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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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als den Fortschritt vom Einfacheren zum Zusammengesetzteren, vom
Unvollkommneren zum Vollkommneren und so hat jene andere Lehre
keinen Sinn für ihn, die hin und wieder aufgetaucht und vertheidigt
worden ist, nach welcher der Mensch vollkommen aus der Hand der
Schöpfung hervorging und allmälig durch Verderbniß und Verwil-
derung zu dem geworden ist, was er jetzt zeigt. Ich nannte den Fort-
schritt vom Unvollkommenen zum Vollkommneren, muß aber bemerken,
daß das nur ein Gleichniß, eine menschlich unbeholfne Vorstellung
ist, in der That aber auf die Producte der Natur und um so mehr
auf die Schöpfung eines heiligen Urhebers der Dinge keine Anwen-
dung findet.

"Wenn die Geschöpfe auch verschieden erscheinen, so sind sie doch
von gleicher Güte *)."

Wir müssen uns diesen Fortschritt vielmehr auf eine andere
Weise dem Verständnisse näher bringen. Die ganze Pflanzen-
welt wie die einzelne individuelle Pflanze entwickelt sich aus einer
Zelle. Die Zelle ist es, welche das ganze Pflanzenleben in seinen
mannigfachsten Erscheinungen, in seinen verwickelsten Zusammen-
setzungen in sich einschließt; in ihr ist aber Alles noch einfach und
leicht zu überschauen. Die Pflanzenzelle schreitet fort in ihrer Aus-
bildung und nach und nach nehmen einzelne Theile derselben eine
andere Bedeutung an als die übrigen. Die ganze Zelle ist anfäng-
lich gleichmäßig Organ der Nahrungsaufnahme, der Aneignung, der
Ausscheidung und der Fortpflanzung. Zuerst treten nur besondere
Theile der weiter entwickelten Zelle auf, welche ausschließlich die
Function der Fortpflanzung, die Bildung neuer Zellen übernehmen.
Nach und nach wird eine größere Menge von Zellen unter dem Um-
riß einer Pflanze vereinigt und dann vertheilen sich schon die einzelnen
Thätigkeiten auch an besondere Zellen, in denen sie wenigstens vor-
zugsweise hervortreten. Der Ernährungsproceß selbst ist anfänglich
sehr einfach; aus dem aufgenommenen Stoff wird direct das für das

*) "Ei gar diaphora ta ginomena, alla mias eisin agathotetos." Chry-
sostomus
peri pronoias.

als den Fortſchritt vom Einfacheren zum Zuſammengeſetzteren, vom
Unvollkommneren zum Vollkommneren und ſo hat jene andere Lehre
keinen Sinn für ihn, die hin und wieder aufgetaucht und vertheidigt
worden iſt, nach welcher der Menſch vollkommen aus der Hand der
Schöpfung hervorging und allmälig durch Verderbniß und Verwil-
derung zu dem geworden iſt, was er jetzt zeigt. Ich nannte den Fort-
ſchritt vom Unvollkommenen zum Vollkommneren, muß aber bemerken,
daß das nur ein Gleichniß, eine menſchlich unbeholfne Vorſtellung
iſt, in der That aber auf die Producte der Natur und um ſo mehr
auf die Schöpfung eines heiligen Urhebers der Dinge keine Anwen-
dung findet.

„Wenn die Geſchöpfe auch verſchieden erſcheinen, ſo ſind ſie doch
von gleicher Güte *).“

