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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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einer solchen Tendenz sprechen. Man sieht also wie bedeutend
die Aufgabe ist, die Composition der Evangelien jedes für sich zu
erforschen.

Es fragt sich nun, lassen sich gewisse Regeln aufstellen, wo-
nach die Aufgabe mit einer gewissen Sicherheit gelöst werden kann?

Leider fehlt es hier fast an allem, was man in andern Fäl-
len zur Lösung der Aufgabe mitbringen kann. Bei den histori-
schen Schriften ist das wichtigste, zu wissen, wie der Verfasser
zu den Begebenheiten gestanden, die er erzählt. Zwei von den
Evangelisten tragen denselben Namen, welche Augenzeugen auch
getragen haben. Und doch hat man bezweifelt, ob diese Namen
dieselben Personen tragen. In Beziehung auf Johannes ist der
Zweifel nicht fortgesezt worden, bei Matthäus aber bisjezt geblie-
ben. Von den beiden andern weiß man nicht, wie sie zu den
Begebenheiten gestanden haben.

Nun entsteht aber die zweite Frage, wenn die Schriftsteller
nicht selbst Augenzeugen waren, wie sie da zu den Quellen ge-
standen haben, welche sie benuzt? Zuvor aber muß ausgemacht
werden, ob wir aus den Schriften selbst mit Sicherheit erkennen
können, ob ihre Verfasser Augenzeugen waren oder nicht.

Wenn wir in den drei ersten Evangelien die Gleichheit in
den einzelnen Evangelien betrachten, die aber auf ungleiche Weise
da ist, so erscheint die Aufgabe sehr zusammengesezt und schwer
zu lösen. Sehen wir aber von dieser besonderen Schwierigkeit
ab, so stellt sich die Frage so: können wir aus der Beschaffenheit
der Elemente schließen, ob der Verfasser Augenzeuge war oder nicht?

Betrachten wir das Leben Jesu als Einheit, so werden nur
sehr wenige Personen sein, ja eigentlich wohl Niemand, der als
Augenzeuge des Ganzen gedacht werden kann. Nur im öffentli-
chen Leben Jesu sind bestimmte Personen, welche als gänzliche
Augenzeugen betrachtet werden können. Zwar wissen wir dieß nur
aus den evangelischen Schriften selbst, doch werden jene Personen
durch spätere Schriften als Begleiter Jesu beglaubigt. Es sind also
Personen seine beständigen Begleiter gewesen. Wo aber ein frü-


einer ſolchen Tendenz ſprechen. Man ſieht alſo wie bedeutend
die Aufgabe iſt, die Compoſition der Evangelien jedes fuͤr ſich zu
erforſchen.

Es fragt ſich nun, laſſen ſich gewiſſe Regeln aufſtellen, wo-
nach die Aufgabe mit einer gewiſſen Sicherheit geloͤſt werden kann?

Leider fehlt es hier faſt an allem, was man in andern Faͤl-
len zur Loͤſung der Aufgabe mitbringen kann. Bei den hiſtori-
ſchen Schriften iſt das wichtigſte, zu wiſſen, wie der Verfaſſer
zu den Begebenheiten geſtanden, die er erzaͤhlt. Zwei von den
Evangeliſten tragen denſelben Namen, welche Augenzeugen auch
getragen haben. Und doch hat man bezweifelt, ob dieſe Namen
dieſelben Perſonen tragen. In Beziehung auf Johannes iſt der
Zweifel nicht fortgeſezt worden, bei Matthaͤus aber bisjezt geblie-
ben. Von den beiden andern weiß man nicht, wie ſie zu den
Begebenheiten geſtanden haben.

Nun entſteht aber die zweite Frage, wenn die Schriftſteller
nicht ſelbſt Augenzeugen waren, wie ſie da zu den Quellen ge-
ſtanden haben, welche ſie benuzt? Zuvor aber muß ausgemacht
werden, ob wir aus den Schriften ſelbſt mit Sicherheit erkennen
koͤnnen, ob ihre Verfaſſer Augenzeugen waren oder nicht.

