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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Wälder an die Seite setzen, so führen wir hiermit zugleich ein ganz
neues ästhetisches Element in die Naturbetrachtung ein. Aus den
Wäldern ist schon wegen des Reichthums der Formen, wegen der
Verschlungenheit der Zeichnung, die fortwährend das Gefühl und
den Geist zu wechselnder Thätigkeit anregen, das Element der Schön-
heit nicht wegzudenken. Ganz anders ist es mit den großen Pflanzen-
ebenen, die deshalb auch einen durchaus eigenthümlichen Eindruck
auf das Gemüth des Menschen machen.

Mit einem gewissen Gefühle getäuschter Erwartung reitet der Rei-
sende ein in die Prärien des Westens, nur unerquicklich scheint ihm die
mit hohem Grase gleichförmig bewachsene monotone Fläche, deren Hori-
zontlinie von keiner noch so geringen Erhebung unterbrochen wird. Aber
er reitet und reitet und immer dehnt sich in gleicher Einförmigkeit, in glei-
cher ruhiger Einfachheit der grenzenlose Raum vor seinen Blicken aus.
Was sich anfänglich seiner Anschauung entzog, die dem kleinen Menschen
überlegene Unendlichkeit, tritt ihm entgegen, das Gefühl der trostlosen
Einsamkeit schleicht sich allmälig in sein Herz. Ein Tag nach dem
andern steigt im Osten herauf und sinkt im Westen herab. Immer
weiter und weiter dehnt sich die Unendlichkeit um ihn aus und wächst
alle seine bisherigen Begriffe von Größe überragend. Immer mehr
schrumpft das Selbstgefühl zusammen, immer lähmender und beklem-
mender legt sich das Bewußtseyn der Nichtigkeit auf seine bebende
Seele und noch ehe er die jenseitige Grenze erreicht, haben Verzweif-
lung oder eine unendlich tiefe und innige Frömmigkeit von seinem
Herzen Besitz genommen. Sobald das einförmig Große überhaupt
geeignet ist einen ästhetischen Eindruck zu machen, so ist es der der
Erhabenheit, vor der der Mensch anbetend in den Staub sinkt.
Eine besondere Modification jener Prärien sind so bezeichnend von
den Ansiedlern rolling prairies (wogende Ebenen) genannt, ein
grenzenloses Meer flacher, gleichförmiger, 20--30 Fuß hoher Erd-
wellen. Ich wage es nicht das andere zornglühende Antlitz dieser
Riesenwiesen zu schildern, wenn im Sommer ein Zufall oder Absicht
das dürre Gras entzündet haben und der Brand sich mit rasender

Wälder an die Seite ſetzen, ſo führen wir hiermit zugleich ein ganz
neues äſthetiſches Element in die Naturbetrachtung ein. Aus den
Wäldern iſt ſchon wegen des Reichthums der Formen, wegen der
Verſchlungenheit der Zeichnung, die fortwährend das Gefühl und
den Geiſt zu wechſelnder Thätigkeit anregen, das Element der Schön-
heit nicht wegzudenken. Ganz anders iſt es mit den großen Pflanzen-
ebenen, die deshalb auch einen durchaus eigenthümlichen Eindruck
auf das Gemüth des Menſchen machen.

