thereſia das Veilchen, der Borretſch, einige Geranien, der Fenchel und Andere angeſiedelt. Ueberall findet man unſere Malven und Camillen; unſere Mariendiſtel, beſonders aber unſere Arti- ſchocken, welche in die Ebene des Rio de la Plata und Uru- guay eingeführt ſind, bedecken jetzt unermeßliche Landſtriche und machen ſie zu Weiden untauglich.“ — Nach den Befreiungskriegen fand ſich an vielen Stellen, wo Koſacken gelagert, z. B. um Schwetzi- gen, eine den Gänſefußarten verwandte Pflanze *) ein, welche ſonſt ausſchließlich in den Steppen am Dnieper einheimiſch iſt, und in ähnlicher Weiſe verbreitete ſich die Bunias orientalis mit den ruſſiſchen Heereszügen von 1814 durch Deutſchland bis Paris. Aber auch ganz ohne Mitwirkung des Menſchen finden ſich ſolche Wanderungen der Pflanzen. An die Ufer der Malediven treibt von Meeresſtrömungen getragen die Sechellennuß **) und keimt dort im Sande. Die erſten Anſiedler neuentſtehender Coralleninſeln im ſtillen Ocean ſind Cocospalmen und Pandaneen, deren durch harte Schalen geſchützte Früchte man überall in jenen Meeren treibend findet. Flüſſe führen die Saamen höherer Landſtriche den Niederungen zu und ſo verbreiten ſich zum Beiſpiel an den Ufern der Alpenſtröme in Süddeutſchland, in Baiern und Würtemberg, Formen, die urſprünglich höhern Bergen eigenthümlich waren. Unbeabſichtigt giebt auch der Menſch den erſten Anſtoß zu ſolchen Wanderungen, die dann die Pflanze, unabhängig vom Menſchen, fortſetzt. So hat ſich der Calmus über ganz Europa ausgebreitet, der anfänglich aus Indien geholt in einigen botaniſchen Gärten gezogen wurde. Die india- niſche Feige und die americaniſche Agave haben verwildernd weſentlich die Phyſiognomie der Landſchaft im ſüdlichen Spanien, *) Corispermum Marschallii. **) Lodoicea sechellarum.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/295>, abgerufen am 21.11.2024.