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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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engen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gemeinden be-
trachten. -- Ferner finden sich im ersten Theile des Buches im
gewissen Sinne sehr detaillirte Nachrichten von der Gemeinde in
Jerusalem, Notizen von der Zahl ihrer Mitglieder, der Entste-
hung und Entwicklung, den Modificationen mancher Einrichtungen.
Nachher verschwindet die Gemeinde fast ganz aus der Erzählung,
sie kommt nur wieder vor, wo sie in die Thätigkeit des Apostels
Paulus eingreift, aber ohne Beziehung auf die früher gegebenen
Notizen und ohne die Lücken wenn auch nur kurz auszufüllen.
Hat der Verfasser, der doch in der Zeit geschrieben, wo sein
Buch schließt, bestimmte Nachrichten über die Anfänge jener Ge-
meinde gehabt, warum konnte er damals keine von der späteren
Geschichte derselben haben, oder warum nahm er sie nicht auf?
Dieß begünstigt die Ansicht, daß der Hauptzweck des Buches auf
der Paulinischen Seite liege. Der Hauptzweck scheint die Ver-
breitung des Christenthums unter den hellenistischen Juden und
den Heiden zu sein. Die frühere Geschichte der Gemeinde von
Jerusalem scheint nur aufgenommen zu sein, um auf den Punkt
zu führen, wo jene Verbreitung anfängt. Genauer betrachtet
aber hält diese Ansicht nicht Stich. Denn die früheren Notizen
über die Gemeinde von Jerusalem hängen zum Theil mit jenem
Zwecke gar nicht zusammen. Der erste Theil enthält auch schon
Notizen über die Verbreitung des Christenthums von Jerusalem
aus. Wollte man nun etwa annehmen, der Hauptzweck sei die
Verbreitung des Christenthums von Jerusalem und Antiochien
aus, so wäre dafür zu wenig Gleichheit der Verhältnisse; es fehlte
dann zu viel, wenn man voraussezen muß, daß es dem Ver-
fasser nicht habe entgehen können. Ferner, als Barnabas und
Paulus ihre zweite Reise von Antiochien aus antraten, und sich
darüber vereinigten oder es zweckmäßiger fanden, sich zu tren-
nen, wird nur im Allgemeinen der Weg angegeben, den Barna-
bas genommen, und die ganze weitere Erzählung an Paulus ge-
knüpft. Von allem was Barnabas gethan ist keine Spur und
wir müssen doch denken, hat der Verfasser gewußt, welchen Weg

engen Zuſammenhang zwiſchen den verſchiedenen Gemeinden be-
trachten. — Ferner finden ſich im erſten Theile des Buches im
gewiſſen Sinne ſehr detaillirte Nachrichten von der Gemeinde in
Jeruſalem, Notizen von der Zahl ihrer Mitglieder, der Entſte-
hung und Entwicklung, den Modificationen mancher Einrichtungen.
Nachher verſchwindet die Gemeinde faſt ganz aus der Erzaͤhlung,
ſie kommt nur wieder vor, wo ſie in die Thaͤtigkeit des Apoſtels
Paulus eingreift, aber ohne Beziehung auf die fruͤher gegebenen
Notizen und ohne die Luͤcken wenn auch nur kurz auszufuͤllen.
Hat der Verfaſſer, der doch in der Zeit geſchrieben, wo ſein
Buch ſchließt, beſtimmte Nachrichten uͤber die Anfaͤnge jener Ge-
meinde gehabt, warum konnte er damals keine von der ſpaͤteren
Geſchichte derſelben haben, oder warum nahm er ſie nicht auf?
Dieß beguͤnſtigt die Anſicht, daß der Hauptzweck des Buches auf
der Pauliniſchen Seite liege. Der Hauptzweck ſcheint die Ver-
breitung des Chriſtenthums unter den helleniſtiſchen Juden und
den Heiden zu ſein. Die fruͤhere Geſchichte der Gemeinde von
Jeruſalem ſcheint nur aufgenommen zu ſein, um auf den Punkt
zu fuͤhren, wo jene Verbreitung anfaͤngt. Genauer betrachtet
aber haͤlt dieſe Anſicht nicht Stich. Denn die fruͤheren Notizen
uͤber die Gemeinde von Jeruſalem haͤngen zum Theil mit jenem
Zwecke gar nicht zuſammen. Der erſte Theil enthaͤlt auch ſchon
Notizen uͤber die Verbreitung des Chriſtenthums von Jeruſalem
aus. Wollte man nun etwa annehmen, der Hauptzweck ſei die
Verbreitung des Chriſtenthums von Jeruſalem und Antiochien
aus, ſo waͤre dafuͤr zu wenig Gleichheit der Verhaͤltniſſe; es fehlte
dann zu viel, wenn man vorausſezen muß, daß es dem Ver-
faſſer nicht habe entgehen koͤnnen. Ferner, als Barnabas und
Paulus ihre zweite Reiſe von Antiochien aus antraten, und ſich
daruͤber vereinigten oder es zweckmaͤßiger fanden, ſich zu tren-
nen, wird nur im Allgemeinen der Weg angegeben, den Barna-
bas genommen, und die ganze weitere Erzaͤhlung an Paulus ge-
knuͤpft. Von allem was Barnabas gethan iſt keine Spur und
wir muͤſſen doch denken, hat der Verfaſſer gewußt, welchen Weg

