Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

der muß zu dem nahebei richtigen Glauben kommen: eine größere
Ueppigkeit des Pflanzenwuchses sey nicht wohl denkbar. Schon mehr
die richtige Vorstellung erweckend ist die Rede, daß, je mehr man
sich den heißen Gegenden nähere, um so mehr auch die gesellig le-
benden Pflanzen sich verlören, um so mehr die verschiedensten Pflan-
zenformen durch einander vorkämen. Und gleichwohl, so wahr dieser
Satz ist, wird Der weniger geneigt sein ihn anzuerkennen, der, sich
mehr an die Physiognomie als an die botanischen Bestimmungen hal-
tend, einzelner characteristischen Waldformen, Gebüschbildungen oder
Steppen sich erinnert, denn die Erklärung nennt zwar die Grund-
ursache des Phänomens, sie führt aber nicht aus, wie dieselbe das
Endresultat vermittele. --

Wenn wir von dem dunklen Schatten unserer dichtbelaubten
Buchenhochwälder einen Schluß machen auf die ungleich vollere und
gedrängtere Vegetation in einem tropischen Urwalde, so fühlen wir
uns seltsam getäuscht, in ihm Alles so hell, so lichterfüllt zu finden.
Dieser Reichthum der Vegetation, der von den höchsten Gipfeln der
Palmen und Bertholletien von Zweig zu Ast, von Ast zu
Stamm herabsteigt, die Erde bekleidet und sich noch in reichen Festons
durch den Luftraum zieht, wäre aber gar nicht möglich, wenn nicht
das der Vegetation unentbehrliche Licht bis in die niedersten Regio-
nen Zugang hätte. Der dichte Schatten unserer Wälder, den im
Verhältniß zu den tropischen Urwäldern selbst unsere feinnadeligen
Kiefern durch ihre dichtgedrängte Verzweigung hervorrufen, durch
welche sie dem herbstlichen Sturme, dem rauhen Winter, dem la-
stenden Drucke der Schneemassen Widerstand leisten, verhindert ge-
rade unter den Bäumen jene reiche mannigfaltige Entwicklung des
vegetabilischen Lebens, welche unter den Tropen in Länge und Breite,
in Höhe und Tiefe jeden Winkel erfüllt und schmückt. Es liegt näm-
lich in dem Character der tropischen Waldbäume die eigenthümliche,
weitläufige, luftige Verzweigung und eine Blattvegetation, welche,
die Tracht der Palmen im Kleinen und Einzelnen nachahmend, sich
nur an den äußersten Spitzen der Zweige geltend macht. Dazu

der muß zu dem nahebei richtigen Glauben kommen: eine größere
Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes ſey nicht wohl denkbar. Schon mehr
die richtige Vorſtellung erweckend iſt die Rede, daß, je mehr man
ſich den heißen Gegenden nähere, um ſo mehr auch die geſellig le-
benden Pflanzen ſich verlören, um ſo mehr die verſchiedenſten Pflan-
zenformen durch einander vorkämen. Und gleichwohl, ſo wahr dieſer
Satz iſt, wird Der weniger geneigt ſein ihn anzuerkennen, der, ſich
mehr an die Phyſiognomie als an die botaniſchen Beſtimmungen hal-
tend, einzelner characteriſtiſchen Waldformen, Gebüſchbildungen oder
Steppen ſich erinnert, denn die Erklärung nennt zwar die Grund-
urſache des Phänomens, ſie führt aber nicht aus, wie dieſelbe das
Endreſultat vermittele. —

Wenn wir von dem dunklen Schatten unſerer dichtbelaubten
Buchenhochwälder einen Schluß machen auf die ungleich vollere und
gedrängtere Vegetation in einem tropiſchen Urwalde, ſo fühlen wir
uns ſeltſam getäuſcht, in ihm Alles ſo hell, ſo lichterfüllt zu finden.
