Entgegengesezten leisten läßt, so bald nemlich, wie in dem an- gegebenen Falle die Grenze, das Prinzip des Gegensazes, nicht vollkommen bestimmt ist. Dies führt darauf, ob nicht auch eine andere Verwandtschaft Statt finde, als die durch Gegensaz? Al- lerdings! Es giebt Verwandtschaften, welche durch Differenzen (Unterschiede) bestimmt sind, die keine Gegensäze sind, keine aus- schließenden. Besteht z. B. kein reiner Gegensaz zwischen Thier und Pflanze, und müssen wir sagen, beide seien Formen des Lebens durch unmittelbaren Übergang verbunden, so werden wir wohl eine Menge Differenzen wahrnehmen, die zwar auf bestimmte Gegen- säze führen, aber rein quantitative. So giebt es Gebiete wo der qualitative Gegensaz unter den Vorstellungen dominirt, und solche wo die Übergänge (quantitative Differenzen). Auf dem Farben- gebiete z. B. haben wir wol gewisse Gegensäze, aber sie werden von dem Übergange beherrscht; wenn wir auch bestimmte Aus- drücke haben für das, was in die Mitte fällt, es giebt immer Far- ben, die an der Grenze dem einen und dem andern Gebiete zuge- schrieben werden können. Je unmittelbarer der Übergang ist, desto größer ist die Verwandtschaft. Diese Art der Verwandt- schaft ist schwerer zu behandeln, als die, welche durch reinen Ge- gensaz entsteht. Es kommt nemlich dabei in Betracht, daß, wie es eine verschiedene Art zu sehen giebt, so auch eine Verschieden- heit der Vorstellung von einem und demselben Object. Wo eine solche Verschiedenheit stattfindet, da muß sie bei der Erklärung eines Ausdrucks aus der Verwandtschaft immer berücksichtigt wer- den. Dieß hängt mit unserem Princip zusammen, daß alles Ein- zelne nur aus dem Ganzen zu verstehen ist. Alle Vorstellungen die in einem Complexus durch Gegensäze verbunden sind bilden ein Ganzes; aber ebenso jeder Complexus von Übergängen. Soll dabei Einzelnes aus der Verbindung mit einem andern Schrift- steller erklärt werden, so muß zuvor Gewißheit sein, daß der an- dere dieselbe Art zu sehen, dieselbe Art des Vorstellens habe.
Betrachten wir in dieser Hinsicht die verschiedenen Charaktere der Sprachelemente, so werden wir, die Sache im Großen ange-
Entgegengeſezten leiſten laͤßt, ſo bald nemlich, wie in dem an- gegebenen Falle die Grenze, das Prinzip des Gegenſazes, nicht vollkommen beſtimmt iſt. Dies fuͤhrt darauf, ob nicht auch eine andere Verwandtſchaft Statt finde, als die durch Gegenſaz? Al- lerdings! Es giebt Verwandtſchaften, welche durch Differenzen (Unterſchiede) beſtimmt ſind, die keine Gegenſaͤze ſind, keine aus- ſchließenden. Beſteht z. B. kein reiner Gegenſaz zwiſchen Thier und Pflanze, und muͤſſen wir ſagen, beide ſeien Formen des Lebens durch unmittelbaren Übergang verbunden, ſo werden wir wohl eine Menge Differenzen wahrnehmen, die zwar auf beſtimmte Gegen- ſaͤze fuͤhren, aber rein quantitative. So giebt es Gebiete wo der qualitative Gegenſaz unter den Vorſtellungen dominirt, und ſolche wo die Übergaͤnge (quantitative Differenzen). Auf dem Farben- gebiete z. B. haben wir wol gewiſſe Gegenſaͤze, aber ſie werden von dem Übergange beherrſcht; wenn wir auch beſtimmte Aus- druͤcke haben fuͤr das, was in die Mitte faͤllt, es giebt immer Far- ben, die an der Grenze dem einen und dem andern Gebiete zuge- ſchrieben werden koͤnnen. Je unmittelbarer der Übergang iſt, deſto groͤßer iſt die Verwandtſchaft. Dieſe Art der Verwandt- ſchaft iſt ſchwerer zu behandeln, als die, welche durch reinen Ge- genſaz entſteht. Es kommt nemlich dabei in Betracht, daß, wie es eine verſchiedene Art zu ſehen giebt, ſo auch eine Verſchieden- heit der Vorſtellung von einem und demſelben Object. Wo eine ſolche Verſchiedenheit ſtattfindet, da muß ſie bei der Erklaͤrung eines Ausdrucks aus der Verwandtſchaft immer beruͤckſichtigt wer- den. Dieß haͤngt mit unſerem Princip zuſammen, daß alles Ein- zelne nur aus dem Ganzen zu verſtehen iſt. Alle Vorſtellungen die in einem Complexus durch Gegenſaͤze verbunden ſind bilden ein Ganzes; aber ebenſo jeder Complexus von Übergaͤngen. Soll dabei Einzelnes aus der Verbindung mit einem andern Schrift- ſteller erklaͤrt werden, ſo muß zuvor Gewißheit ſein, daß der an- dere dieſelbe Art zu ſehen, dieſelbe Art des Vorſtellens habe.
