Zwischen den besagten beiden End- und Grenzpunkten, von denen wir den ersteren allgemeiner als Poesie den zweiten als Prosa bezeichnen können, liegen alle verschiedenen Arten der Com- position und die dadurch bestimmten Modificationen des hermeneu- tischen Verfahrens. Der allgemeine hermeneutische Unterschied zwi- schen Poesie und Prosa ist der, daß dort das Einzelne als solches seinen besonderen Werth haben will, hier das Einzelne nur im Ganzen, in Beziehung auf den Hauptgedanken. Von den da- zwischen liegenden Arten der Composition grenzt unter den poe- tischen die dramatische am meisten an die Prosa und in ihr will alles als Eins und so gewissermaßen auf einmal verstanden wer- den. Die eigentliche Mitte bildet von der poetischen Seite die epische Poesie. Hier ist immer ein Zusammenwirken mehrerer, aber jeder ist da in seiner Einzelheit. Da haben wir das Gebiet des Hauptgedankens, so wie sich derselbe aber im Einzelnen darstellt entsteht das Gebiet der Nebengedanken, aber um diese herum ist ein allgemeines poetisches Leben und da sind im engeren Sinn die Gedanken Darstellungsmittel. Ebenso giebt es in der Prosa eine Form, welche der lyrischen Poesie am nächsten liegt, die episto- larische. Hier ist das freie Aneinanderreihen der Gedanken, die kein Band weiter haben als das Selbstbewußtsein des Subjects, das bald so bald so erregt wird. Ihr eigentliches Gebiet ist in dem Verhältniß gegenseitiger Bekanntschaft. Wo das nicht ist, oder nur fingirt, da geht der Brief aus seinem Gebiet heraus. Die historische Darstellung bildet wieder die Mitte von der Prosa aus. Hier sind die Hauptgedanken Theile der Darstellung, die dem Factum was dargestellt werden soll wesentlich sind. Säze welche sich während jenes dargestellt wird darbieten sind Neben- gedanken und Darstellungsmittel. Das didaktische kann sich dem strengsystematischen nähern, aber wenn die Darstellung rhetorisch wird läßt es eine Fülle von Nebengedanken und Darstellungs- mitteln zu.
Die Frage aber auf die es hier zunächst ankam war die, wie weit, wo solche Unterschiede und Abstufungen stattfinden, das her-
Zwiſchen den beſagten beiden End- und Grenzpunkten, von denen wir den erſteren allgemeiner als Poeſie den zweiten als Proſa bezeichnen koͤnnen, liegen alle verſchiedenen Arten der Com- poſition und die dadurch beſtimmten Modificationen des hermeneu- tiſchen Verfahrens. Der allgemeine hermeneutiſche Unterſchied zwi- ſchen Poeſie und Proſa iſt der, daß dort das Einzelne als ſolches ſeinen beſonderen Werth haben will, hier das Einzelne nur im Ganzen, in Beziehung auf den Hauptgedanken. Von den da- zwiſchen liegenden Arten der Compoſition grenzt unter den poe- tiſchen die dramatiſche am meiſten an die Proſa und in ihr will alles als Eins und ſo gewiſſermaßen auf einmal verſtanden wer- den. Die eigentliche Mitte bildet von der poetiſchen Seite die epiſche Poeſie. Hier iſt immer ein Zuſammenwirken mehrerer, aber jeder iſt da in ſeiner Einzelheit. Da haben wir das Gebiet des Hauptgedankens, ſo wie ſich derſelbe aber im Einzelnen darſtellt entſteht das Gebiet der Nebengedanken, aber um dieſe herum iſt ein allgemeines poetiſches Leben und da ſind im engeren Sinn die Gedanken Darſtellungsmittel. Ebenſo giebt es in der Proſa eine Form, welche der lyriſchen Poeſie am naͤchſten liegt, die epiſto- lariſche. Hier iſt das freie Aneinanderreihen der Gedanken, die kein Band weiter haben als das Selbſtbewußtſein des Subjects, das bald ſo bald ſo erregt wird. Ihr eigentliches Gebiet iſt in dem Verhaͤltniß gegenſeitiger Bekanntſchaft. Wo das nicht iſt, oder nur fingirt, da geht der Brief aus ſeinem Gebiet heraus. Die hiſtoriſche Darſtellung bildet wieder die Mitte von der Proſa aus. Hier ſind die Hauptgedanken Theile der Darſtellung, die dem Factum was dargeſtellt werden ſoll weſentlich ſind. Saͤze welche ſich waͤhrend jenes dargeſtellt wird darbieten ſind Neben- gedanken und Darſtellungsmittel. Das didaktiſche kann ſich dem ſtrengſyſtematiſchen naͤhern, aber wenn die Darſtellung rhetoriſch wird laͤßt es eine Fuͤlle von Nebengedanken und Darſtellungs- mitteln zu.
