sehen, finden, daß das Hauptwort die Region ist, worin der Ge- gensaz dominirt, das Zeitwort die Region, worin die Übergänge. Denn das Hauptwort schließt alle mir vorkommenden bestimmten Formen des Seins, die Natur oder die Kunst mag sie hervor- gebracht haben, in sich. Jene sind aber der beiweitem größte Theil dieser Region. Die Verba Thätigkeiten bezeichnend haben schon dadurch ihre Richtung auf die Übergänge, also auf Diffe- renzen die keine Gegensäze sind. Hier nur im Allgemeinen die Regel, daß viel größere Vorsicht nöthig ist bei Erklärung eines Wortes aus bloßer Differenz, als aus reiner Entgegensezung, denn hier haben wir es mit objectiv bestimmtem zu thun, womit zusammenhängt, daß die Bezeichnung des Entgegengesezten in der Sprache viel fester steht.
Aber die obige Beziehung der verschiedenen Regionen des Haupt- und Zeitworts gilt nur im Großen, denn wir finden, daß bald Zeitwörter von Hauptwörtern, bald diese von jenen abgeleitet werden. Sind nun dieß die beiden Hauptrichtun- gen in der Entwicklung des Vorstellungsvermögens, so folgt, daß die Auslegung sicherer ist, wo die Sprache in ihrer Hauptform die Vorstellung rein erschöpft; dann wird die Sprache selbst die Indication auf das eine und andere sein; je nachdem sie aber schwankt, muß auch die Auslegung schwanken. Im Hebräischen z. B., wo allgemein die Voraussezung gilt, daß alle Stammwör- ter Zeitwörter seien und alle Nomina abgeleitet, wird die Ausle- gung eben wegen dieser einfachen Richtung der Sprache in diesem Stücke ungemein erleichtert. Wo aber beide Richtungen in der Sprachbildung sind, da fehlt auch die bestimmte Indication in der Sprache selbst, und muß ein großer Reichthum von Erklä- rungsmitteln gegeben sein, um sicher verfahren zu können. Hat man nun alle Ausdrücke beisammen, die zusammen ein Ganzes bilden, die aber durch Modificationen, welche sich immer auf einen gewissen Gegensaz bringen lassen, verschieden sind, kann man sie dann auf eine gewisse Weise ordnen und den Werth derselben zu einander bestimmen, und kann man dann auch sagen, in dem
ſehen, finden, daß das Hauptwort die Region iſt, worin der Ge- genſaz dominirt, das Zeitwort die Region, worin die Übergaͤnge. Denn das Hauptwort ſchließt alle mir vorkommenden beſtimmten Formen des Seins, die Natur oder die Kunſt mag ſie hervor- gebracht haben, in ſich. Jene ſind aber der beiweitem groͤßte Theil dieſer Region. Die Verba Thaͤtigkeiten bezeichnend haben ſchon dadurch ihre Richtung auf die Übergaͤnge, alſo auf Diffe- renzen die keine Gegenſaͤze ſind. Hier nur im Allgemeinen die Regel, daß viel groͤßere Vorſicht noͤthig iſt bei Erklaͤrung eines Wortes aus bloßer Differenz, als aus reiner Entgegenſezung, denn hier haben wir es mit objectiv beſtimmtem zu thun, womit zuſammenhaͤngt, daß die Bezeichnung des Entgegengeſezten in der Sprache viel feſter ſteht.
