Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

stellung aufhört. Nur das darf man sagen, daß weil beide
Arten der Verbindung nicht streng entgegengesezt sind Übergänge
stattfinden. Aber eben hieraus, aus der verschiedenen Auffassung
des formellen Elements, entstehen weit mehr Schwierigkeiten, als
aus der verschiedenen Auffassung des materiellen. Die wahre
Hülfe liegt auch hier in der Übersicht des Gesammtzusammenhan-
ges, in welchem materielles und formelles Element einander be-
stimmen.

Wir finden fast überall wenn gleich nach den verschiede-
nen Sprachen in verschiedenen Verhältnissen unverbundene
Säze
1).

Die unverbundenen Säze können entweder Neues anfangen
oder nicht. Im ersteren Falle hilft man sich durch Abschnitte,
Überschriften, die materiell den Inhalt, formell die Abtheilung
bezeichnen. Im zweiten Falle kann die Unverbundenheit darin
ihren Grund haben, daß der vorige Saz sich zu den folgen-
den verhält wie Ankündigung und Übersicht. Dieß kann ange-
deutet werden durch Formeln, wie folgender Maßen und der-
gleichen. -- Das Unverbundene, was nichts Neues ist, kann an-
gereihet oder organisch verknüpft gedacht werden. Oft ist dieß
leicht zu entscheiden, wenn die materiellen Elemente die Indikation
geben. Aber in dem Maaße, in welchem der Werth aus dem
materiellen Elemente, welches dann das dominirende ist, nicht er-
faßt werden kann, ist die Auslegung schwierig. Hier greift nun
die grammatische Auslegung in die psychologische über. Es kommt
auf die Art, die Gattung der Composition an. Jede Gattung
hat darin ihre eigenen Regeln, und in derselben Gattung sind
wieder individuelle Differenzen, indem der Eine mehr der objecti-
ven Verbindung folgt, der Andere mehr die subjective zuläßt. Die
subjectiven Verbindungen laufen darauf hinaus, daß der Schrift-
steller seine Gedankenreihe vor dem Leser mehr entstehen läßt.
Aber eben dieß gestattet die eine Gattung der Rede mehr die an-

1) Vergl. §. 7.

ſtellung aufhoͤrt. Nur das darf man ſagen, daß weil beide
Arten der Verbindung nicht ſtreng entgegengeſezt ſind Übergaͤnge
ſtattfinden. Aber eben hieraus, aus der verſchiedenen Auffaſſung
des formellen Elements, entſtehen weit mehr Schwierigkeiten, als
aus der verſchiedenen Auffaſſung des materiellen. Die wahre
Huͤlfe liegt auch hier in der Überſicht des Geſammtzuſammenhan-
ges, in welchem materielles und formelles Element einander be-
ſtimmen.

Wir finden faſt uͤberall wenn gleich nach den verſchiede-
nen Sprachen in verſchiedenen Verhaͤltniſſen unverbundene
Saͤze
1).

Die unverbundenen Saͤze koͤnnen entweder Neues anfangen
oder nicht. Im erſteren Falle hilft man ſich durch Abſchnitte,
Überſchriften, die materiell den Inhalt, formell die Abtheilung
bezeichnen. Im zweiten Falle kann die Unverbundenheit darin
ihren Grund haben, daß der vorige Saz ſich zu den folgen-
den verhaͤlt wie Ankuͤndigung und Überſicht. Dieß kann ange-
deutet werden durch Formeln, wie folgender Maßen und der-
gleichen. — Das Unverbundene, was nichts Neues iſt, kann an-
gereihet oder organiſch verknuͤpft gedacht werden. Oft iſt dieß
leicht zu entſcheiden, wenn die materiellen Elemente die Indikation
geben. Aber in dem Maaße, in welchem der Werth aus dem
materiellen Elemente, welches dann das dominirende iſt, nicht er-
faßt werden kann, iſt die Auslegung ſchwierig. Hier greift nun
die grammatiſche Auslegung in die pſychologiſche uͤber. Es kommt
auf die Art, die Gattung der Compoſition an. Jede Gattung
hat darin ihre eigenen Regeln, und in derſelben Gattung ſind
wieder individuelle Differenzen, indem der Eine mehr der objecti-
ven Verbindung folgt, der Andere mehr die ſubjective zulaͤßt. Die
ſubjectiven Verbindungen laufen darauf hinaus, daß der Schrift-
ſteller ſeine Gedankenreihe vor dem Leſer mehr entſtehen laͤßt.
Aber eben dieß geſtattet die eine Gattung der Rede mehr die an-

