Theils müßte eine durchgreifende Parallelle des N. T. und der LXX. doch zeigen, ob Gebrauchsweisen in dem einen vorkom- men, die dem andern ganz fremd sind. Allein da bliebe immer die Ausflucht übrig, das Sprachgebiet sei größer als diese Überreste. Zu Hülfe müßte also kommen auf der andern Seite die Aussage des Gefühls darüber ob das N. T. für sich er- scheint als eine Entwicklung neuer Vorstellungen. Diese Aus- sage kann aber nur Credit bekommen durch eine allgemeine philologische und philosophische Bildung. Nur wer beweis't, daß er ähnliche Untersuchungen mit Erfolg auch anderwärts geführt habe und daß er sich nicht gegen seine eigene Einsicht bestechen lasse, kann hier leitend werden.
6. Wenn es nun einen nach unsrer Ansicht freilich nur unter- geordneten anomalen Einfluß der hebräischen Abstammung auf die neutest. Sprache giebt, so fragt sich wieviel Rücksicht darauf bei der Interpretation zu nehmen sei. Es giebt hier zwei einseitige Maximen. Die eine ist, sich mit dem einen Sprachelement allein zu begnügen bis Schwierigkeiten eintreten und dann diese aus dem andern zu lösen. Dadurch wird aber das erste Verfahren kunstlos und gar nicht geeignet das zweite daran zu knüpfen. Auch kann man dann eben so leicht versuchen aus dem andern Moment zu erklären was seinen eigentlichen Erklärungsgrund ganz anderswo hat, und man ist überhaupt mit der Kenntniß des andern wie- der nur auf einzelne Observationen verwiesen. Sondern nach unsrer vorläufigen Regel daß die Kunst von Anfang an eintreten muß, soll man sich eine allgemeine Anschauung vom Verhältniß beider Momente abstrahirt vor allen einzelnen Schwierigkeiten zu bilden suchen durch vorläufiges Lesen und durch Vergleichung mit LXX., Philo, Josephus, Diodor, Polybius.
Unleugbar aber ist, daß der Einfluß des hebräischen bei den eigentlich religiösen Terminis vorzüglich groß ist. Denn im ursprünglich hellenischen -- vorzüglich so weit es den neutest. Schriftstellern bekannt war, -- fand das neu zu entwickelnde religiöse (nicht nur) keinen Anknüpfungspunkt sondern auch
Theils muͤßte eine durchgreifende Parallelle des N. T. und der LXX. doch zeigen, ob Gebrauchsweiſen in dem einen vorkom- men, die dem andern ganz fremd ſind. Allein da bliebe immer die Ausflucht uͤbrig, das Sprachgebiet ſei groͤßer als dieſe Überreſte. Zu Huͤlfe muͤßte alſo kommen auf der andern Seite die Auſſage des Gefuͤhls daruͤber ob das N. T. fuͤr ſich er- ſcheint als eine Entwicklung neuer Vorſtellungen. Dieſe Aus- ſage kann aber nur Credit bekommen durch eine allgemeine philologiſche und philoſophiſche Bildung. Nur wer beweiſ't, daß er aͤhnliche Unterſuchungen mit Erfolg auch anderwaͤrts gefuͤhrt habe und daß er ſich nicht gegen ſeine eigene Einſicht beſtechen laſſe, kann hier leitend werden.