Mit einem gewiſſen Gefühle getäuſchter Erwartung reitet der Rei-
ſende ein in die Prärien des Weſtens, nur unerquicklich ſcheint ihm die
mit hohem Graſe gleichförmig bewachſene monotone Fläche, deren Hori-
zontlinie von keiner noch ſo geringen Erhebung unterbrochen wird. Aber
er reitet und reitet und immer dehnt ſich in gleicher Einförmigkeit, in glei-
cher ruhiger Einfachheit der grenzenloſe Raum vor ſeinen Blicken aus.
Was ſich anfänglich ſeiner Anſchauung entzog, die dem kleinen Menſchen
überlegene Unendlichkeit, tritt ihm entgegen, das Gefühl der troſtloſen
Einſamkeit ſchleicht ſich allmälig in ſein Herz. Ein Tag nach dem
andern ſteigt im Oſten herauf und ſinkt im Weſten herab. Immer
weiter und weiter dehnt ſich die Unendlichkeit um ihn aus und wächſt
alle ſeine bisherigen Begriffe von Größe überragend. Immer mehr
ſchrumpft das Selbſtgefühl zuſammen, immer lähmender und beklem-
mender legt ſich das Bewußtſeyn der Nichtigkeit auf ſeine bebende
Seele und noch ehe er die jenſeitige Grenze erreicht, haben Verzweif-
lung oder eine unendlich tiefe und innige Frömmigkeit von ſeinem
Herzen Beſitz genommen. Sobald das einförmig Große überhaupt
geeignet iſt einen äſthetiſchen Eindruck zu machen, ſo iſt es der der
Erhabenheit, vor der der Menſch anbetend in den Staub ſinkt.
Eine beſondere Modification jener Prärien ſind ſo bezeichnend von
den Anſiedlern rolling prairies (wogende Ebenen) genannt, ein
grenzenloſes Meer flacher, gleichförmiger, 20—30 Fuß hoher Erd-
wellen. Ich wage es nicht das andere zornglühende Antlitz dieſer
Rieſenwieſen zu ſchildern, wenn im Sommer ein Zufall oder Abſicht
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[322/0338] Wälder an die Seite ſetzen, ſo führen wir hiermit zugleich ein ganz neues äſthetiſches Element in die Naturbetrachtung ein. Aus den Wäldern iſt ſchon wegen des Reichthums der Formen, wegen der Verſchlungenheit der Zeichnung, die fortwährend das Gefühl und den Geiſt zu wechſelnder Thätigkeit anregen, das Element der Schön- heit nicht wegzudenken. Ganz anders iſt es mit den großen Pflanzen- ebenen, die deshalb auch einen durchaus eigenthümlichen Eindruck auf das Gemüth des Menſchen machen. Mit einem gewiſſen Gefühle getäuſchter Erwartung reitet der Rei- ſende ein in die Prärien des Weſtens, nur unerquicklich ſcheint ihm die mit hohem Graſe gleichförmig bewachſene monotone Fläche, deren Hori- zontlinie von keiner noch ſo geringen Erhebung unterbrochen wird. Aber er reitet und reitet und immer dehnt ſich in gleicher Einförmigkeit, in glei- cher ruhiger Einfachheit der grenzenloſe Raum vor ſeinen Blicken aus. Was ſich anfänglich ſeiner Anſchauung entzog, die dem kleinen Menſchen überlegene Unendlichkeit, tritt ihm entgegen, das Gefühl der troſtloſen Einſamkeit ſchleicht ſich allmälig in ſein Herz. Ein Tag nach dem andern ſteigt im Oſten herauf und ſinkt im Weſten herab. Immer weiter und weiter dehnt ſich die Unendlichkeit um ihn aus und wächſt alle ſeine bisherigen Begriffe von Größe überragend. Immer mehr ſchrumpft das Selbſtgefühl zuſammen, immer lähmender und beklem- mender legt ſich das Bewußtſeyn der Nichtigkeit auf ſeine bebende Seele und noch ehe er die jenſeitige Grenze erreicht, haben Verzweif- lung oder eine unendlich tiefe und innige Frömmigkeit von ſeinem Herzen Beſitz genommen. Sobald das einförmig Große überhaupt geeignet iſt einen äſthetiſchen Eindruck zu machen, ſo iſt es der der Erhabenheit, vor der der Menſch anbetend in den Staub ſinkt. Eine beſondere Modification jener Prärien ſind ſo bezeichnend von den Anſiedlern rolling prairies (wogende Ebenen) genannt, ein grenzenloſes Meer flacher, gleichförmiger, 20—30 Fuß hoher Erd- wellen. Ich wage es nicht das andere zornglühende Antlitz dieſer Rieſenwieſen zu ſchildern, wenn im Sommer ein Zufall oder Abſicht das dürre Gras entzündet haben und der Brand ſich mit raſender

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/338>, abgerufen am 21.11.2024.