Wenn wir in den drei erſten Evangelien die Gleichheit in
den einzelnen Evangelien betrachten, die aber auf ungleiche Weiſe
da iſt, ſo erſcheint die Aufgabe ſehr zuſammengeſezt und ſchwer
zu loͤſen. Sehen wir aber von dieſer beſonderen Schwierigkeit
ab, ſo ſtellt ſich die Frage ſo: koͤnnen wir aus der Beſchaffenheit
der Elemente ſchließen, ob der Verfaſſer Augenzeuge war oder nicht?

Betrachten wir das Leben Jeſu als Einheit, ſo werden nur
ſehr wenige Perſonen ſein, ja eigentlich wohl Niemand, der als
Augenzeuge des Ganzen gedacht werden kann. Nur im oͤffentli-
chen Leben Jeſu ſind beſtimmte Perſonen, welche als gaͤnzliche
Augenzeugen betrachtet werden koͤnnen. Zwar wiſſen wir dieß nur
aus den evangeliſchen Schriften ſelbſt, doch werden jene Perſonen
durch ſpaͤtere Schriften als Begleiter Jeſu beglaubigt. Es ſind alſo
Perſonen ſeine beſtaͤndigen Begleiter geweſen. Wo aber ein fruͤ-

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[221/0245] einer ſolchen Tendenz ſprechen. Man ſieht alſo wie bedeutend die Aufgabe iſt, die Compoſition der Evangelien jedes fuͤr ſich zu erforſchen. Es fragt ſich nun, laſſen ſich gewiſſe Regeln aufſtellen, wo- nach die Aufgabe mit einer gewiſſen Sicherheit geloͤſt werden kann? Leider fehlt es hier faſt an allem, was man in andern Faͤl- len zur Loͤſung der Aufgabe mitbringen kann. Bei den hiſtori- ſchen Schriften iſt das wichtigſte, zu wiſſen, wie der Verfaſſer zu den Begebenheiten geſtanden, die er erzaͤhlt. Zwei von den Evangeliſten tragen denſelben Namen, welche Augenzeugen auch getragen haben. Und doch hat man bezweifelt, ob dieſe Namen dieſelben Perſonen tragen. In Beziehung auf Johannes iſt der Zweifel nicht fortgeſezt worden, bei Matthaͤus aber bisjezt geblie- ben. Von den beiden andern weiß man nicht, wie ſie zu den Begebenheiten geſtanden haben. Nun entſteht aber die zweite Frage, wenn die Schriftſteller nicht ſelbſt Augenzeugen waren, wie ſie da zu den Quellen ge- ſtanden haben, welche ſie benuzt? Zuvor aber muß ausgemacht werden, ob wir aus den Schriften ſelbſt mit Sicherheit erkennen koͤnnen, ob ihre Verfaſſer Augenzeugen waren oder nicht. Wenn wir in den drei erſten Evangelien die Gleichheit in den einzelnen Evangelien betrachten, die aber auf ungleiche Weiſe da iſt, ſo erſcheint die Aufgabe ſehr zuſammengeſezt und ſchwer zu loͤſen. Sehen wir aber von dieſer beſonderen Schwierigkeit ab, ſo ſtellt ſich die Frage ſo: koͤnnen wir aus der Beſchaffenheit der Elemente ſchließen, ob der Verfaſſer Augenzeuge war oder nicht? Betrachten wir das Leben Jeſu als Einheit, ſo werden nur ſehr wenige Perſonen ſein, ja eigentlich wohl Niemand, der als Augenzeuge des Ganzen gedacht werden kann. Nur im oͤffentli- chen Leben Jeſu ſind beſtimmte Perſonen, welche als gaͤnzliche Augenzeugen betrachtet werden koͤnnen. Zwar wiſſen wir dieß nur aus den evangeliſchen Schriften ſelbſt, doch werden jene Perſonen durch ſpaͤtere Schriften als Begleiter Jeſu beglaubigt. Es ſind alſo Perſonen ſeine beſtaͤndigen Begleiter geweſen. Wo aber ein fruͤ-

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/245>, abgerufen am 04.12.2024.