Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

kommt dann die große Verschiedenheit der Pflanzen, welche auf einem
kleinen Raume neben einander stehen und in so ungleicher Weise hin-
aufragen in die Luft, daß schon in der Ferne ein tropischer Wald
nicht die einfachen abgerundeten Umrißlinien zeigt, wie ein nordischer
Buchen- oder Lindenwald. Endlich kommt noch hinzu das Vorherr-
schen oder doch häufige Vorkommen glänzender Blätter, die das Licht
der Sonne reflectirend in die dunkleren Schatten hineinwerfen oder der
weißen Fläche der hoch aufgerichteten Palmenblätter und anderen
Laubes, welche Spiegeln gleich die Strahlen der Sonne ins Innere
der Wälder tragen. Aus diesen und vielleicht noch unzählichen einzelnen
kleinen Zügen ist dies Bild zusammengesetzt, welches uns mit so
fremdartigem Character und doch mit so anziehendem Reize entgegen-
tritt. --

Indem wir aber von Pflanzenformationen sprachen, ent-
lehnen wir diesen Ausdruck eigentlich einer andern Wissenschaft, der
Geognosie, und meinen auch, so weit überhaupt eine Vergleichung
zulässig ist, Aehnliches damit zu bezeichnen. So wie wir aber in
der geognostischen Betrachtung der Erdoberfläche zunächst zwischen
ebenem Lande und Gebirgszügen unterscheiden, können wir auch
hier in Anwendung dieser Betrachtungen auf die Pflanzenwelt zuerst
als zwei Hauptbildungen Plänen und Wälder von einander
trennen. Jede dieser Hauptabtheilungen zerfällt dann wieder in die
einzelnen Formationen selbst, die es ja eben sind, die hier oder dort
entwickelt, hervortretend oder zurückgedrängt, wie in der Geognosie
den geognostischen, so hier den vegetativ landschaftlichen Charakter
eines Landes bestimmen. Insbesondere in der Aufsuchung und Dar-
stellung dieser Formationen liegt eigentlich der Reiz, den man ge-
wöhnlich mit einer Verwechselung der Begriffe der Pflanzengeogra-
phie zuschreibt. Diese aber kann und soll wissenschaftliche Zwecke
verfolgen, theoretische Aufgaben sich setzen und lösen -- und
"Grau, theurer Freund, ist alle Theorie."
Aber "grün des Lebens goldner Baum" und es ist angedeutet, wie
gerade diese strenger Wissenschaftlichkeit unzugängliche, ästhetische

kommt dann die große Verſchiedenheit der Pflanzen, welche auf einem
kleinen Raume neben einander ſtehen und in ſo ungleicher Weiſe hin-
aufragen in die Luft, daß ſchon in der Ferne ein tropiſcher Wald
nicht die einfachen abgerundeten Umrißlinien zeigt, wie ein nordiſcher
Buchen- oder Lindenwald. Endlich kommt noch hinzu das Vorherr-
ſchen oder doch häufige Vorkommen glänzender Blätter, die das Licht
der Sonne reflectirend in die dunkleren Schatten hineinwerfen oder der
weißen Fläche der hoch aufgerichteten Palmenblätter und anderen
Laubes, welche Spiegeln gleich die Strahlen der Sonne ins Innere
der Wälder tragen. Aus dieſen und vielleicht noch unzählichen einzelnen
kleinen Zügen iſt dies Bild zuſammengeſetzt, welches uns mit ſo
fremdartigem Character und doch mit ſo anziehendem Reize entgegen-
tritt. —

Indem wir aber von Pflanzenformationen ſprachen, ent-
lehnen wir dieſen Ausdruck eigentlich einer andern Wiſſenſchaft, der
Geognoſie, und meinen auch, ſo weit überhaupt eine Vergleichung
