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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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verschwand. Hätte nun der Verfasser größere Massen gehabt aus
den verschiedenen Regionen der Verbreitung, so hätte er einen
andern Plan machen müssen, und sein Buch hätte dafür nicht
ausgereicht, er hätte es größer machen müssen. Haben wir nun
keine Spur, daß etwas verloren gegangen ist, so fällt jener Ge-
danke fort. -- Stellen wir uns auf einen andern Standpunkt.
Von der Gemeinde in Korinth haben wir Kap. 18. Nachrichten,
wie der Apostel Paulus dahin gekommen, sich da aufgehalten, die
Gemeinde gestiftet und aus welcher Veranlassung er wieder abge-
reist. Dieß sind lauter Dinge, die sich persönlich auf den Apostel
beziehen. Nachher bei seiner Reise Kap. 20. war Paulus, wie
wir wissen, wieder in Korinth, aber was die AG. von dieser
Reise erzählt, ist alles nur wieder Persönliches. Von den da-
zwischen liegenden Momenten in Betreff der Gemeinde wird nichts
erwähnt. Hätte der Verfasser selbst componiren wollen, so hätte
er sich die Data dazu wol verschaffen können. Allein da die Ein-
zelheiten gar nicht hervortreten, so muß man sagen, er hatte keine
hinreichenden Materialien dafür. Betrachten wir nun aus die-
sem Gesichtspunkt die Materialien der AG., so sehen wir leicht,
daß Erzählungen von Einzelheiten durch Einzelne zusammenge-
stellt zum Grunde liegen. So wird die Frage nach dem Princip
der Composition eine andere. Der Verfasser konnte bei den vor-
gefundenen Materialien nur darauf sehen, wie er dieselben auf
die zweckmäßigste Weise zusammenstellte. Darüber aber können
wir kein bestimmtes Urtheil weiter haben, als was sich aus dem
Buche selbst ergiebt. Man bemerkt, daß bis zu einem gewissen
Punkte die Nachrichten überwiegend Palästinensisch sind, nachher
werden sie überwiegend Paulinisch, und Palästinensisches wird nur
gelegentlich erwähnt. Daraus kann man nun nicht schließen,
daß das eine Hauptgegenstand war und das andere Vorbereitung.
Auch nicht auf eine weitergehende allgemeine historische Tendenz ist zu
schließen. Sondern der Verfasser hat offenbar den vorgefundenen
Stoff auf die einfachste, natürlichste Weise geordnet, sofern er
eben später Palästinensisches nicht mehr so viel hatte. Wollte er

verſchwand. Haͤtte nun der Verfaſſer groͤßere Maſſen gehabt aus
den verſchiedenen Regionen der Verbreitung, ſo haͤtte er einen
andern Plan machen muͤſſen, und ſein Buch haͤtte dafuͤr nicht
ausgereicht, er haͤtte es groͤßer machen muͤſſen. Haben wir nun
keine Spur, daß etwas verloren gegangen iſt, ſo faͤllt jener Ge-
danke fort. — Stellen wir uns auf einen andern Standpunkt.
Von der Gemeinde in Korinth haben wir Kap. 18. Nachrichten,
wie der Apoſtel Paulus dahin gekommen, ſich da aufgehalten, die
Gemeinde geſtiftet und aus welcher Veranlaſſung er wieder abge-
reiſt. Dieß ſind lauter Dinge, die ſich perſoͤnlich auf den Apoſtel
beziehen. Nachher bei ſeiner Reiſe Kap. 20. war Paulus, wie
wir wiſſen, wieder in Korinth, aber was die AG. von dieſer
Reiſe erzaͤhlt, iſt alles nur wieder Perſoͤnliches. Von den da-
zwiſchen liegenden Momenten in Betreff der Gemeinde wird nichts
erwaͤhnt. Haͤtte der Verfaſſer ſelbſt componiren wollen, ſo haͤtte
er ſich die Data dazu wol verſchaffen koͤnnen. Allein da die Ein-
zelheiten gar nicht hervortreten, ſo muß man ſagen, er hatte keine
hinreichenden Materialien dafuͤr. Betrachten wir nun aus die-
ſem Geſichtspunkt die Materialien der AG., ſo ſehen wir leicht,
daß Erzaͤhlungen von Einzelheiten durch Einzelne zuſammenge-
ſtellt zum Grunde liegen. So wird die Frage nach dem Princip
der Compoſition eine andere. Der Verfaſſer konnte bei den vor-
gefundenen Materialien nur darauf ſehen, wie er dieſelben auf
die zweckmaͤßigſte Weiſe zuſammenſtellte. Daruͤber aber koͤnnen
wir kein beſtimmtes Urtheil weiter haben, als was ſich aus dem
Buche ſelbſt ergiebt. Man bemerkt, daß bis zu einem gewiſſen
Punkte die Nachrichten uͤberwiegend Palaͤſtinenſiſch ſind, nachher
werden ſie uͤberwiegend Pauliniſch, und Palaͤſtinenſiſches wird nur
gelegentlich erwaͤhnt. Daraus kann man nun nicht ſchließen,
daß das eine Hauptgegenſtand war und das andere Vorbereitung.
Auch nicht auf eine weitergehende allgemeine hiſtoriſche Tendenz iſt zu
ſchließen. Sondern der Verfaſſer hat offenbar den vorgefundenen
Stoff auf die einfachſte, natuͤrlichſte Weiſe geordnet, ſofern er
eben ſpaͤter Palaͤſtinenſiſches nicht mehr ſo viel hatte. Wollte er