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[230/0254] engen Zuſammenhang zwiſchen den verſchiedenen Gemeinden be- trachten. — Ferner finden ſich im erſten Theile des Buches im gewiſſen Sinne ſehr detaillirte Nachrichten von der Gemeinde in Jeruſalem, Notizen von der Zahl ihrer Mitglieder, der Entſte- hung und Entwicklung, den Modificationen mancher Einrichtungen. Nachher verſchwindet die Gemeinde faſt ganz aus der Erzaͤhlung, ſie kommt nur wieder vor, wo ſie in die Thaͤtigkeit des Apoſtels Paulus eingreift, aber ohne Beziehung auf die fruͤher gegebenen Notizen und ohne die Luͤcken wenn auch nur kurz auszufuͤllen. Hat der Verfaſſer, der doch in der Zeit geſchrieben, wo ſein Buch ſchließt, beſtimmte Nachrichten uͤber die Anfaͤnge jener Ge- meinde gehabt, warum konnte er damals keine von der ſpaͤteren Geſchichte derſelben haben, oder warum nahm er ſie nicht auf? Dieß beguͤnſtigt die Anſicht, daß der Hauptzweck des Buches auf der Pauliniſchen Seite liege. Der Hauptzweck ſcheint die Ver- breitung des Chriſtenthums unter den helleniſtiſchen Juden und den Heiden zu ſein. Die fruͤhere Geſchichte der Gemeinde von Jeruſalem ſcheint nur aufgenommen zu ſein, um auf den Punkt zu fuͤhren, wo jene Verbreitung anfaͤngt. Genauer betrachtet aber haͤlt dieſe Anſicht nicht Stich. Denn die fruͤheren Notizen uͤber die Gemeinde von Jeruſalem haͤngen zum Theil mit jenem Zwecke gar nicht zuſammen. Der erſte Theil enthaͤlt auch ſchon Notizen uͤber die Verbreitung des Chriſtenthums von Jeruſalem aus. Wollte man nun etwa annehmen, der Hauptzweck ſei die Verbreitung des Chriſtenthums von Jeruſalem und Antiochien aus, ſo waͤre dafuͤr zu wenig Gleichheit der Verhaͤltniſſe; es fehlte dann zu viel, wenn man vorausſezen muß, daß es dem Ver- faſſer nicht habe entgehen koͤnnen. Ferner, als Barnabas und Paulus ihre zweite Reiſe von Antiochien aus antraten, und ſich daruͤber vereinigten oder es zweckmaͤßiger fanden, ſich zu tren- nen, wird nur im Allgemeinen der Weg angegeben, den Barna- bas genommen, und die ganze weitere Erzaͤhlung an Paulus ge- knuͤpft. Von allem was Barnabas gethan iſt keine Spur und wir muͤſſen doch denken, hat der Verfaſſer gewußt, welchen Weg

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/254>, abgerufen am 05.12.2024.