Nach diesem kommen wir zur Kenntniß des litterarischen Gebietes eben dadurch, daß wir die hermeneutische Operation an Vielen vollzogen haben. Das erste Verfahren beruht auf persönlichen Verhältnissen zwischen Lesern und Schriftstellern. Findet ein per- sönliches Verhältniß der inneren Verwandschaft zwischen Leser und Schriftsteller statt, z. B. bei einem Lieblingsschriftsteller, so wird man natürlich das comparative Verfahren einschlagen. So hat Jeder in Beziehung auf jeden Schriftsteller sein eigenes Verfah- ren. Es wäre unrecht, wenn man sich in einen Schrifsteller leicht hineinfindet, anzuhalten und sich jene Kenntniß erst ver- schaffen zu wollen, die man auf heuristischem Wege erst erwirbt.
Gehen wir nun zum lezten Punkt, zur Betrachtung der Composition selbst über, so sezen wir dabei voraus, der Schrift- steller habe den inneren Impuls, der das ganze Werk dominirt, in sich zur vollständigen Entwicklung gebracht, er habe alle Ele- mente zu der Schrift in sich und beginne nun die Composition.
Allein daß sich dieß nicht immer vollkommen so verhält, dessen ist sich jeder bewußt bei allem, was im Gebiet des täglichen Le- bens liegt. Hat man einen Brief zu schreiben, so scheidet man nicht Impuls, Entwicklung und Composition, man zieht eine Menge von Übergängen in Eins zusammen. Je mehr aber ein Werk als kunstmäßiges erscheint, muß man von jener Vor- aussezung ausgehen. Wie viel in der Composition erst entstan- den sei, das gehört auch in die Untersuchung, sofern es gilt, das Ganze nachzuconstruiren. Sucht man nun unter jener Voraus- sezung die Schrift nachzuconstruiren, so hat dieß einen verschiede- nen Sinn. Es giebt nemlich keinen Gedanken ohne Wort, aber es giebt Gedanken in verschiedenen Graden der Bekleidung, wir können einen Gedanken haben ohne seinen passendsten Ausdruck auch schon zu haben. In Beziehung auf Ausdruck beginnt das Fertigwerden der Elemente erst mit der Composition selbst. Man kann diese nur verstehen, wenn sich vollständig übersehen läßt das Verhältniß des Inhalts, den die Form gestaltet, oder den man der Form geben will. Darnach richtet sich der Reichthum und
Nach dieſem kommen wir zur Kenntniß des litterariſchen Gebietes eben dadurch, daß wir die hermeneutiſche Operation an Vielen vollzogen haben. Das erſte Verfahren beruht auf perſoͤnlichen Verhaͤltniſſen zwiſchen Leſern und Schriftſtellern. Findet ein per- ſoͤnliches Verhaͤltniß der inneren Verwandſchaft zwiſchen Leſer und Schriftſteller ſtatt, z. B. bei einem Lieblingsſchriftſteller, ſo wird man natuͤrlich das comparative Verfahren einſchlagen. So hat Jeder in Beziehung auf jeden Schriftſteller ſein eigenes Verfah- ren. Es waͤre unrecht, wenn man ſich in einen Schrifſteller leicht hineinfindet, anzuhalten und ſich jene Kenntniß erſt ver- ſchaffen zu wollen, die man auf heuriſtiſchem Wege erſt erwirbt.
Gehen wir nun zum lezten Punkt, zur Betrachtung der Compoſition ſelbſt uͤber, ſo ſezen wir dabei voraus, der Schrift- ſteller habe den inneren Impuls, der das ganze Werk dominirt, in ſich zur vollſtaͤndigen Entwicklung gebracht, er habe alle Ele- mente zu der Schrift in ſich und beginne nun die Compoſition.