Betrachten wir in dieſer Hinſicht die verſchiedenen Charaktere der Sprachelemente, ſo werden wir, die Sache im Großen ange-
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Entgegengeſezten leiſten laͤßt, ſo bald nemlich, wie in dem an-
gegebenen Falle die Grenze, das Prinzip des Gegenſazes, nicht
vollkommen beſtimmt iſt. Dies fuͤhrt darauf, ob nicht auch eine
andere Verwandtſchaft Statt finde, als die durch Gegenſaz? Al-
lerdings! Es giebt Verwandtſchaften, welche durch Differenzen
(Unterſchiede) beſtimmt ſind, die keine Gegenſaͤze ſind, keine aus-
ſchließenden. Beſteht z. B. kein reiner Gegenſaz zwiſchen Thier
und Pflanze, und muͤſſen wir ſagen, beide ſeien Formen des Lebens
durch unmittelbaren Übergang verbunden, ſo werden wir wohl eine
Menge Differenzen wahrnehmen, die zwar auf beſtimmte Gegen-
ſaͤze fuͤhren, aber rein quantitative. So giebt es Gebiete wo der
qualitative Gegenſaz unter den Vorſtellungen dominirt, und ſolche
wo die Übergaͤnge (quantitative Differenzen). Auf dem Farben-
gebiete z. B. haben wir wol gewiſſe Gegenſaͤze, aber ſie werden
von dem Übergange beherrſcht; wenn wir auch beſtimmte Aus-
druͤcke haben fuͤr das, was in die Mitte faͤllt, es giebt immer Far-
ben, die an der Grenze dem einen und dem andern Gebiete zuge-
ſchrieben werden koͤnnen. Je unmittelbarer der Übergang iſt,
deſto groͤßer iſt die Verwandtſchaft. Dieſe Art der Verwandt-
ſchaft iſt ſchwerer zu behandeln, als die, welche durch reinen Ge-
genſaz entſteht. Es kommt nemlich dabei in Betracht, daß, wie
es eine verſchiedene Art zu ſehen giebt, ſo auch eine Verſchieden-
heit der Vorſtellung von einem und demſelben Object. Wo eine
ſolche Verſchiedenheit ſtattfindet, da muß ſie bei der Erklaͤrung
eines Ausdrucks aus der Verwandtſchaft immer beruͤckſichtigt wer-
den. Dieß haͤngt mit unſerem Princip zuſammen, daß alles Ein-
zelne nur aus dem Ganzen zu verſtehen iſt. Alle Vorſtellungen
die in einem Complexus durch Gegenſaͤze verbunden ſind bilden
ein Ganzes; aber ebenſo jeder Complexus von Übergaͤngen. Soll
dabei Einzelnes aus der Verbindung mit einem andern Schrift-
ſteller erklaͤrt werden, ſo muß zuvor Gewißheit ſein, daß der an-
dere dieſelbe Art zu ſehen, dieſelbe Art des Vorſtellens habe.
Betrachten wir in dieſer Hinſicht die verſchiedenen Charaktere
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/127>, abgerufen am 04.12.2024.
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