zuläſſig iſt, Aehnliches damit zu bezeichnen. So wie wir aber in
der geognoſtiſchen Betrachtung der Erdoberfläche zunächſt zwiſchen
ebenem Lande und Gebirgszügen unterſcheiden, können wir auch
hier in Anwendung dieſer Betrachtungen auf die Pflanzenwelt zuerſt
als zwei Hauptbildungen Plänen und Wälder von einander
trennen. Jede dieſer Hauptabtheilungen zerfällt dann wieder in die
einzelnen Formationen ſelbſt, die es ja eben ſind, die hier oder dort
entwickelt, hervortretend oder zurückgedrängt, wie in der Geognoſie
den geognoſtiſchen, ſo hier den vegetativ landſchaftlichen Charakter
eines Landes beſtimmen. Insbeſondere in der Aufſuchung und Dar-
ſtellung dieſer Formationen liegt eigentlich der Reiz, den man ge-
wöhnlich mit einer Verwechſelung der Begriffe der Pflanzengeogra-
phie zuſchreibt. Dieſe aber kann und ſoll wiſſenſchaftliche Zwecke
verfolgen, theoretiſche Aufgaben ſich ſetzen und löſen — und
„Grau, theurer Freund, iſt alle Theorie.“
Aber „grün des Lebens goldner Baum“ und es iſt angedeutet, wie
gerade dieſe ſtrenger Wiſſenſchaftlichkeit unzugängliche, äſthetiſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0330" n="314"/>
kommt dann die große Ver&#x017F;chiedenheit der Pflanzen, welche auf einem<lb/>
kleinen Raume neben einander &#x017F;tehen und in &#x017F;o ungleicher Wei&#x017F;e hin-<lb/>
aufragen in die Luft, daß &#x017F;chon in der Ferne ein tropi&#x017F;cher Wald<lb/>
nicht die einfachen abgerundeten Umrißlinien zeigt, wie ein nordi&#x017F;cher<lb/>
Buchen- oder Lindenwald. Endlich kommt noch hinzu das Vorherr-<lb/>
&#x017F;chen oder doch häufige Vorkommen glänzender Blätter, die das Licht<lb/>
der Sonne reflectirend in die dunkleren Schatten hineinwerfen oder der<lb/>
weißen Fläche der hoch aufgerichteten Palmenblätter und anderen<lb/>
Laubes, welche Spiegeln gleich die Strahlen der Sonne ins Innere<lb/>
der Wälder tragen. Aus die&#x017F;en und vielleicht noch unzählichen einzelnen<lb/>
kleinen Zügen i&#x017F;t dies Bild zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt, welches uns mit &#x017F;o<lb/>
fremdartigem Character und doch mit &#x017F;o anziehendem Reize entgegen-<lb/>
tritt. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Indem wir aber von <hi rendition="#g">Pflanzenformationen</hi> &#x017F;prachen, ent-<lb/>
lehnen wir die&#x017F;en Ausdruck eigentlich einer andern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, der<lb/>
Geogno&#x017F;ie, und meinen auch, &#x017F;o weit überhaupt eine Vergleichung<lb/>
zulä&#x017F;&#x017F;ig i&#x017F;t, Aehnliches damit zu bezeichnen. So wie wir aber in<lb/>
der geogno&#x017F;ti&#x017F;chen Betrachtung der Erdoberfläche zunäch&#x017F;t zwi&#x017F;chen<lb/>
ebenem Lande und Gebirgszügen unter&#x017F;cheiden, können wir auch<lb/>
hier in Anwendung die&#x017F;er Betrachtungen auf die Pflanzenwelt zuer&#x017F;t<lb/>
als zwei Hauptbildungen <hi rendition="#g">Plänen</hi> und <hi rendition="#g">Wälder</hi> von einander<lb/>
trennen. Jede die&#x017F;er Hauptabtheilungen zerfällt dann wieder in die<lb/>
einzelnen Formationen &#x017F;elb&#x017F;t, die es ja eben &#x017F;ind, die hier oder dort<lb/>
entwickelt, hervortretend oder zurückgedrängt, wie in der Geogno&#x017F;ie<lb/>
