Wir empfinden mit einem Worte niemals den Zustand eines Nerven, sondern bilden uns vielmehr unmittelbar so wie der Nerv gereizt wird die Vorstellung eines äußeren Gegenstandes, und es erfordert erst wissenschaftliche Verständigung, daß wir diesen Gegenstand als Ursache eines Nervenreizes erkennen.
Ist nun aber, um in dem gewählten Gleichniß zu bleiben, das Verhältniß des Herren zu seinen Dienern ein ganz eigenthümliches, so sind nicht minder die Diener ganz besonderer Art. Keiner dersel- ben weiß etwas vom Andern, erfährt etwas von dessen Daseyn und Thätigkeit, oder theilt sich ihm mit. Ja was noch wichtiger ist, kei- ner derselben d. h. keine Nervenfaser kann gleichzeitig mehr als eine einzelne einfache Botschaft ausrichten und darin gleichen sie vollkom- men einfältigen Bedienten. Zwei ihnen gleichzeitig übergebene Auf- träge vermengen sie mit einander zu einem einzigen einfachen. Am leichtesten ist dies deutlich zu machen, wenn man solche Theile des Körpers, wo die Nervenfasern sehr vereinzelt und weit auseinander liegen z. B. den Oberarm oder die Mittellinie des Rückens mit den Spitzen eines geöffneten Zirkels berührt. Wenn auch die Spitzen ei- nen Zoll weit aus einander stehen, so fühlt man an den genannten Theilen doch nur einen einfachen Stich, da die Nerven hier so weit von einander entfernt sind, daß beide Stiche in den Bereich einer Faser fallen und diese ist unfähig mehr als einen Eindruck zur Zeit aufzunehmen. --
Nach diesen allgemeinen Erörterungen über die eigenthümliche Natur der Nervenwirkungen können wir uns wieder unserer Aufgabe selbst nähern indem wir insbesondere den Sehnerven betrachten. Derselbe ist wie er in den Augapfel eintritt, ein ziemlich dickes Bün- del zahlreicher einzelner Nervenfasern und diese breiten sich im Aug- apfel in eine Halbkugelfläche aus, so daß jede Faser einen kleinen Theil dieser Fläche bildet. Der Augapfel selbst aber gleicht vollkom- men einem optischen Apparat, einer Kamera obscura, und die Halb- kugelfläche des Sehnerven, die sogenannte Netzhaut des Auges, ent- spricht dem weißen Blatt Papier, welches das Bild der Kamera
Wir empfinden mit einem Worte niemals den Zuſtand eines Nerven, ſondern bilden uns vielmehr unmittelbar ſo wie der Nerv gereizt wird die Vorſtellung eines äußeren Gegenſtandes, und es erfordert erſt wiſſenſchaftliche Verſtändigung, daß wir dieſen Gegenſtand als Urſache eines Nervenreizes erkennen.