6. Wenn es nun einen nach unſrer Anſicht freilich nur unter- geordneten anomalen Einfluß der hebraͤiſchen Abſtammung auf die neuteſt. Sprache giebt, ſo fragt ſich wieviel Ruͤckſicht darauf bei der Interpretation zu nehmen ſei. Es giebt hier zwei einſeitige Maximen. Die eine iſt, ſich mit dem einen Sprachelement allein zu begnuͤgen bis Schwierigkeiten eintreten und dann dieſe aus dem andern zu loͤſen. Dadurch wird aber das erſte Verfahren kunſtlos und gar nicht geeignet das zweite daran zu knuͤpfen. Auch kann man dann eben ſo leicht verſuchen aus dem andern Moment zu erklaͤren was ſeinen eigentlichen Erklaͤrungsgrund ganz anderswo hat, und man iſt uͤberhaupt mit der Kenntniß des andern wie- der nur auf einzelne Obſervationen verwieſen. Sondern nach unſrer vorlaͤufigen Regel daß die Kunſt von Anfang an eintreten muß, ſoll man ſich eine allgemeine Anſchauung vom Verhaͤltniß beider Momente abſtrahirt vor allen einzelnen Schwierigkeiten zu bilden ſuchen durch vorlaͤufiges Leſen und durch Vergleichung mit LXX., Philo, Joſephus, Diodor, Polybius.
Unleugbar aber iſt, daß der Einfluß des hebraͤiſchen bei den eigentlich religioͤſen Terminis vorzuͤglich groß iſt. Denn im urſpruͤnglich helleniſchen — vorzuͤglich ſo weit es den neuteſt. Schriftſtellern bekannt war, — fand das neu zu entwickelnde religioͤſe (nicht nur) keinen Anknuͤpfungspunkt ſondern auch
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Theils muͤßte eine durchgreifende Parallelle des N. T. und der
LXX. doch zeigen, ob Gebrauchsweiſen in dem einen vorkom-
men, die dem andern ganz fremd ſind. Allein da bliebe immer
die Ausflucht uͤbrig, das Sprachgebiet ſei groͤßer als dieſe
Überreſte. Zu Huͤlfe muͤßte alſo kommen auf der andern Seite
die Auſſage des Gefuͤhls daruͤber ob das N. T. fuͤr ſich er-
ſcheint als eine Entwicklung neuer Vorſtellungen. Dieſe Aus-
ſage kann aber nur Credit bekommen durch eine allgemeine
philologiſche und philoſophiſche Bildung. Nur wer beweiſ't,
daß er aͤhnliche Unterſuchungen mit Erfolg auch anderwaͤrts
gefuͤhrt habe und daß er ſich nicht gegen ſeine eigene Einſicht
beſtechen laſſe, kann hier leitend werden.
6. Wenn es nun einen nach unſrer Anſicht freilich nur unter-
geordneten anomalen Einfluß der hebraͤiſchen Abſtammung auf die
neuteſt. Sprache giebt, ſo fragt ſich wieviel Ruͤckſicht darauf bei
der Interpretation zu nehmen ſei. Es giebt hier zwei einſeitige
Maximen. Die eine iſt, ſich mit dem einen Sprachelement allein
zu begnuͤgen bis Schwierigkeiten eintreten und dann dieſe aus dem
andern zu loͤſen. Dadurch wird aber das erſte Verfahren kunſtlos
und gar nicht geeignet das zweite daran zu knuͤpfen. Auch kann
man dann eben ſo leicht verſuchen aus dem andern Moment zu
erklaͤren was ſeinen eigentlichen Erklaͤrungsgrund ganz anderswo
hat, und man iſt uͤberhaupt mit der Kenntniß des andern wie-
der nur auf einzelne Obſervationen verwieſen. Sondern nach
unſrer vorlaͤufigen Regel daß die Kunſt von Anfang an eintreten
muß, ſoll man ſich eine allgemeine Anſchauung vom Verhaͤltniß
beider Momente abſtrahirt vor allen einzelnen Schwierigkeiten
zu bilden ſuchen durch vorlaͤufiges Leſen und durch Vergleichung
mit LXX., Philo, Joſephus, Diodor, Polybius.
Unleugbar aber iſt, daß der Einfluß des hebraͤiſchen bei den
eigentlich religioͤſen Terminis vorzuͤglich groß iſt. Denn im
urſpruͤnglich helleniſchen — vorzuͤglich ſo weit es den neuteſt.
Schriftſtellern bekannt war, — fand das neu zu entwickelnde
religioͤſe (nicht nur) keinen Anknuͤpfungspunkt ſondern auch
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/81>, abgerufen am 04.12.2024.
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