Birken und vollends die Tropenwelt entwickelt eine Mannigfaltig- keit, deren Schilderung ein unerschöpfliches Thema seyn würde. Ich will hier nur noch auf einen seltsamen Contraft aufmerksam machen, welchen einige Gegenden der heißen Climate darbieten. Die rauhe Winterkälte beraubt unsere Wälder ihres schönsten Schmucks und entblättert starren die schwärzlichen Ruthen aus dem Schnee, oder dem feuchten schwarzen Boden in die trübgraue Novemberluft; umgekehrt durchwandert der brasilianische Reisende in der glühendsten Hitze die Catingas, Wälder, die durch den verdorrenden Einfluß der Sonne gerade im Sommer entlaubt werden und mit ihrer kahlen Verzwei- gung seltsam gegen das frische üppige Grün am Ufer eines kleinen Baches oder gegen die von der Hitze unberührten, saftig-fleischigen Massen der Cacteen contrastiren. -- Aber auch in der frischesten Be- laubung können die Wälder den Character der schauerlichsten und abschreckendsten Wildheit annehmen. Wo dichte Belaubung den Ein- fluß der Sonne und den erfrischenden Luftwechsel hindert und so die Zersetzung der vegetabilischen Massen verlangsamt, wo der Boden flach und ohne Gefälle ohnehin schwer seines Wasserreichthums sich ent- ledigt, und um so weniger, wenn die aufgehäuften Pflanzenleichen be- ständig den Abfluß hemmen, und der entstandene Humus begierig die Feuchtigkeit ansaugt, da bilden sich die ausgedehntesten Sumpf- moore. Durch die fortwährende Zunahme der Vegetationsreste er- hebt sich der Boden und oft liegt eine solche wasserdurchtränkte, halbflüs- sige Masse zuletzt weit über dem Niveau der umgebenden Ebene, ohne daß jetzt noch die Sonne im Stande wäre, auch wenn Stürme das schützende Dach entfernen, den Sumpf auszutrocknen oder auch nur sein Fortwachsen zu beschränken. Ein solcher Sumpf erhebt sich bis zu 12 Fuß über die umgebende Ebene in Virginien zwischen den Städten Suffolk und Waldon, von den Einwohnern "the great dismal" (der große Unselige) genannt, der nicht unbeträchtlichen Flüssen den Ursprung giebt und sie mit Wasser versorgt. Es ist besonders die nordamericanische Cypresse*), welche mit ihrer feinen aber dichten
*)Cupressus disticha.
Birken und vollends die Tropenwelt entwickelt eine Mannigfaltig- keit, deren Schilderung ein unerſchöpfliches Thema ſeyn würde. Ich will hier nur noch auf einen ſeltſamen Contraft aufmerkſam machen, welchen einige Gegenden der heißen Climate darbieten. Die rauhe Winterkälte beraubt unſere Wälder ihres ſchönſten Schmucks und entblättert ſtarren die ſchwärzlichen Ruthen aus dem Schnee, oder dem feuchten ſchwarzen Boden in die trübgraue Novemberluft; umgekehrt durchwandert der braſilianiſche Reiſende in der glühendſten Hitze die Catingas, Wälder, die durch den verdorrenden Einfluß der Sonne gerade im Sommer entlaubt werden und mit ihrer kahlen Verzwei- gung ſeltſam gegen das friſche üppige Grün am Ufer eines kleinen Baches oder gegen die von der Hitze unberührten, ſaftig-fleiſchigen Maſſen der Cacteen contraſtiren. — Aber auch in der friſcheſten Be- laubung können die Wälder den Character der ſchauerlichſten und abſchreckendſten Wildheit annehmen. Wo dichte Belaubung den Ein- fluß der Sonne und den erfriſchenden Luftwechſel hindert und ſo die Zerſetzung der vegetabiliſchen Maſſen verlangſamt, wo der Boden flach und ohne Gefälle ohnehin ſchwer ſeines Waſſerreichthums ſich ent- ledigt, und um ſo weniger, wenn die aufgehäuften Pflanzenleichen be- ſtändig den Abfluß hemmen, und der entſtandene Humus begierig die Feuchtigkeit anſaugt, da bilden ſich die ausgedehnteſten Sumpf- moore. Durch die fortwährende Zunahme der Vegetationsreſte er- hebt ſich der Boden und oft liegt eine ſolche waſſerdurchtränkte, halbflüſ- ſige Maſſe zuletzt weit über dem Niveau der umgebenden Ebene, ohne daß jetzt noch die Sonne im Stande wäre, auch wenn Stürme das ſchützende Dach entfernen, den Sumpf auszutrocknen oder auch nur ſein Fortwachſen zu beſchränken. Ein ſolcher Sumpf erhebt ſich bis zu 12 Fuß über die umgebende Ebene in Virginien zwiſchen den Städten Suffolk und Waldon, von den Einwohnern „the great dismal“ (der große Unſelige) genannt, der nicht unbeträchtlichen Flüſſen den Urſprung giebt und ſie mit Waſſer verſorgt. Es iſt beſonders die nordamericaniſche Cypreſſe*), welche mit ihrer feinen aber dichten
*)Cupressus disticha.
