Codex gelesen hat. Findet man also im kritischen Apparat die Kirchenväter citirt, so muß man das Citat nachschlagen und sehen, wie es an Ort und Stelle beschaffen ist. Eine Ausgabe des N. T., in der die von den Kirchenvätern citirten Stellen genau angegeben sind, ist dabei durchaus nothwendig. Griesbach ist hier lange nicht genau genug.
Was die Übersezungen betrifft, so ist die Aufgabe ebenfalls sehr schwierig. Es fragt sich, mit welcher Sicherheit kann man schließen, daß, weil z. B. in syrischen oder arabischen Übersezun- gen dieses oder jenes Wort steht, der Übersezer dieses oder jenes im Griechischen gelesen habe? Wenn ich aus unverdächtigen Stellen nachweisen kann, daß ein bestimmtes griechisches Wort nur durch ein bestimmtes syrisches oder arabisches wiedergegeben wird, so kann ich wol sicher schließen. Aber Niemand hat sich damit abgegeben, aus solchen Übersezungen den griechischen Text bestimmt wieder herzustellen. So entstände erst die wahre Sicher- heit. Man macht es in der Regel so, daß man bei Stellen, wo eine Differenz ist und die Entscheidung schwer, in den Übersezun- gen nachschlägt, und sich dann an das Allgemeinübliche und nicht an genau bestimmte Analogien hält. So entsteht aber keine Sicherheit. In allem was grammatisch ist kann man von den Übersezungen keinen Gebrauch machen, weil jede Sprache ihre besondern Regeln hat. Da läßt sich schwerlich schließen, wie der Übersezer in der Ursprache gelesen, am wenigsten im N. T., wo bisweilen, um dem Griechischen so nahe wie möglich zu bleiben, etwas gesagt ist, was der gewöhnlichen Sprache des Übersezers nicht gemäß ist. Es sind dieß also Quellen, wovon man in der Regel mit Sicherheit keinen Gebrauch machen kann. Nur dann kann man dieß, wenn die Frage nicht bloß grammatisch ist, und es sich um Entscheidung über verschiedene Wörter von der Art handelt, daß aus der Übersezung erkannt werden kann, ob der Text dieß oder jenes Wort enthalten habe, namentlich in den Fällen, wo wegen der Ähnlichkeit der Zeichen Wörter in der Abschrift verwechselt worden sind und die Verschiedenheit des Sinnes in der Überse-
Hermeneutik u. Kritik. 21
Codex geleſen hat. Findet man alſo im kritiſchen Apparat die Kirchenvaͤter citirt, ſo muß man das Citat nachſchlagen und ſehen, wie es an Ort und Stelle beſchaffen iſt. Eine Ausgabe des N. T., in der die von den Kirchenvaͤtern citirten Stellen genau angegeben ſind, iſt dabei durchaus nothwendig. Griesbach iſt hier lange nicht genau genug.