Dieſer Reichthum der Vegetation, der von den höchſten Gipfeln der
Palmen und Bertholletien von Zweig zu Aſt, von Aſt zu
Stamm herabſteigt, die Erde bekleidet und ſich noch in reichen Feſtons
durch den Luftraum zieht, wäre aber gar nicht möglich, wenn nicht
das der Vegetation unentbehrliche Licht bis in die niederſten Regio-
nen Zugang hätte. Der dichte Schatten unſerer Wälder, den im
Verhältniß zu den tropiſchen Urwäldern ſelbſt unſere feinnadeligen
Kiefern durch ihre dichtgedrängte Verzweigung hervorrufen, durch
welche ſie dem herbſtlichen Sturme, dem rauhen Winter, dem la-
ſtenden Drucke der Schneemaſſen Widerſtand leiſten, verhindert ge-
rade unter den Bäumen jene reiche mannigfaltige Entwicklung des
vegetabiliſchen Lebens, welche unter den Tropen in Länge und Breite,
in Höhe und Tiefe jeden Winkel erfüllt und ſchmückt. Es liegt näm-
lich in dem Character der tropiſchen Waldbäume die eigenthümliche,
weitläufige, luftige Verzweigung und eine Blattvegetation, welche,
die Tracht der Palmen im Kleinen und Einzelnen nachahmend, ſich
nur an den äußerſten Spitzen der Zweige geltend macht. Dazu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0329" n="313"/>
der muß zu dem nahebei richtigen Glauben kommen: eine größere<lb/>
Ueppigkeit des Pflanzenwuch&#x017F;es &#x017F;ey nicht wohl denkbar. Schon mehr<lb/>
die richtige Vor&#x017F;tellung erweckend i&#x017F;t die Rede, daß, je mehr man<lb/>
&#x017F;ich den heißen Gegenden nähere, um &#x017F;o mehr auch die ge&#x017F;ellig le-<lb/>
benden Pflanzen &#x017F;ich verlören, um &#x017F;o mehr die ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Pflan-<lb/>
zenformen durch einander vorkämen. Und gleichwohl, &#x017F;o wahr die&#x017F;er<lb/>
Satz i&#x017F;t, wird Der weniger geneigt &#x017F;ein ihn anzuerkennen, der, &#x017F;ich<lb/>
mehr an die Phy&#x017F;iognomie als an die botani&#x017F;chen Be&#x017F;timmungen hal-<lb/>
tend, einzelner characteri&#x017F;ti&#x017F;chen Waldformen, Gebü&#x017F;chbildungen oder<lb/>
Steppen &#x017F;ich erinnert, denn die Erklärung nennt zwar die Grund-<lb/>
ur&#x017F;ache des Phänomens, &#x017F;ie führt aber nicht aus, wie die&#x017F;elbe das<lb/>
Endre&#x017F;ultat vermittele. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wenn wir von dem dunklen Schatten un&#x017F;erer dichtbelaubten<lb/>
Buchenhochwälder einen Schluß machen auf die ungleich vollere und<lb/>
gedrängtere Vegetation in einem tropi&#x017F;chen Urwalde, &#x017F;o fühlen wir<lb/>
uns &#x017F;elt&#x017F;am getäu&#x017F;cht, in ihm Alles &#x017F;o hell, &#x017F;o lichterfüllt zu finden.<lb/>
Die&#x017F;er Reichthum der Vegetation, der von den höch&#x017F;ten Gipfeln der<lb/><hi rendition="#g">Palmen</hi> und <hi rendition="#g">Bertholletien</hi> von Zweig zu A&#x017F;t, von A&#x017F;t zu<lb/>
Stamm herab&#x017F;teigt, die Erde bekleidet und &#x017F;ich noch in reichen Fe&#x017F;tons<lb/>
durch den Luftraum zieht, wäre aber gar nicht möglich, wenn nicht<lb/>
das der Vegetation unentbehrliche Licht bis in die nieder&#x017F;ten Regio-<lb/>
nen Zugang hätte. Der dichte Schatten un&#x017F;erer Wälder, den im<lb/>
Verhältniß zu den tropi&#x017F;chen Urwäldern &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;ere feinnadeligen<lb/>