Allein daß ſich dieß nicht immer vollkommen ſo verhaͤlt, deſſen iſt ſich jeder bewußt bei allem, was im Gebiet des taͤglichen Le- bens liegt. Hat man einen Brief zu ſchreiben, ſo ſcheidet man nicht Impuls, Entwicklung und Compoſition, man zieht eine Menge von Übergaͤngen in Eins zuſammen. Je mehr aber ein Werk als kunſtmaͤßiges erſcheint, muß man von jener Vor- ausſezung ausgehen. Wie viel in der Compoſition erſt entſtan- den ſei, das gehoͤrt auch in die Unterſuchung, ſofern es gilt, das Ganze nachzuconſtruiren. Sucht man nun unter jener Voraus- ſezung die Schrift nachzuconſtruiren, ſo hat dieß einen verſchiede- nen Sinn. Es giebt nemlich keinen Gedanken ohne Wort, aber es giebt Gedanken in verſchiedenen Graden der Bekleidung, wir koͤnnen einen Gedanken haben ohne ſeinen paſſendſten Ausdruck auch ſchon zu haben. In Beziehung auf Ausdruck beginnt das Fertigwerden der Elemente erſt mit der Compoſition ſelbſt. Man kann dieſe nur verſtehen, wenn ſich vollſtaͤndig uͤberſehen laͤßt das Verhaͤltniß des Inhalts, den die Form geſtaltet, oder den man der Form geben will. Darnach richtet ſich der Reichthum und
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Nach dieſem kommen wir zur Kenntniß des litterariſchen Gebietes
eben dadurch, daß wir die hermeneutiſche Operation an Vielen
vollzogen haben. Das erſte Verfahren beruht auf perſoͤnlichen
Verhaͤltniſſen zwiſchen Leſern und Schriftſtellern. Findet ein per-
ſoͤnliches Verhaͤltniß der inneren Verwandſchaft zwiſchen Leſer und
Schriftſteller ſtatt, z. B. bei einem Lieblingsſchriftſteller, ſo wird
man natuͤrlich das comparative Verfahren einſchlagen. So hat
Jeder in Beziehung auf jeden Schriftſteller ſein eigenes Verfah-
ren. Es waͤre unrecht, wenn man ſich in einen Schrifſteller
leicht hineinfindet, anzuhalten und ſich jene Kenntniß erſt ver-
ſchaffen zu wollen, die man auf heuriſtiſchem Wege erſt erwirbt.
Gehen wir nun zum lezten Punkt, zur Betrachtung der
Compoſition ſelbſt uͤber, ſo ſezen wir dabei voraus, der Schrift-
ſteller habe den inneren Impuls, der das ganze Werk dominirt,
in ſich zur vollſtaͤndigen Entwicklung gebracht, er habe alle Ele-
mente zu der Schrift in ſich und beginne nun die Compoſition.
Allein daß ſich dieß nicht immer vollkommen ſo verhaͤlt, deſſen
iſt ſich jeder bewußt bei allem, was im Gebiet des taͤglichen Le-
bens liegt. Hat man einen Brief zu ſchreiben, ſo ſcheidet man
nicht Impuls, Entwicklung und Compoſition, man zieht eine
Menge von Übergaͤngen in Eins zuſammen. Je mehr aber
ein Werk als kunſtmaͤßiges erſcheint, muß man von jener Vor-
ausſezung ausgehen. Wie viel in der Compoſition erſt entſtan-
den ſei, das gehoͤrt auch in die Unterſuchung, ſofern es gilt, das
Ganze nachzuconſtruiren. Sucht man nun unter jener Voraus-
ſezung die Schrift nachzuconſtruiren, ſo hat dieß einen verſchiede-
nen Sinn. Es giebt nemlich keinen Gedanken ohne Wort, aber
es giebt Gedanken in verſchiedenen Graden der Bekleidung, wir
koͤnnen einen Gedanken haben ohne ſeinen paſſendſten Ausdruck
auch ſchon zu haben. In Beziehung auf Ausdruck beginnt das
Fertigwerden der Elemente erſt mit der Compoſition ſelbſt. Man
kann dieſe nur verſtehen, wenn ſich vollſtaͤndig uͤberſehen laͤßt das
Verhaͤltniß des Inhalts, den die Form geſtaltet, oder den man
der Form geben will. Darnach richtet ſich der Reichthum und
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/241>, abgerufen am 04.12.2024.
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