Die Frage aber auf die es hier zunaͤchſt ankam war die, wie weit, wo ſolche Unterſchiede und Abſtufungen ſtattfinden, das her-
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Zwiſchen den beſagten beiden End- und Grenzpunkten, von
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Proſa bezeichnen koͤnnen, liegen alle verſchiedenen Arten der Com-
poſition und die dadurch beſtimmten Modificationen des hermeneu-
tiſchen Verfahrens. Der allgemeine hermeneutiſche Unterſchied zwi-
ſchen Poeſie und Proſa iſt der, daß dort das Einzelne als ſolches
ſeinen beſonderen Werth haben will, hier das Einzelne nur im
Ganzen, in Beziehung auf den Hauptgedanken. Von den da-
zwiſchen liegenden Arten der Compoſition grenzt unter den poe-
tiſchen die dramatiſche am meiſten an die Proſa und in ihr will
alles als Eins und ſo gewiſſermaßen auf einmal verſtanden wer-
den. Die eigentliche Mitte bildet von der poetiſchen Seite die
epiſche Poeſie. Hier iſt immer ein Zuſammenwirken mehrerer, aber
jeder iſt da in ſeiner Einzelheit. Da haben wir das Gebiet des
Hauptgedankens, ſo wie ſich derſelbe aber im Einzelnen darſtellt
entſteht das Gebiet der Nebengedanken, aber um dieſe herum iſt
ein allgemeines poetiſches Leben und da ſind im engeren Sinn die
Gedanken Darſtellungsmittel. Ebenſo giebt es in der Proſa eine
Form, welche der lyriſchen Poeſie am naͤchſten liegt, die epiſto-
lariſche. Hier iſt das freie Aneinanderreihen der Gedanken, die
kein Band weiter haben als das Selbſtbewußtſein des Subjects,
das bald ſo bald ſo erregt wird. Ihr eigentliches Gebiet iſt in
dem Verhaͤltniß gegenſeitiger Bekanntſchaft. Wo das nicht iſt,
oder nur fingirt, da geht der Brief aus ſeinem Gebiet heraus.
Die hiſtoriſche Darſtellung bildet wieder die Mitte von der Proſa
aus. Hier ſind die Hauptgedanken Theile der Darſtellung, die
dem Factum was dargeſtellt werden ſoll weſentlich ſind. Saͤze
welche ſich waͤhrend jenes dargeſtellt wird darbieten ſind Neben-
gedanken und Darſtellungsmittel. Das didaktiſche kann ſich dem
ſtrengſyſtematiſchen naͤhern, aber wenn die Darſtellung rhetoriſch
wird laͤßt es eine Fuͤlle von Nebengedanken und Darſtellungs-
mitteln zu.
Die Frage aber auf die es hier zunaͤchſt ankam war die, wie
weit, wo ſolche Unterſchiede und Abſtufungen ſtattfinden, das her-
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/122>, abgerufen am 04.12.2024.
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