meneutische Verfahren nach dem aufgestellten Kanon verschieden sein muß. Hier tritt nun nach dem bisherigen folgende Regel ein: Von allem was mit zu dem Hauptgedanken eines Gedan- kencomplexus gehört, ist vorauszusezen, daß es in derselben Be- deutung gebraucht wird so lange derselbe Zusammenhang fortbe- steht. Dieß gilt aber nicht von dem was nur Darstellungsmittel ist. Dieß kann in verschiedenen Stellen verschiedenen Localwerth haben. Parenthesen heben den Zusammenhang und seine Identi- tät nicht auf. Sie sind eben nur Unterbrechungen, nach denen sich der noch nicht geschlossene Zusammenhang wieder herstellt. Weshalb auch bei den Alten Anfang und Ende der Parenthesen sich gleichsam verlieren und unmerklich sind. Nur da, wo ein von dem Verfasser beabsichtigter wirklicher Schluß ist, ist der Zusammenhang gelös't und damit das Gebiet begrenzt, in welchem die Bestimmung eines unbestimmten Ausdrucks zunächst zu suchen ist. Liegt aber in dem so geschlossenen Zusammen- hang keine hinreichende Indication für die Bestimmung eines fraglichen Localwerthes, so kann man, wenn sich irgendwo an- ders, wenn auch bei einem andern Schriftsteller, aber in dem- selben Sprachgebiete derselbe Gedankencomplexus findet, diesen als Ergänzung gebrauchen. Bei dem Gebrauch solcher Ergän- zungen oder Erklärungsmittel ist aber sorgfältig der Grad der Verwandtschaft zu berücksichtigen, denn darnach richtet sich das größere oder geringere Recht und die größere oder geringere Si- cherheit des Gebrauchs. Liegt die Schwierigkeit nicht in dem Hauptgedanken, sondern in dem Nebengedanken, so muß die Be- stimmung des Localwerthes des Ausdrucks da gesucht werden, wo der Nebengedanke als Hauptgedanke erscheint, aber um sicher zu sein nicht an einer einzelnen Stelle, sondern an mehreren. Diese Regel hat ihren Grund darin, daß, je mehr ein Ausdruck Neben- gedanke ist, desto weniger vorauszusezen ist, daß er in seiner gan- zen Bestimmtheit genommen ist. Dieß hat einen psychologischen Grund. Bei dem Verfassen einer Schrift ist der Schriftsteller von Vorstellungen begleitet, die sich ihm neben dem Hauptgedan-
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meneutiſche Verfahren nach dem aufgeſtellten Kanon verſchieden ſein muß. Hier tritt nun nach dem bisherigen folgende Regel ein: Von allem was mit zu dem Hauptgedanken eines Gedan- kencomplexus gehoͤrt, iſt vorauszuſezen, daß es in derſelben Be- deutung gebraucht wird ſo lange derſelbe Zuſammenhang fortbe- ſteht. Dieß gilt aber nicht von dem was nur Darſtellungsmittel iſt. Dieß kann in verſchiedenen Stellen verſchiedenen Localwerth haben. Parentheſen heben den Zuſammenhang und ſeine Identi- taͤt nicht auf. Sie ſind eben nur Unterbrechungen, nach denen ſich der noch nicht geſchloſſene Zuſammenhang wieder herſtellt. Weshalb auch bei den Alten Anfang und Ende der Parentheſen ſich gleichſam verlieren und unmerklich ſind. Nur da, wo ein von dem Verfaſſer beabſichtigter wirklicher Schluß iſt, iſt der Zuſammenhang geloͤſ't und damit das Gebiet begrenzt, in welchem die Beſtimmung eines unbeſtimmten Ausdrucks zunaͤchſt zu ſuchen iſt. Liegt aber in dem ſo geſchloſſenen Zuſammen- hang keine hinreichende Indication fuͤr die Beſtimmung eines fraglichen Localwerthes, ſo kann man, wenn ſich irgendwo an- ders, wenn auch bei einem