Häusern aufgeht, wir seine Entfernung nach den ihm zunächst er- scheinenden Gegenständen beurtheilen deren bedeutende Entfernung uns bekannt ist. Den Mond oben am Himmelsgewölbe dagegen denken wir uns näher, da zwischen ihm und uns keine Gegenstände sind, nach denen wir seine Entfernung schätzen könnten. So in der Beurtheilung der Entfernung uns täuschend construiren wir nach ei- nem und demselben Netzhautbilde verschieden, also auf jeden Fall das eine Mal falsch. --
Das Resultat dieser ganzen hier mehr angedeuteten und skizzir- ten als ausgeführten Untersuchung ist also folgendes: In der wirk- lichen Welt befinden sich zahlreiche Stoffe und Kräfte in Wechselwir- kung, diese verändern, wo sie mit den Nervenfasern unseres Körpers zusammentreffen, den Zustand derselben, und diese veränderten Zu- stände werden die Veranlassung, daß unser Geist sich eine ganze Weltansicht ausmalt. Am lebendigsten tritt uns diese selbstgeschaffne Welt entgegen wenn die Erregungszustände dem Augennerven ange- hören, aber auch gerade hier können wir am deutlichsten nachweisen, daß die Welt in unserer Vorstellung sich zwar immer auf die Welt außer uns bezieht, aber durchaus nicht mit ihr gleichartig, identisch ist. -- Noch ein Beispiel mag dienen dies deutlich zu machen und zugleich uns den Uebergang zum Folgenden zu bahnen. Das ein- fachste Verhältniß, welches sich gewiß in der Außenwelt denken läßt, ist das von Stoff, Materie oder wie wir es nennen wollen, die ei- nen gewissen Raum einnimmt. Wenn nun unsere Vorstellung der Welt irgend mit der wirklichen Welt übereinkommen sollte, so müß- ten wir doch vor Allem wissen, wie groß der Raum sei und wie groß das Stück des Raumes den das Materielle z. B. ein Fels einnimmt. Wir haben aber gar keinen Maaßstab für die Größe des Raums und daher gar keinen Begriff von der Größe der Welt. -- Wenn wir sa- gen: "dieser Mensch ist 6 Fuß groß," so heißt das nur: "in der Welt unserer Vorstellungen ist der vorgestellte Mensch 6 mal so groß wie der vorgestellte Fuß;" es ist nur eine Vergleichung zweier Vor- stellungen unter einander. -- Dann natürlich entsteht die Frage:
Häuſern aufgeht, wir ſeine Entfernung nach den ihm zunächſt er- ſcheinenden Gegenſtänden beurtheilen deren bedeutende Entfernung uns bekannt iſt. Den Mond oben am Himmelsgewölbe dagegen denken wir uns näher, da zwiſchen ihm und uns keine Gegenſtände ſind, nach denen wir ſeine Entfernung ſchätzen könnten. So in der Beurtheilung der Entfernung uns täuſchend conſtruiren wir nach ei- nem und demſelben Netzhautbilde verſchieden, alſo auf jeden Fall das eine Mal falſch. —
Das Reſultat dieſer ganzen hier mehr angedeuteten und ſkizzir- ten als ausgeführten Unterſuchung iſt alſo folgendes: In der wirk- lichen Welt befinden ſich zahlreiche Stoffe und Kräfte in Wechſelwir- kung, dieſe verändern, wo ſie mit den Nervenfaſern unſeres Körpers zuſammentreffen, den Zuſtand derſelben, und dieſe veränderten Zu- ſtände werden die Veranlaſſung, daß unſer Geiſt ſich eine ganze Weltanſicht ausmalt. Am lebendigſten tritt uns dieſe ſelbſtgeſchaffne Welt entgegen wenn die Erregungszuſtände dem Augennerven ange- hören, aber auch gerade hier können wir am deutlichſten nachweiſen, daß die Welt in unſerer Vorſtellung ſich zwar immer auf die Welt außer uns bezieht, aber durchaus nicht mit ihr gleichartig, identiſch iſt. — Noch ein Beiſpiel mag dienen dies deutlich zu machen und zugleich uns den Uebergang zum Folgenden zu bahnen. Das ein- fachſte Verhältniß, welches ſich gewiß in der Außenwelt denken läßt, iſt das von Stoff, Materie oder wie wir es nennen wollen, die ei- nen gewiſſen Raum einnimmt. Wenn nun unſere Vorſtellung der Welt irgend mit der wirklichen Welt übereinkommen ſollte, ſo müß- ten wir doch vor Allem wiſſen, wie groß der Raum ſei und wie groß das Stück des Raumes den das Materielle z. B. ein Fels einnimmt. Wir haben aber gar keinen Maaßſtab für die Größe des Raums und daher gar keinen Begriff von der Größe der Welt. — Wenn wir ſa- gen: „dieſer Menſch iſt 6 Fuß groß,“ ſo heißt das nur: „in der Welt unſerer Vorſtellungen iſt der vorgeſtellte Menſch 6 mal ſo groß wie der vorgeſtellte Fuß;“ es iſt nur eine Vergleichung zweier Vor- ſtellungen unter einander. — Dann natürlich entſteht die Frage:
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0038"n="22"/>
Häuſern aufgeht, wir ſeine Entfernung nach den ihm zunächſt er-<lb/>ſcheinenden Gegenſtänden beurtheilen deren bedeutende Entfernung<lb/>
