nur Gegebenes mittheilen und nicht componiren, so lag eine ge- schichtliche Reihefolge nicht in seinem Zwecke. Daß er ein häufi- ger Begleiter des Apostels Paulus, und mit diesem vielleicht in Jerusalem war, ist gar nicht das Alleinige, was beweisen könnte, daß er mehr Notizen wirklich hätte haben können. Es kommen Lücken auch bei dem Außerpalästinensischen häufig vor. Daraus ist klar, daß der Verfasser an seinen Materia- lien nichts gethan hat, um eine genaue historische Verbindung hervorzubringen. Seine Thätigkeit war nur die der Zusammen- stellung. Dagegen scheint zu sprechen eine gewisse Gelenkigkeit der Sprache, der Schreibart. Allein es folgt daraus gar nichts, da der Verfasser, wenn er die vorgefundenen Erzählungen beibe- hielt, und Einzelnes von verschiedenen Verfassern in ein Ganzes brachte, nicht nothwendig auch den wörtlichen Ausdruck beibehielt, sondern es war natürlich, daß er die Materialien in seiner Schreib- art wiedergab, und bei so einfachen Erzählungen läßt sich das schon bestimmt gesondert denken.
Die AG. ist also eine Zusammenstellung vorhandener Materialien, so daß der Verfasser durch das, was er hatte, und das Volumen was er ausfüllen konnte, bestimmt wurde. Der Zweck ist nur der christlichen Historiographie selbst, wie sie unter den gegebenen Bedingungen und bei dem primitiven Entschlusse, das schon vorhandene zu gebrauchen, möglich war.
Hier sind wir aber weiter gegangen, als im Begriff der hermeneutischen Aufgabe liegt. Die Hermeneutik hat es nur mit Regeln zu thun; hier aber sind diese gleich in Anwendung ge- braucht worden. Das hat aber seinen Grund darin, daß die ge- schichtlichen Bücher des N. T. sich so sehr von andern analogen Compositionen unterscheiden. Die Regeln können also nur sehr speziell sein, und es kommt darauf an, die Composition dieser Bücher durch die Betrachtung des Einzelnen zum Bewußtsein zu bringen. Hier ist aber ein durchgreifender Unterschied zwischen dem Evangelium des Johannes und den vier andern historischen Schriften des N. T. Jenes ist eine eigentlich geschichtliche Arbeit,
nur Gegebenes mittheilen und nicht componiren, ſo lag eine ge- ſchichtliche Reihefolge nicht in ſeinem Zwecke. Daß er ein haͤufi- ger Begleiter des Apoſtels Paulus, und mit dieſem vielleicht in Jeruſalem war, iſt gar nicht das Alleinige, was beweiſen koͤnnte, daß er mehr Notizen wirklich haͤtte haben koͤnnen. Es kommen Luͤcken auch bei dem Außerpalaͤſtinenſiſchen haͤufig vor. Daraus iſt klar, daß der Verfaſſer an ſeinen Materia- lien nichts gethan hat, um eine genaue hiſtoriſche Verbindung hervorzubringen. Seine Thaͤtigkeit war nur die der Zuſammen- ſtellung. Dagegen ſcheint zu ſprechen eine gewiſſe Gelenkigkeit der Sprache, der Schreibart. Allein es folgt daraus gar nichts, da der Verfaſſer, wenn er die vorgefundenen Erzaͤhlungen beibe- hielt, und Einzelnes von verſchiedenen Verfaſſern in ein Ganzes brachte, nicht nothwendig auch den woͤrtlichen Ausdruck beibehielt, ſondern es war natuͤrlich, daß er die Materialien in ſeiner Schreib- art wiedergab, und bei ſo einfachen Erzaͤhlungen laͤßt ſich das ſchon beſtimmt geſondert denken.