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Birken und vollends die Tropenwelt entwickelt eine Mannigfaltig-
keit, deren Schilderung ein unerſchöpfliches Thema ſeyn würde. Ich
will hier nur noch auf einen ſeltſamen Contraft aufmerkſam machen,
welchen einige Gegenden der heißen Climate darbieten. Die rauhe
Winterkälte beraubt unſere Wälder ihres ſchönſten Schmucks und
entblättert ſtarren die ſchwärzlichen Ruthen aus dem Schnee, oder dem
feuchten ſchwarzen Boden in die trübgraue Novemberluft; umgekehrt
durchwandert der braſilianiſche Reiſende in der glühendſten Hitze die
Catingas, Wälder, die durch den verdorrenden Einfluß der Sonne
gerade im Sommer entlaubt werden und mit ihrer kahlen Verzwei-
gung ſeltſam gegen das friſche üppige Grün am Ufer eines kleinen
Baches oder gegen die von der Hitze unberührten, ſaftig-fleiſchigen
Maſſen der Cacteen contraſtiren. — Aber auch in der friſcheſten Be-
laubung können die Wälder den Character der ſchauerlichſten und
abſchreckendſten Wildheit annehmen. Wo dichte Belaubung den Ein-
fluß der Sonne und den erfriſchenden Luftwechſel hindert und ſo die
Zerſetzung der vegetabiliſchen Maſſen verlangſamt, wo der Boden
flach und ohne Gefälle ohnehin ſchwer ſeines Waſſerreichthums ſich ent-
ledigt, und um ſo weniger, wenn die aufgehäuften Pflanzenleichen be-
ſtändig den Abfluß hemmen, und der entſtandene Humus begierig die
Feuchtigkeit anſaugt, da bilden ſich die ausgedehnteſten Sumpf-
moore. Durch die fortwährende Zunahme der Vegetationsreſte er-
hebt ſich der Boden und oft liegt eine ſolche waſſerdurchtränkte, halbflüſ-
ſige Maſſe zuletzt weit über dem Niveau der umgebenden Ebene, ohne
daß jetzt noch die Sonne im Stande wäre, auch wenn Stürme das
ſchützende Dach entfernen, den Sumpf auszutrocknen oder auch nur
ſein Fortwachſen zu beſchränken. Ein ſolcher Sumpf erhebt ſich bis
zu 12 Fuß über die umgebende Ebene in Virginien zwiſchen den
Städten Suffolk und Waldon, von den Einwohnern „the great
dismal“ (der große Unſelige) genannt, der nicht unbeträchtlichen Flüſſen
den Urſprung giebt und ſie mit Waſſer verſorgt. Es iſt beſonders die
nordamericaniſche Cypreſſe *), welche mit ihrer feinen aber dichten
*) Cupressus disticha.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/333>, abgerufen am 21.11.2024.
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