uns bekannt iſt. Den Mond oben am Himmelsgewölbe dagegen<lb/>
denken wir uns näher, da zwiſchen ihm und uns keine Gegenſtände<lb/>ſind, nach denen wir ſeine Entfernung ſchätzen könnten. So in der<lb/>
Beurtheilung der Entfernung uns täuſchend conſtruiren wir nach ei-<lb/>
nem und demſelben Netzhautbilde verſchieden, alſo auf jeden Fall<lb/>
das eine Mal falſch. —</p><lb/><p>Das Reſultat dieſer ganzen hier mehr angedeuteten und ſkizzir-<lb/>
ten als ausgeführten Unterſuchung iſt alſo folgendes: In der wirk-<lb/>
lichen Welt befinden ſich zahlreiche Stoffe und Kräfte in Wechſelwir-<lb/>
kung, dieſe verändern, wo ſie mit den Nervenfaſern unſeres Körpers<lb/>
zuſammentreffen, den Zuſtand derſelben, und dieſe veränderten Zu-<lb/>ſtände werden die Veranlaſſung, daß unſer Geiſt ſich eine ganze<lb/>
Weltanſicht ausmalt. Am lebendigſten tritt uns dieſe ſelbſtgeſchaffne<lb/>
Welt entgegen wenn die Erregungszuſtände dem Augennerven ange-<lb/>
hören, aber auch gerade hier können wir am deutlichſten nachweiſen,<lb/>
daß die Welt in unſerer Vorſtellung ſich zwar immer auf die Welt<lb/>
außer uns bezieht, aber durchaus nicht mit ihr gleichartig, identiſch<lb/>
iſt. — Noch ein Beiſpiel mag dienen dies deutlich zu machen und<lb/>
zugleich uns den Uebergang zum Folgenden zu bahnen. Das ein-<lb/>
fachſte Verhältniß, welches ſich gewiß in der Außenwelt denken läßt,<lb/>
iſt das von Stoff, Materie oder wie wir es nennen wollen, die ei-<lb/>
nen gewiſſen Raum einnimmt. Wenn nun unſere Vorſtellung der<lb/>
Welt irgend mit der wirklichen Welt übereinkommen ſollte, ſo müß-<lb/>
ten wir doch vor Allem wiſſen, wie groß der Raum ſei und wie groß<lb/>
das Stück des Raumes den das Materielle z. B. ein Fels einnimmt.<lb/>
Wir haben aber gar keinen Maaßſtab für die Größe des Raums und<lb/>
daher gar keinen Begriff von der Größe der Welt. — Wenn wir ſa-<lb/>
gen: „dieſer Menſch iſt <hirendition="#aq">6</hi> Fuß groß,“ſo heißt das nur: „in der<lb/>
Welt unſerer Vorſtellungen iſt der vorgeſtellte Menſch 6 mal ſo groß<lb/>
wie der vorgeſtellte Fuß;“ es iſt nur eine Vergleichung zweier Vor-<lb/>ſtellungen unter einander. — Dann natürlich entſteht die Frage:<lb/></p></div></body></text></TEI>
[22/0038]
Häuſern aufgeht, wir ſeine Entfernung nach den ihm zunächſt er-
ſcheinenden Gegenſtänden beurtheilen deren bedeutende Entfernung
uns bekannt iſt. Den Mond oben am Himmelsgewölbe dagegen
denken wir uns näher, da zwiſchen ihm und uns keine Gegenſtände
ſind, nach denen wir ſeine Entfernung ſchätzen könnten. So in der
Beurtheilung der Entfernung uns täuſchend conſtruiren wir nach ei-
nem und demſelben Netzhautbilde verſchieden, alſo auf jeden Fall
das eine Mal falſch. —
Das Reſultat dieſer ganzen hier mehr angedeuteten und ſkizzir-
ten als ausgeführten Unterſuchung iſt alſo folgendes: In der wirk-
lichen Welt befinden ſich zahlreiche Stoffe und Kräfte in Wechſelwir-
kung, dieſe verändern, wo ſie mit den Nervenfaſern unſeres Körpers
zuſammentreffen, den Zuſtand derſelben, und dieſe veränderten Zu-
ſtände werden die Veranlaſſung, daß unſer Geiſt ſich eine ganze
Weltanſicht ausmalt. Am lebendigſten tritt uns dieſe ſelbſtgeſchaffne
Welt entgegen wenn die Erregungszuſtände dem Augennerven ange-
hören, aber auch gerade hier können wir am deutlichſten nachweiſen,
daß die Welt in unſerer Vorſtellung ſich zwar immer auf die Welt
außer uns bezieht, aber durchaus nicht mit ihr gleichartig, identiſch
iſt. — Noch ein Beiſpiel mag dienen dies deutlich zu machen und
zugleich uns den Uebergang zum Folgenden zu bahnen. Das ein-
fachſte Verhältniß, welches ſich gewiß in der Außenwelt denken läßt,
iſt das von Stoff, Materie oder wie wir es nennen wollen, die ei-
nen gewiſſen Raum einnimmt. Wenn nun unſere Vorſtellung der
Welt irgend mit der wirklichen Welt übereinkommen ſollte, ſo müß-
ten wir doch vor Allem wiſſen, wie groß der Raum ſei und wie groß
das Stück des Raumes den das Materielle z. B. ein Fels einnimmt.
Wir haben aber gar keinen Maaßſtab für die Größe des Raums und
daher gar keinen Begriff von der Größe der Welt. — Wenn wir ſa-
gen: „dieſer Menſch iſt 6 Fuß groß,“ ſo heißt das nur: „in der
Welt unſerer Vorſtellungen iſt der vorgeſtellte Menſch 6 mal ſo groß
wie der vorgeſtellte Fuß;“ es iſt nur eine Vergleichung zweier Vor-
ſtellungen unter einander. — Dann natürlich entſteht die Frage:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/38>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.