Die AG. iſt alſo eine Zuſammenſtellung vorhandener Materialien, ſo daß der Verfaſſer durch das, was er hatte, und das Volumen was er ausfuͤllen konnte, beſtimmt wurde. Der Zweck iſt nur der chriſtlichen Hiſtoriographie ſelbſt, wie ſie unter den gegebenen Bedingungen und bei dem primitiven Entſchluſſe, das ſchon vorhandene zu gebrauchen, moͤglich war.
Hier ſind wir aber weiter gegangen, als im Begriff der hermeneutiſchen Aufgabe liegt. Die Hermeneutik hat es nur mit Regeln zu thun; hier aber ſind dieſe gleich in Anwendung ge- braucht worden. Das hat aber ſeinen Grund darin, daß die ge- ſchichtlichen Buͤcher des N. T. ſich ſo ſehr von andern analogen Compoſitionen unterſcheiden. Die Regeln koͤnnen alſo nur ſehr ſpeziell ſein, und es kommt darauf an, die Compoſition dieſer Buͤcher durch die Betrachtung des Einzelnen zum Bewußtſein zu bringen. Hier iſt aber ein durchgreifender Unterſchied zwiſchen dem Evangelium des Johannes und den vier andern hiſtoriſchen Schriften des N. T. Jenes iſt eine eigentlich geſchichtliche Arbeit,
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nur Gegebenes mittheilen und nicht componiren, ſo lag eine ge-
ſchichtliche Reihefolge nicht in ſeinem Zwecke. Daß er ein haͤufi-
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in Jeruſalem war, iſt gar nicht das Alleinige, was beweiſen
koͤnnte, daß er mehr Notizen wirklich haͤtte haben koͤnnen. Es
kommen Luͤcken auch bei dem Außerpalaͤſtinenſiſchen haͤufig
vor. Daraus iſt klar, daß der Verfaſſer an ſeinen Materia-
lien nichts gethan hat, um eine genaue hiſtoriſche Verbindung
hervorzubringen. Seine Thaͤtigkeit war nur die der Zuſammen-
ſtellung. Dagegen ſcheint zu ſprechen eine gewiſſe Gelenkigkeit
der Sprache, der Schreibart. Allein es folgt daraus gar nichts,
da der Verfaſſer, wenn er die vorgefundenen Erzaͤhlungen beibe-
hielt, und Einzelnes von verſchiedenen Verfaſſern in ein Ganzes
brachte, nicht nothwendig auch den woͤrtlichen Ausdruck beibehielt,
ſondern es war natuͤrlich, daß er die Materialien in ſeiner Schreib-
art wiedergab, und bei ſo einfachen Erzaͤhlungen laͤßt ſich das
ſchon beſtimmt geſondert denken.
Die AG. iſt alſo eine Zuſammenſtellung vorhandener
Materialien, ſo daß der Verfaſſer durch das, was er hatte, und
das Volumen was er ausfuͤllen konnte, beſtimmt wurde. Der Zweck
iſt nur der chriſtlichen Hiſtoriographie ſelbſt, wie ſie unter
den gegebenen Bedingungen und bei dem primitiven Entſchluſſe,
das ſchon vorhandene zu gebrauchen, moͤglich war.
Hier ſind wir aber weiter gegangen, als im Begriff der
hermeneutiſchen Aufgabe liegt. Die Hermeneutik hat es nur mit
Regeln zu thun; hier aber ſind dieſe gleich in Anwendung ge-
braucht worden. Das hat aber ſeinen Grund darin, daß die ge-
ſchichtlichen Buͤcher des N. T. ſich ſo ſehr von andern analogen
Compoſitionen unterſcheiden. Die Regeln koͤnnen alſo nur ſehr
ſpeziell ſein, und es kommt darauf an, die Compoſition dieſer
Buͤcher durch die Betrachtung des Einzelnen zum Bewußtſein zu
bringen. Hier iſt aber ein durchgreifender Unterſchied zwiſchen
dem Evangelium des Johannes und den vier andern hiſtoriſchen
Schriften des N. T. Jenes iſt eine eigentlich geſchichtliche Arbeit,
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/257>, abgerufen am 05.12.2024.
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