Was die Überſezungen betrifft, ſo iſt die Aufgabe ebenfalls ſehr ſchwierig. Es fragt ſich, mit welcher Sicherheit kann man ſchließen, daß, weil z. B. in ſyriſchen oder arabiſchen Überſezun- gen dieſes oder jenes Wort ſteht, der Überſezer dieſes oder jenes im Griechiſchen geleſen habe? Wenn ich aus unverdaͤchtigen Stellen nachweiſen kann, daß ein beſtimmtes griechiſches Wort nur durch ein beſtimmtes ſyriſches oder arabiſches wiedergegeben wird, ſo kann ich wol ſicher ſchließen. Aber Niemand hat ſich damit abgegeben, aus ſolchen Überſezungen den griechiſchen Text beſtimmt wieder herzuſtellen. So entſtaͤnde erſt die wahre Sicher- heit. Man macht es in der Regel ſo, daß man bei Stellen, wo eine Differenz iſt und die Entſcheidung ſchwer, in den Überſezun- gen nachſchlaͤgt, und ſich dann an das Allgemeinuͤbliche und nicht an genau beſtimmte Analogien haͤlt. So entſteht aber keine Sicherheit. In allem was grammatiſch iſt kann man von den Überſezungen keinen Gebrauch machen, weil jede Sprache ihre beſondern Regeln hat. Da laͤßt ſich ſchwerlich ſchließen, wie der Überſezer in der Urſprache geleſen, am wenigſten im N. T., wo bisweilen, um dem Griechiſchen ſo nahe wie moͤglich zu bleiben, etwas geſagt iſt, was der gewoͤhnlichen Sprache des Überſezers nicht gemaͤß iſt. Es ſind dieß alſo Quellen, wovon man in der Regel mit Sicherheit keinen Gebrauch machen kann. Nur dann kann man dieß, wenn die Frage nicht bloß grammatiſch iſt, und es ſich um Entſcheidung uͤber verſchiedene Woͤrter von der Art handelt, daß aus der Überſezung erkannt werden kann, ob der Text dieß oder jenes Wort enthalten habe, namentlich in den Faͤllen, wo wegen der Ähnlichkeit der Zeichen Woͤrter in der Abſchrift verwechſelt worden ſind und die Verſchiedenheit des Sinnes in der Überſe-
Hermeneutik u. Kritik. 21
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Codex geleſen hat. Findet man alſo im kritiſchen Apparat die
Kirchenvaͤter citirt, ſo muß man das Citat nachſchlagen und ſehen,
wie es an Ort und Stelle beſchaffen iſt. Eine Ausgabe des
N. T., in der die von den Kirchenvaͤtern citirten Stellen genau
angegeben ſind, iſt dabei durchaus nothwendig. Griesbach iſt
hier lange nicht genau genug.
Was die Überſezungen betrifft, ſo iſt die Aufgabe ebenfalls
ſehr ſchwierig. Es fragt ſich, mit welcher Sicherheit kann man
ſchließen, daß, weil z. B. in ſyriſchen oder arabiſchen Überſezun-
gen dieſes oder jenes Wort ſteht, der Überſezer dieſes oder jenes
im Griechiſchen geleſen habe? Wenn ich aus unverdaͤchtigen
Stellen nachweiſen kann, daß ein beſtimmtes griechiſches Wort
nur durch ein beſtimmtes ſyriſches oder arabiſches wiedergegeben
wird, ſo kann ich wol ſicher ſchließen. Aber Niemand hat ſich
damit abgegeben, aus ſolchen Überſezungen den griechiſchen Text
beſtimmt wieder herzuſtellen. So entſtaͤnde erſt die wahre Sicher-
heit. Man macht es in der Regel ſo, daß man bei Stellen, wo eine
Differenz iſt und die Entſcheidung ſchwer, in den Überſezun-
gen nachſchlaͤgt, und ſich dann an das Allgemeinuͤbliche und
nicht an genau beſtimmte Analogien haͤlt. So entſteht aber keine
Sicherheit. In allem was grammatiſch iſt kann man von den
Überſezungen keinen Gebrauch machen, weil jede Sprache ihre
beſondern Regeln hat. Da laͤßt ſich ſchwerlich ſchließen, wie der
Überſezer in der Urſprache geleſen, am wenigſten im N. T., wo
bisweilen, um dem Griechiſchen ſo nahe wie moͤglich zu bleiben,
etwas geſagt iſt, was der gewoͤhnlichen Sprache des Überſezers nicht
gemaͤß iſt. Es ſind dieß alſo Quellen, wovon man in der Regel mit
Sicherheit keinen Gebrauch machen kann. Nur dann kann man
dieß, wenn die Frage nicht bloß grammatiſch iſt, und es ſich um
Entſcheidung uͤber verſchiedene Woͤrter von der Art handelt, daß
aus der Überſezung erkannt werden kann, ob der Text dieß oder
jenes Wort enthalten habe, namentlich in den Faͤllen, wo wegen
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/345>, abgerufen am 05.12.2024.
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