wenn auch nicht gerade Unredlichkeit nachzuweisen ist. Aber auch der bloße Abschreiber, der mit dem Abschreiben ein Gewerbe treibt, kann z. B. ein Interesse haben, der Schrift den Schein zu geben, daß sie von einem Verfasser herrührt, von dem sie nicht ist. So kann er der Schrift den Namen eines andern Verfassers beilegen, dem sie nicht gehört. Aber auch dieß kann nur geschehen in spä- terer Zeit unter ganz besondern Umständen.
Überhaupt kann die eigentliche absichtliche Verfälschung nur unter ganz besondern Umständen vorkommen. Hat Jemand eine Handschrift, findet am Rande Beigeschriebenes, und sezt dieß in den Text, so kann dieß unter Umständen eine absichtliche Ver- fälschung sein. Es liegt aber dieß nicht nothwendig in der Sache, es kann eine richtige oder vermeintliche Correctur sein, sofern etwas im Text ausgelassen und an den Rand geschrieben war.
Mehr und weniger können wir alles von dieser Art auf die beiden Fälle zurückführen: 1. Bringt Jemand Selbstgemachtes in den Text, es sei von welcher Art es wolle, so ist es immer eine absichtliche Verfälschung. 2. Nimmt Jemand etwas als Correctur auf, wo ihm das, was er im Text vor sich hat, nicht bestehen zu können scheint, so ist dieß allerdings eine freie Änderung, die aber jeder Herausgeber macht, nur daß während der Heraus- geber es zu bezeichnen pflegt oder doch vermag, jener dabei nichts sagt und sagen kann, und sich des Rechts bedient, wie bei uns der Sezer. Es kann die Änderung als Verbesserung gemeint sein, auch wirklich eine solche sein, aber eben sowol auf einem Irrthum beruhen. In allen solchen Fällen ist etwas Absichtliches, aber auf verschiedene Weise.
Es kann durch das Verfahren eines Abschreibers oder Lesers etwas Fremdes in den Text hineinkommen, und da sind Fälle, die den vorigen sehr verwandt sind. Durch eine bloß mechani- sche Irrung kann ein Abschreiber etwas in den Grundtext brin- gen, was ihm aus der Übersezung vorschwebt. Aber es kann dasselbe auch absichtlich geschehen, als Correctur. Ferner, es kann einer statt eines dunkeln Ausdrucks einen deutlichern sezen, der
wenn auch nicht gerade Unredlichkeit nachzuweiſen iſt. Aber auch der bloße Abſchreiber, der mit dem Abſchreiben ein Gewerbe treibt, kann z. B. ein Intereſſe haben, der Schrift den Schein zu geben, daß ſie von einem Verfaſſer herruͤhrt, von dem ſie nicht iſt. So kann er der Schrift den Namen eines andern Verfaſſers beilegen, dem ſie nicht gehoͤrt. Aber auch dieß kann nur geſchehen in ſpaͤ- terer Zeit unter ganz beſondern Umſtaͤnden.
Überhaupt kann die eigentliche abſichtliche Verfaͤlſchung nur unter ganz beſondern Umſtaͤnden vorkommen. Hat Jemand eine Handſchrift, findet am Rande Beigeſchriebenes, und ſezt dieß in den Text, ſo kann dieß unter Umſtaͤnden eine abſichtliche Ver- faͤlſchung ſein. Es liegt aber dieß nicht nothwendig in der Sache, es kann eine richtige oder vermeintliche Correctur ſein, ſofern etwas im Text ausgelaſſen und an den Rand geſchrieben war.