Iſt nun aber, um in dem gewählten Gleichniß zu bleiben, das Verhältniß des Herren zu ſeinen Dienern ein ganz eigenthümliches, ſo ſind nicht minder die Diener ganz beſonderer Art. Keiner derſel- ben weiß etwas vom Andern, erfährt etwas von deſſen Daſeyn und Thätigkeit, oder theilt ſich ihm mit. Ja was noch wichtiger iſt, kei- ner derſelben d. h. keine Nervenfaſer kann gleichzeitig mehr als eine einzelne einfache Botſchaft ausrichten und darin gleichen ſie vollkom- men einfältigen Bedienten. Zwei ihnen gleichzeitig übergebene Auf- träge vermengen ſie mit einander zu einem einzigen einfachen. Am leichteſten iſt dies deutlich zu machen, wenn man ſolche Theile des Körpers, wo die Nervenfaſern ſehr vereinzelt und weit auseinander liegen z. B. den Oberarm oder die Mittellinie des Rückens mit den Spitzen eines geöffneten Zirkels berührt. Wenn auch die Spitzen ei- nen Zoll weit aus einander ſtehen, ſo fühlt man an den genannten Theilen doch nur einen einfachen Stich, da die Nerven hier ſo weit von einander entfernt ſind, daß beide Stiche in den Bereich einer Faſer fallen und dieſe iſt unfähig mehr als einen Eindruck zur Zeit aufzunehmen. —
Nach dieſen allgemeinen Erörterungen über die eigenthümliche Natur der Nervenwirkungen können wir uns wieder unſerer Aufgabe ſelbſt nähern indem wir insbeſondere den Sehnerven betrachten. Derſelbe iſt wie er in den Augapfel eintritt, ein ziemlich dickes Bün- del zahlreicher einzelner Nervenfaſern und dieſe breiten ſich im Aug- apfel in eine Halbkugelfläche aus, ſo daß jede Faſer einen kleinen Theil dieſer Fläche bildet. Der Augapfel ſelbſt aber gleicht vollkom- men einem optiſchen Apparat, einer Kamera obſcura, und die Halb- kugelfläche des Sehnerven, die ſogenannte Netzhaut des Auges, ent- ſpricht dem weißen Blatt Papier, welches das Bild der Kamera
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Wir empfinden mit einem Worte niemals den Zuſtand eines Nerven,
ſondern bilden uns vielmehr unmittelbar ſo wie der Nerv gereizt
wird die Vorſtellung eines äußeren Gegenſtandes, und es erfordert
erſt wiſſenſchaftliche Verſtändigung, daß wir dieſen Gegenſtand als
Urſache eines Nervenreizes erkennen.
Iſt nun aber, um in dem gewählten Gleichniß zu bleiben, das
Verhältniß des Herren zu ſeinen Dienern ein ganz eigenthümliches,
ſo ſind nicht minder die Diener ganz beſonderer Art. Keiner derſel-
ben weiß etwas vom Andern, erfährt etwas von deſſen Daſeyn und
Thätigkeit, oder theilt ſich ihm mit. Ja was noch wichtiger iſt, kei-
ner derſelben d. h. keine Nervenfaſer kann gleichzeitig mehr als eine
einzelne einfache Botſchaft ausrichten und darin gleichen ſie vollkom-
men einfältigen Bedienten. Zwei ihnen gleichzeitig übergebene Auf-
träge vermengen ſie mit einander zu einem einzigen einfachen. Am
leichteſten iſt dies deutlich zu machen, wenn man ſolche Theile des
Körpers, wo die Nervenfaſern ſehr vereinzelt und weit auseinander
liegen z. B. den Oberarm oder die Mittellinie des Rückens mit den
Spitzen eines geöffneten Zirkels berührt. Wenn auch die Spitzen ei-
nen Zoll weit aus einander ſtehen, ſo fühlt man an den genannten
Theilen doch nur einen einfachen Stich, da die Nerven hier ſo weit
von einander entfernt ſind, daß beide Stiche in den Bereich einer
Faſer fallen und dieſe iſt unfähig mehr als einen Eindruck zur Zeit
aufzunehmen. —
Nach dieſen allgemeinen Erörterungen über die eigenthümliche
Natur der Nervenwirkungen können wir uns wieder unſerer Aufgabe
ſelbſt nähern indem wir insbeſondere den Sehnerven betrachten.
Derſelbe iſt wie er in den Augapfel eintritt, ein ziemlich dickes Bün-
del zahlreicher einzelner Nervenfaſern und dieſe breiten ſich im Aug-
apfel in eine Halbkugelfläche aus, ſo daß jede Faſer einen kleinen
Theil dieſer Fläche bildet. Der Augapfel ſelbſt aber gleicht vollkom-
men einem optiſchen Apparat, einer Kamera obſcura, und die Halb-
kugelfläche des Sehnerven, die ſogenannte Netzhaut des Auges, ent-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/36>, abgerufen am 03.12.2024.
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