Aber die obige Beziehung der verſchiedenen Regionen des Haupt- und Zeitworts gilt nur im Großen, denn wir finden, daß bald Zeitwoͤrter von Hauptwoͤrtern, bald dieſe von jenen abgeleitet werden. Sind nun dieß die beiden Hauptrichtun- gen in der Entwicklung des Vorſtellungsvermoͤgens, ſo folgt, daß die Auslegung ſicherer iſt, wo die Sprache in ihrer Hauptform die Vorſtellung rein erſchoͤpft; dann wird die Sprache ſelbſt die Indication auf das eine und andere ſein; je nachdem ſie aber ſchwankt, muß auch die Auslegung ſchwanken. Im Hebraͤiſchen z. B., wo allgemein die Vorausſezung gilt, daß alle Stammwoͤr- ter Zeitwoͤrter ſeien und alle Nomina abgeleitet, wird die Ausle- gung eben wegen dieſer einfachen Richtung der Sprache in dieſem Stuͤcke ungemein erleichtert. Wo aber beide Richtungen in der Sprachbildung ſind, da fehlt auch die beſtimmte Indication in der Sprache ſelbſt, und muß ein großer Reichthum von Erklaͤ- rungsmitteln gegeben ſein, um ſicher verfahren zu koͤnnen. Hat man nun alle Ausdruͤcke beiſammen, die zuſammen ein Ganzes bilden, die aber durch Modificationen, welche ſich immer auf einen gewiſſen Gegenſaz bringen laſſen, verſchieden ſind, kann man ſie dann auf eine gewiſſe Weiſe ordnen und den Werth derſelben zu einander beſtimmen, und kann man dann auch ſagen, in dem
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ſehen, finden, daß das Hauptwort die Region iſt, worin der Ge-
genſaz dominirt, das Zeitwort die Region, worin die Übergaͤnge.
Denn das Hauptwort ſchließt alle mir vorkommenden beſtimmten
Formen des Seins, die Natur oder die Kunſt mag ſie hervor-
gebracht haben, in ſich. Jene ſind aber der beiweitem groͤßte
Theil dieſer Region. Die Verba Thaͤtigkeiten bezeichnend haben
ſchon dadurch ihre Richtung auf die Übergaͤnge, alſo auf Diffe-
renzen die keine Gegenſaͤze ſind. Hier nur im Allgemeinen die
Regel, daß viel groͤßere Vorſicht noͤthig iſt bei Erklaͤrung eines
Wortes aus bloßer Differenz, als aus reiner Entgegenſezung,
denn hier haben wir es mit objectiv beſtimmtem zu thun, womit
zuſammenhaͤngt, daß die Bezeichnung des Entgegengeſezten in der
Sprache viel feſter ſteht.
Aber die obige Beziehung der verſchiedenen Regionen des
Haupt- und Zeitworts gilt nur im Großen, denn wir finden,
daß bald Zeitwoͤrter von Hauptwoͤrtern, bald dieſe von jenen
abgeleitet werden. Sind nun dieß die beiden Hauptrichtun-
gen in der Entwicklung des Vorſtellungsvermoͤgens, ſo folgt, daß
die Auslegung ſicherer iſt, wo die Sprache in ihrer Hauptform
die Vorſtellung rein erſchoͤpft; dann wird die Sprache ſelbſt die
Indication auf das eine und andere ſein; je nachdem ſie aber
ſchwankt, muß auch die Auslegung ſchwanken. Im Hebraͤiſchen
z. B., wo allgemein die Vorausſezung gilt, daß alle Stammwoͤr-
ter Zeitwoͤrter ſeien und alle Nomina abgeleitet, wird die Ausle-
gung eben wegen dieſer einfachen Richtung der Sprache in dieſem
Stuͤcke ungemein erleichtert. Wo aber beide Richtungen in der
Sprachbildung ſind, da fehlt auch die beſtimmte Indication in
der Sprache ſelbſt, und muß ein großer Reichthum von Erklaͤ-
rungsmitteln gegeben ſein, um ſicher verfahren zu koͤnnen. Hat
man nun alle Ausdruͤcke beiſammen, die zuſammen ein Ganzes
bilden, die aber durch Modificationen, welche ſich immer auf einen
gewiſſen Gegenſaz bringen laſſen, verſchieden ſind, kann man ſie
dann auf eine gewiſſe Weiſe ordnen und den Werth derſelben
zu einander beſtimmen, und kann man dann auch ſagen, in dem
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/128>, abgerufen am 04.12.2024.
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