Wir müſſen uns dieſen Fortſchritt vielmehr auf eine andere
Weiſe dem Verſtändniſſe näher bringen. Die ganze Pflanzen-
welt wie die einzelne individuelle Pflanze entwickelt ſich aus einer
Zelle. Die Zelle iſt es, welche das ganze Pflanzenleben in ſeinen
mannigfachſten Erſcheinungen, in ſeinen verwickelſten Zuſammen-
ſetzungen in ſich einſchließt; in ihr iſt aber Alles noch einfach und
leicht zu überſchauen. Die Pflanzenzelle ſchreitet fort in ihrer Aus-
bildung und nach und nach nehmen einzelne Theile derſelben eine
andere Bedeutung an als die übrigen. Die ganze Zelle iſt anfäng-
lich gleichmäßig Organ der Nahrungsaufnahme, der Aneignung, der
Ausſcheidung und der Fortpflanzung. Zuerſt treten nur beſondere
Theile der weiter entwickelten Zelle auf, welche ausſchließlich die
Function der Fortpflanzung, die Bildung neuer Zellen übernehmen.
Nach und nach wird eine größere Menge von Zellen unter dem Um-
riß einer Pflanze vereinigt und dann vertheilen ſich ſchon die einzelnen
Thätigkeiten auch an beſondere Zellen, in denen ſie wenigſtens vor-
zugsweiſe hervortreten. Der Ernährungsproceß ſelbſt iſt anfänglich
ſehr einfach; aus dem aufgenommenen Stoff wird direct das für das

*) „Ἐί γὰϱ διάφοϱα τὰ γινόμενα, ἄλλα μιᾶς ἐισιν ἀγαϑότητος.“ Chry-
sostomus
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[288/0304] als den Fortſchritt vom Einfacheren zum Zuſammengeſetzteren, vom Unvollkommneren zum Vollkommneren und ſo hat jene andere Lehre keinen Sinn für ihn, die hin und wieder aufgetaucht und vertheidigt worden iſt, nach welcher der Menſch vollkommen aus der Hand der Schöpfung hervorging und allmälig durch Verderbniß und Verwil- derung zu dem geworden iſt, was er jetzt zeigt. Ich nannte den Fort- ſchritt vom Unvollkommenen zum Vollkommneren, muß aber bemerken, daß das nur ein Gleichniß, eine menſchlich unbeholfne Vorſtellung iſt, in der That aber auf die Producte der Natur und um ſo mehr auf die Schöpfung eines heiligen Urhebers der Dinge keine Anwen- dung findet. „Wenn die Geſchöpfe auch verſchieden erſcheinen, ſo ſind ſie doch von gleicher Güte *).“ Wir müſſen uns dieſen Fortſchritt vielmehr auf eine andere Weiſe dem Verſtändniſſe näher bringen. Die ganze Pflanzen- welt wie die einzelne individuelle Pflanze entwickelt ſich aus einer Zelle. Die Zelle iſt es, welche das ganze Pflanzenleben in ſeinen mannigfachſten Erſcheinungen, in ſeinen verwickelſten Zuſammen- ſetzungen in ſich einſchließt; in ihr iſt aber Alles noch einfach und leicht zu überſchauen. Die Pflanzenzelle ſchreitet fort in ihrer Aus- bildung und nach und nach nehmen einzelne Theile derſelben eine andere Bedeutung an als die übrigen. Die ganze Zelle iſt anfäng- lich gleichmäßig Organ der Nahrungsaufnahme, der Aneignung, der Ausſcheidung und der Fortpflanzung. Zuerſt treten nur beſondere Theile der weiter entwickelten Zelle auf, welche ausſchließlich die Function der Fortpflanzung, die Bildung neuer Zellen übernehmen. Nach und nach wird eine größere Menge von Zellen unter dem Um- riß einer Pflanze vereinigt und dann vertheilen ſich ſchon die einzelnen Thätigkeiten auch an beſondere Zellen, in denen ſie wenigſtens vor- zugsweiſe hervortreten. Der Ernährungsproceß ſelbſt iſt anfänglich ſehr einfach; aus dem aufgenommenen Stoff wird direct das für das *) „Ἐί γὰϱ διάφοϱα τὰ γινόμενα, ἄλλα μιᾶς ἐισιν ἀγαϑότητος.“ Chry- sostomus πεϱί πϱόνοιας.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/304>, abgerufen am 21.11.2024.