1) Vergl. §. 7.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0146" n="122"/>
&#x017F;tellung aufho&#x0364;rt. Nur das darf man &#x017F;agen, daß weil beide<lb/>
Arten der Verbindung nicht &#x017F;treng entgegenge&#x017F;ezt &#x017F;ind Überga&#x0364;nge<lb/>
&#x017F;tattfinden. Aber eben hieraus, aus der ver&#x017F;chiedenen Auffa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
des formellen Elements, ent&#x017F;tehen weit mehr Schwierigkeiten, als<lb/>
aus der ver&#x017F;chiedenen Auffa&#x017F;&#x017F;ung des materiellen. Die wahre<lb/>
Hu&#x0364;lfe liegt auch hier in der Über&#x017F;icht des Ge&#x017F;ammtzu&#x017F;ammenhan-<lb/>
ges, in welchem materielles und formelles Element einander be-<lb/>
&#x017F;timmen.</p><lb/>
            <p>Wir finden fa&#x017F;t u&#x0364;berall wenn gleich nach den ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Sprachen in ver&#x017F;chiedenen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#g">unverbundene<lb/>
Sa&#x0364;ze</hi> <note place="foot" n="1)">Vergl. §. 7.</note>.</p><lb/>
            <p>Die unverbundenen Sa&#x0364;ze ko&#x0364;nnen entweder Neues anfangen<lb/>
oder nicht. Im er&#x017F;teren Falle hilft man &#x017F;ich durch Ab&#x017F;chnitte,<lb/>
Über&#x017F;chriften, die materiell den Inhalt, formell die Abtheilung<lb/>
bezeichnen. Im zweiten Falle kann die Unverbundenheit darin<lb/>
ihren Grund haben, daß der vorige Saz &#x017F;ich zu den folgen-<lb/>
den verha&#x0364;lt wie Anku&#x0364;ndigung und Über&#x017F;icht. Dieß kann ange-<lb/>
deutet werden durch Formeln, wie <hi rendition="#g">folgender Maßen</hi> und der-<lb/>
gleichen. &#x2014; Das Unverbundene, was nichts Neues i&#x017F;t, kann an-<lb/>
gereihet oder organi&#x017F;ch verknu&#x0364;pft <hi rendition="#g">gedacht</hi> werden. Oft i&#x017F;t dieß<lb/>
leicht zu ent&#x017F;cheiden, wenn die materiellen Elemente die Indikation<lb/>
geben. Aber in dem Maaße, in welchem der Werth aus dem<lb/>
materiellen Elemente, welches dann das dominirende i&#x017F;t, nicht er-<lb/>
faßt werden kann, i&#x017F;t die Auslegung &#x017F;chwierig. Hier greift nun<lb/>
die grammati&#x017F;che Auslegung in die p&#x017F;ychologi&#x017F;che u&#x0364;ber. Es kommt<lb/>
auf die Art, die Gattung der Compo&#x017F;ition an. Jede Gattung<lb/>
hat darin ihre eigenen Regeln, und in der&#x017F;elben Gattung &#x017F;ind<lb/>
wieder individuelle Differenzen, indem der Eine mehr der objecti-<lb/>
ven Verbindung folgt, der Andere mehr die &#x017F;ubjective zula&#x0364;ßt. Die<lb/>
&#x017F;ubjectiven Verbindungen laufen darauf hinaus, daß der Schrift-<lb/>
&#x017F;teller &#x017F;eine Gedankenreihe vor dem Le&#x017F;er mehr ent&#x017F;tehen la&#x0364;ßt.<lb/>
Aber eben dieß ge&#x017F;tattet die eine Gattung der Rede mehr die an-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0146] ſtellung aufhoͤrt. Nur das darf man ſagen, daß weil beide Arten der Verbindung nicht ſtreng entgegengeſezt ſind Übergaͤnge ſtattfinden. Aber eben hieraus, aus der verſchiedenen Auffaſſung des formellen Elements, entſtehen weit mehr Schwierigkeiten, als aus der verſchiedenen Auffaſſung des materiellen. Die wahre Huͤlfe liegt auch hier in der Überſicht des Geſammtzuſammenhan- ges, in welchem materielles und formelles Element einander be- ſtimmen. Wir finden faſt uͤberall wenn gleich nach den verſchiede- nen Sprachen in verſchiedenen Verhaͤltniſſen unverbundene Saͤze 1). Die unverbundenen Saͤze koͤnnen entweder Neues anfangen oder nicht. Im erſteren Falle hilft man ſich durch Abſchnitte, Überſchriften, die materiell den Inhalt, formell die Abtheilung bezeichnen. Im zweiten Falle kann die Unverbundenheit darin ihren Grund haben, daß der vorige Saz ſich zu den folgen- den verhaͤlt wie Ankuͤndigung und Überſicht. Dieß kann ange- deutet werden durch Formeln, wie folgender Maßen und der- gleichen. — Das Unverbundene, was nichts Neues iſt, kann an- gereihet oder organiſch verknuͤpft gedacht werden. Oft iſt dieß leicht zu entſcheiden, wenn die materiellen Elemente die Indikation geben. Aber in dem Maaße, in welchem der Werth aus dem materiellen Elemente, welches dann das dominirende iſt, nicht er- faßt werden kann, iſt die Auslegung ſchwierig. Hier greift nun die grammatiſche Auslegung in die pſychologiſche uͤber. Es kommt auf die Art, die Gattung der Compoſition an. Jede Gattung hat darin ihre eigenen Regeln, und in derſelben Gattung ſind wieder individuelle Differenzen, indem der Eine mehr der objecti- ven Verbindung folgt, der Andere mehr die ſubjective zulaͤßt. Die ſubjectiven Verbindungen laufen darauf hinaus, daß der Schrift- ſteller ſeine Gedankenreihe vor dem Leſer mehr entſtehen laͤßt. Aber eben dieß geſtattet die eine Gattung der Rede mehr die an- 1) Vergl. §. 7.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/146
Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/146>, abgerufen am 04.12.2024.