den geogno&#x017F;ti&#x017F;chen, &#x017F;o hier den vegetativ land&#x017F;chaftlichen Charakter<lb/>
eines Landes be&#x017F;timmen. Insbe&#x017F;ondere in der Auf&#x017F;uchung und Dar-<lb/>
&#x017F;tellung die&#x017F;er Formationen liegt eigentlich der Reiz, den man ge-<lb/>
wöhnlich mit einer Verwech&#x017F;elung der Begriffe der Pflanzengeogra-<lb/>
phie zu&#x017F;chreibt. Die&#x017F;e aber kann und &#x017F;oll wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Zwecke<lb/>
verfolgen, theoreti&#x017F;che Aufgaben &#x017F;ich &#x017F;etzen und lö&#x017F;en &#x2014; und<lb/><hi rendition="#c">&#x201E;Grau, theurer Freund, i&#x017F;t alle Theorie.&#x201C;</hi><lb/>
Aber &#x201E;grün des Lebens goldner Baum&#x201C; und es i&#x017F;t angedeutet, wie<lb/>
gerade die&#x017F;e &#x017F;trenger Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichkeit unzugängliche, ä&#x017F;theti&#x017F;che<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0330] kommt dann die große Verſchiedenheit der Pflanzen, welche auf einem kleinen Raume neben einander ſtehen und in ſo ungleicher Weiſe hin- aufragen in die Luft, daß ſchon in der Ferne ein tropiſcher Wald nicht die einfachen abgerundeten Umrißlinien zeigt, wie ein nordiſcher Buchen- oder Lindenwald. Endlich kommt noch hinzu das Vorherr- ſchen oder doch häufige Vorkommen glänzender Blätter, die das Licht der Sonne reflectirend in die dunkleren Schatten hineinwerfen oder der weißen Fläche der hoch aufgerichteten Palmenblätter und anderen Laubes, welche Spiegeln gleich die Strahlen der Sonne ins Innere der Wälder tragen. Aus dieſen und vielleicht noch unzählichen einzelnen kleinen Zügen iſt dies Bild zuſammengeſetzt, welches uns mit ſo fremdartigem Character und doch mit ſo anziehendem Reize entgegen- tritt. — Indem wir aber von Pflanzenformationen ſprachen, ent- lehnen wir dieſen Ausdruck eigentlich einer andern Wiſſenſchaft, der Geognoſie, und meinen auch, ſo weit überhaupt eine Vergleichung zuläſſig iſt, Aehnliches damit zu bezeichnen. So wie wir aber in der geognoſtiſchen Betrachtung der Erdoberfläche zunächſt zwiſchen ebenem Lande und Gebirgszügen unterſcheiden, können wir auch hier in Anwendung dieſer Betrachtungen auf die Pflanzenwelt zuerſt als zwei Hauptbildungen Plänen und Wälder von einander trennen. Jede dieſer Hauptabtheilungen zerfällt dann wieder in die einzelnen Formationen ſelbſt, die es ja eben ſind, die hier oder dort entwickelt, hervortretend oder zurückgedrängt, wie in der Geognoſie den geognoſtiſchen, ſo hier den vegetativ landſchaftlichen Charakter eines Landes beſtimmen. Insbeſondere in der Aufſuchung und Dar- ſtellung dieſer Formationen liegt eigentlich der Reiz, den man ge- wöhnlich mit einer Verwechſelung der Begriffe der Pflanzengeogra- phie zuſchreibt. Dieſe aber kann und ſoll wiſſenſchaftliche Zwecke verfolgen, theoretiſche Aufgaben ſich ſetzen und löſen — und „Grau, theurer Freund, iſt alle Theorie.“ Aber „grün des Lebens goldner Baum“ und es iſt angedeutet, wie gerade dieſe ſtrenger Wiſſenſchaftlichkeit unzugängliche, äſthetiſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/330
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/330>, abgerufen am 21.11.2024.