andern Schriftſteller, aber in dem- ſelben Sprachgebiete derſelbe Gedankencomplexus findet, dieſen als Ergaͤnzung gebrauchen. Bei dem Gebrauch ſolcher Ergaͤn- zungen oder Erklaͤrungsmittel iſt aber ſorgfaͤltig der Grad der Verwandtſchaft zu beruͤckſichtigen, denn darnach richtet ſich das groͤßere oder geringere Recht und die groͤßere oder geringere Si- cherheit des Gebrauchs. Liegt die Schwierigkeit nicht in dem Hauptgedanken, ſondern in dem Nebengedanken, ſo muß die Be- ſtimmung des Localwerthes des Ausdrucks da geſucht werden, wo der Nebengedanke als Hauptgedanke erſcheint, aber um ſicher zu ſein nicht an einer einzelnen Stelle, ſondern an mehreren. Dieſe Regel hat ihren Grund darin, daß, je mehr ein Ausdruck Neben- gedanke iſt, deſto weniger vorauszuſezen iſt, daß er in ſeiner gan- zen Beſtimmtheit genommen iſt. Dieß hat einen pſychologiſchen Grund. Bei dem Verfaſſen einer Schrift iſt der Schriftſteller von Vorſtellungen begleitet, die ſich ihm neben dem Hauptgedan-
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meneutiſche Verfahren nach dem aufgeſtellten Kanon verſchieden
ſein muß. Hier tritt nun nach dem bisherigen folgende Regel
ein: Von allem was mit zu dem Hauptgedanken eines Gedan-
kencomplexus gehoͤrt, iſt vorauszuſezen, daß es in derſelben Be-
deutung gebraucht wird ſo lange derſelbe Zuſammenhang fortbe-
ſteht. Dieß gilt aber nicht von dem was nur Darſtellungsmittel
iſt. Dieß kann in verſchiedenen Stellen verſchiedenen Localwerth
haben. Parentheſen heben den Zuſammenhang und ſeine Identi-
taͤt nicht auf. Sie ſind eben nur Unterbrechungen, nach denen
ſich der noch nicht geſchloſſene Zuſammenhang wieder herſtellt.
Weshalb auch bei den Alten Anfang und Ende der Parentheſen
ſich gleichſam verlieren und unmerklich ſind. Nur da, wo
ein von dem Verfaſſer beabſichtigter wirklicher Schluß iſt, iſt
der Zuſammenhang geloͤſ't und damit das Gebiet begrenzt, in
welchem die Beſtimmung eines unbeſtimmten Ausdrucks zunaͤchſt
zu ſuchen iſt. Liegt aber in dem ſo geſchloſſenen Zuſammen-
hang keine hinreichende Indication fuͤr die Beſtimmung eines
fraglichen Localwerthes, ſo kann man, wenn ſich irgendwo an-
ders, wenn auch bei einem andern Schriftſteller, aber in dem-
ſelben Sprachgebiete derſelbe Gedankencomplexus findet, dieſen
als Ergaͤnzung gebrauchen. Bei dem Gebrauch ſolcher Ergaͤn-
zungen oder Erklaͤrungsmittel iſt aber ſorgfaͤltig der Grad der
Verwandtſchaft zu beruͤckſichtigen, denn darnach richtet ſich das
groͤßere oder geringere Recht und die groͤßere oder geringere Si-
cherheit des Gebrauchs. Liegt die Schwierigkeit nicht in dem
Hauptgedanken, ſondern in dem Nebengedanken, ſo muß die Be-
ſtimmung des Localwerthes des Ausdrucks da geſucht werden, wo
der Nebengedanke als Hauptgedanke erſcheint, aber um ſicher zu
ſein nicht an einer einzelnen Stelle, ſondern an mehreren. Dieſe
Regel hat ihren Grund darin, daß, je mehr ein Ausdruck Neben-
gedanke iſt, deſto weniger vorauszuſezen iſt, daß er in ſeiner gan-
zen Beſtimmtheit genommen iſt. Dieß hat einen pſychologiſchen
Grund. Bei dem Verfaſſen einer Schrift iſt der Schriftſteller
von Vorſtellungen begleitet, die ſich ihm neben dem Hauptgedan-
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/123>, abgerufen am 04.12.2024.
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