Mehr und weniger koͤnnen wir alles von dieſer Art auf die beiden Faͤlle zuruͤckfuͤhren: 1. Bringt Jemand Selbſtgemachtes in den Text, es ſei von welcher Art es wolle, ſo iſt es immer eine abſichtliche Verfaͤlſchung. 2. Nimmt Jemand etwas als Correctur auf, wo ihm das, was er im Text vor ſich hat, nicht beſtehen zu koͤnnen ſcheint, ſo iſt dieß allerdings eine freie Änderung, die aber jeder Herausgeber macht, nur daß waͤhrend der Heraus- geber es zu bezeichnen pflegt oder doch vermag, jener dabei nichts ſagt und ſagen kann, und ſich des Rechts bedient, wie bei uns der Sezer. Es kann die Änderung als Verbeſſerung gemeint ſein, auch wirklich eine ſolche ſein, aber eben ſowol auf einem Irrthum beruhen. In allen ſolchen Faͤllen iſt etwas Abſichtliches, aber auf verſchiedene Weiſe.
Es kann durch das Verfahren eines Abſchreibers oder Leſers etwas Fremdes in den Text hineinkommen, und da ſind Faͤlle, die den vorigen ſehr verwandt ſind. Durch eine bloß mechani- ſche Irrung kann ein Abſchreiber etwas in den Grundtext brin- gen, was ihm aus der Überſezung vorſchwebt. Aber es kann daſſelbe auch abſichtlich geſchehen, als Correctur. Ferner, es kann einer ſtatt eines dunkeln Ausdrucks einen deutlichern ſezen, der
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wenn auch nicht gerade Unredlichkeit nachzuweiſen iſt. Aber auch
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daß ſie von einem Verfaſſer herruͤhrt, von dem ſie nicht iſt. So
kann er der Schrift den Namen eines andern Verfaſſers beilegen,
dem ſie nicht gehoͤrt. Aber auch dieß kann nur geſchehen in ſpaͤ-
terer Zeit unter ganz beſondern Umſtaͤnden.
Überhaupt kann die eigentliche abſichtliche Verfaͤlſchung nur
unter ganz beſondern Umſtaͤnden vorkommen. Hat Jemand eine
Handſchrift, findet am Rande Beigeſchriebenes, und ſezt dieß
in den Text, ſo kann dieß unter Umſtaͤnden eine abſichtliche Ver-
faͤlſchung ſein. Es liegt aber dieß nicht nothwendig in der Sache,
es kann eine richtige oder vermeintliche Correctur ſein, ſofern
etwas im Text ausgelaſſen und an den Rand geſchrieben war.
Mehr und weniger koͤnnen wir alles von dieſer Art auf die
beiden Faͤlle zuruͤckfuͤhren: 1. Bringt Jemand Selbſtgemachtes in
den Text, es ſei von welcher Art es wolle, ſo iſt es immer eine
abſichtliche Verfaͤlſchung. 2. Nimmt Jemand etwas als Correctur
auf, wo ihm das, was er im Text vor ſich hat, nicht beſtehen
zu koͤnnen ſcheint, ſo iſt dieß allerdings eine freie Änderung,
die aber jeder Herausgeber macht, nur daß waͤhrend der Heraus-
geber es zu bezeichnen pflegt oder doch vermag, jener dabei nichts
ſagt und ſagen kann, und ſich des Rechts bedient, wie bei uns
der Sezer. Es kann die Änderung als Verbeſſerung gemeint
ſein, auch wirklich eine ſolche ſein, aber eben ſowol auf einem
Irrthum beruhen. In allen ſolchen Faͤllen iſt etwas Abſichtliches,
aber auf verſchiedene Weiſe.
Es kann durch das Verfahren eines Abſchreibers oder Leſers
etwas Fremdes in den Text hineinkommen, und da ſind Faͤlle,
die den vorigen ſehr verwandt ſind. Durch eine bloß mechani-
ſche Irrung kann ein Abſchreiber etwas in den Grundtext brin-
gen, was ihm aus der Überſezung vorſchwebt. Aber es kann
daſſelbe auch abſichtlich geſchehen, als Correctur. Ferner, es kann
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/348>, abgerufen am 05.12.2024.
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