Kiefern durch ihre dichtgedrängte Verzweigung hervorrufen, durch<lb/>
welche &#x017F;ie dem herb&#x017F;tlichen Sturme, dem rauhen Winter, dem la-<lb/>
&#x017F;tenden Drucke der Schneema&#x017F;&#x017F;en Wider&#x017F;tand lei&#x017F;ten, verhindert ge-<lb/>
rade unter den Bäumen jene reiche mannigfaltige Entwicklung des<lb/>
vegetabili&#x017F;chen Lebens, welche unter den Tropen in Länge und Breite,<lb/>
in Höhe und Tiefe jeden Winkel erfüllt und &#x017F;chmückt. Es liegt näm-<lb/>
lich in dem Character der tropi&#x017F;chen Waldbäume die eigenthümliche,<lb/>
weitläufige, luftige Verzweigung und eine Blattvegetation, welche,<lb/>
die Tracht der Palmen im Kleinen und Einzelnen nachahmend, &#x017F;ich<lb/>
nur an den äußer&#x017F;ten Spitzen der Zweige geltend macht. Dazu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0329] der muß zu dem nahebei richtigen Glauben kommen: eine größere Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes ſey nicht wohl denkbar. Schon mehr die richtige Vorſtellung erweckend iſt die Rede, daß, je mehr man ſich den heißen Gegenden nähere, um ſo mehr auch die geſellig le- benden Pflanzen ſich verlören, um ſo mehr die verſchiedenſten Pflan- zenformen durch einander vorkämen. Und gleichwohl, ſo wahr dieſer Satz iſt, wird Der weniger geneigt ſein ihn anzuerkennen, der, ſich mehr an die Phyſiognomie als an die botaniſchen Beſtimmungen hal- tend, einzelner characteriſtiſchen Waldformen, Gebüſchbildungen oder Steppen ſich erinnert, denn die Erklärung nennt zwar die Grund- urſache des Phänomens, ſie führt aber nicht aus, wie dieſelbe das Endreſultat vermittele. — Wenn wir von dem dunklen Schatten unſerer dichtbelaubten Buchenhochwälder einen Schluß machen auf die ungleich vollere und gedrängtere Vegetation in einem tropiſchen Urwalde, ſo fühlen wir uns ſeltſam getäuſcht, in ihm Alles ſo hell, ſo lichterfüllt zu finden. Dieſer Reichthum der Vegetation, der von den höchſten Gipfeln der Palmen und Bertholletien von Zweig zu Aſt, von Aſt zu Stamm herabſteigt, die Erde bekleidet und ſich noch in reichen Feſtons durch den Luftraum zieht, wäre aber gar nicht möglich, wenn nicht das der Vegetation unentbehrliche Licht bis in die niederſten Regio- nen Zugang hätte. Der dichte Schatten unſerer Wälder, den im Verhältniß zu den tropiſchen Urwäldern ſelbſt unſere feinnadeligen Kiefern durch ihre dichtgedrängte Verzweigung hervorrufen, durch welche ſie dem herbſtlichen Sturme, dem rauhen Winter, dem la- ſtenden Drucke der Schneemaſſen Widerſtand leiſten, verhindert ge- rade unter den Bäumen jene reiche mannigfaltige Entwicklung des vegetabiliſchen Lebens, welche unter den Tropen in Länge und Breite, in Höhe und Tiefe jeden Winkel erfüllt und ſchmückt. Es liegt näm- lich in dem Character der tropiſchen Waldbäume die eigenthümliche, weitläufige, luftige Verzweigung und eine Blattvegetation, welche, die Tracht der Palmen im Kleinen und Einzelnen nachahmend, ſich nur an den äußerſten Spitzen der Zweige geltend macht. Dazu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/329
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/329>, abgerufen am 21.11.2024.