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[232/0256] verſchwand. Haͤtte nun der Verfaſſer groͤßere Maſſen gehabt aus den verſchiedenen Regionen der Verbreitung, ſo haͤtte er einen andern Plan machen muͤſſen, und ſein Buch haͤtte dafuͤr nicht ausgereicht, er haͤtte es groͤßer machen muͤſſen. Haben wir nun keine Spur, daß etwas verloren gegangen iſt, ſo faͤllt jener Ge- danke fort. — Stellen wir uns auf einen andern Standpunkt. Von der Gemeinde in Korinth haben wir Kap. 18. Nachrichten, wie der Apoſtel Paulus dahin gekommen, ſich da aufgehalten, die Gemeinde geſtiftet und aus welcher Veranlaſſung er wieder abge- reiſt. Dieß ſind lauter Dinge, die ſich perſoͤnlich auf den Apoſtel beziehen. Nachher bei ſeiner Reiſe Kap. 20. war Paulus, wie wir wiſſen, wieder in Korinth, aber was die AG. von dieſer Reiſe erzaͤhlt, iſt alles nur wieder Perſoͤnliches. Von den da- zwiſchen liegenden Momenten in Betreff der Gemeinde wird nichts erwaͤhnt. Haͤtte der Verfaſſer ſelbſt componiren wollen, ſo haͤtte er ſich die Data dazu wol verſchaffen koͤnnen. Allein da die Ein- zelheiten gar nicht hervortreten, ſo muß man ſagen, er hatte keine hinreichenden Materialien dafuͤr. Betrachten wir nun aus die- ſem Geſichtspunkt die Materialien der AG., ſo ſehen wir leicht, daß Erzaͤhlungen von Einzelheiten durch Einzelne zuſammenge- ſtellt zum Grunde liegen. So wird die Frage nach dem Princip der Compoſition eine andere. Der Verfaſſer konnte bei den vor- gefundenen Materialien nur darauf ſehen, wie er dieſelben auf die zweckmaͤßigſte Weiſe zuſammenſtellte. Daruͤber aber koͤnnen wir kein beſtimmtes Urtheil weiter haben, als was ſich aus dem Buche ſelbſt ergiebt. Man bemerkt, daß bis zu einem gewiſſen Punkte die Nachrichten uͤberwiegend Palaͤſtinenſiſch ſind, nachher werden ſie uͤberwiegend Pauliniſch, und Palaͤſtinenſiſches wird nur gelegentlich erwaͤhnt. Daraus kann man nun nicht ſchließen, daß das eine Hauptgegenſtand war und das andere Vorbereitung. Auch nicht auf eine weitergehende allgemeine hiſtoriſche Tendenz iſt zu ſchließen. Sondern der Verfaſſer hat offenbar den vorgefundenen Stoff auf die einfachſte, natuͤrlichſte Weiſe geordnet, ſofern er eben ſpaͤter Palaͤſtinenſiſches nicht mehr ſo viel hatte. Wollte er

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/256>, abgerufen am 05.12.2024.