eine Täuschung, daß welche sich in mehrerem entsprochen ha- ben sich auch überall entsprechen werden, und aus dieser Vor- aussezung dann im Schreiben falscher Gebrauch. In beiden Punkten stimmt nun die LXX. mit dem neuen Testam. sehr überein und ist also fast das reichste Erklärungsmittel. Aber als Quelle der neutest. Sprache sie anzusehen, aus der sich diese selbst gebildet hätte, ist zuviel. Einmal hatten die neutest. Schriftsteller, wie sie sehr verschieden sind in dem Grade der Aneignung des griechischen und in dem Beschränktsein durch die angeführten Mängel, auch einen sehr verschiedenen Zusam- menhang mit der LXX.Dann läßt sich auch für alle eine andere Quelle nemlich der gemeine gesellige Verkehr nachweisen.
5. Ein anderes ist die Untersuchung, wie weit wegen des religiösen Inhalts das N. Test. noch besonders von der LXX. abhängt. Hier kommen besonders die jüngeren Schrif- ten, die Apokryphen, in Betracht, und so hat die Beant- wortung dieser Frage den größten Einfluß auf die ganze Ansicht der christlichen Theologie, nemlich auf die Principien der Interpretation sofern diese selbst der Dogmatik zum Grunde liegt. -- Die neutestam. Schriftsteller führen für ihre religiösen Begriffe keine neuen Wörter ein, und reden also aus dem Sprach- gebrauch des griechischen A. T. und der Apokryphen. Es fragt sich also, haben sie demohnerachtet andere religiöse Vorstellungen und also andere Gebrauchsweisen der Wörter? oder haben sie auch nur dieselben Gebrauchsweisen? Im lezteren Falle wäre nichts neues in der christlichen Theologie und also, da alles re- ligiöse was nicht bloß momentan ist sich in der Reflexion fixirt, auch nichts in der christlichen Religion. Die Frage aber läßt sich unmittelbar hermeneutisch nicht entscheiden und zeigt sich also als eine Sache der Gesinnung. Jeder beschuldigt dabei den andern daß er seine Principien aus vorgefaßten Meinungen geschöpft habe; denn richtige Meinung über die Bibel kann es nur geben durch die Interpretation. Es liegt freilich ein Lö- sungsgrund im hermeneutischen Verfahren. Nemlich eines
eine Taͤuſchung, daß welche ſich in mehrerem entſprochen ha- ben ſich auch uͤberall entſprechen werden, und aus dieſer Vor- ausſezung dann im Schreiben falſcher Gebrauch. In beiden Punkten ſtimmt nun die LXX. mit dem neuen Teſtam. ſehr uͤberein und iſt alſo faſt das reichſte Erklaͤrungsmittel. Aber als Quelle der neuteſt. Sprache ſie anzuſehen, aus der ſich dieſe ſelbſt gebildet haͤtte, iſt zuviel. Einmal hatten die neuteſt. Schriftſteller, wie ſie ſehr verſchieden ſind in dem Grade der Aneignung des griechiſchen und in dem Beſchraͤnktſein durch die angefuͤhrten Maͤngel, auch einen ſehr verſchiedenen Zuſam- menhang mit der LXX.Dann laͤßt ſich auch fuͤr alle eine andere Quelle nemlich der gemeine geſellige Verkehr nachweiſen.
5. Ein anderes iſt die Unterſuchung, wie weit wegen des religioͤſen Inhalts das N. Teſt. noch beſonders von der LXX. abhaͤngt. Hier kommen beſonders die juͤngeren Schrif- ten, die Apokryphen, in Betracht, und ſo hat die Beant- wortung dieſer Frage den groͤßten Einfluß auf die ganze Anſicht der chriſtlichen Theologie, nemlich auf die Principien der Interpretation ſofern dieſe ſelbſt der Dogmatik zum Grunde liegt. — Die neuteſtam. Schriftſteller fuͤhren fuͤr ihre religioͤſen Begriffe keine neuen Woͤrter ein, und reden alſo aus dem Sprach- gebrauch des griechiſchen A. T. und der Apokryphen. Es fragt ſich alſo, haben ſie demohnerachtet andere religioͤſe Vorſtellungen und alſo andere Gebrauchsweiſen der Woͤrter? oder haben ſie auch nur dieſelben Gebrauchsweiſen? Im lezteren Falle waͤre nichts neues in der chriſtlichen Theologie und alſo, da alles re- ligioͤſe was nicht bloß momentan iſt ſich in der Reflexion fixirt, auch nichts in der chriſtlichen Religion. Die Frage aber laͤßt ſich unmittelbar hermeneutiſch nicht entſcheiden und zeigt ſich alſo als eine Sache der Geſinnung. Jeder beſchuldigt dabei den andern daß er ſeine Principien aus vorgefaßten Meinungen geſchoͤpft habe; denn richtige Meinung uͤber die Bibel kann es nur geben durch die Interpretation. Es liegt freilich ein Loͤ- ſungsgrund im hermeneutiſchen Verfahren. Nemlich eines
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eine Taͤuſchung, daß welche ſich in mehrerem entſprochen ha-
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Punkten ſtimmt nun die LXX. mit dem neuen Teſtam. ſehr
uͤberein und iſt alſo faſt das reichſte Erklaͤrungsmittel. Aber
als Quelle der neuteſt. Sprache ſie anzuſehen, aus der ſich dieſe
ſelbſt gebildet haͤtte, iſt zuviel. Einmal hatten die neuteſt.
Schriftſteller, wie ſie ſehr verſchieden ſind in dem Grade der
Aneignung des griechiſchen und in dem Beſchraͤnktſein durch
die angefuͤhrten Maͤngel, auch einen ſehr verſchiedenen Zuſam-
menhang mit der LXX. Dann laͤßt ſich auch fuͤr alle eine
andere Quelle nemlich der gemeine geſellige Verkehr nachweiſen.
5. Ein anderes iſt die Unterſuchung, wie weit wegen
des religioͤſen Inhalts das N. Teſt. noch beſonders von der
LXX. abhaͤngt. Hier kommen beſonders die juͤngeren Schrif-
ten, die Apokryphen, in Betracht, und ſo hat die Beant-
wortung dieſer Frage den groͤßten Einfluß auf die ganze
Anſicht der chriſtlichen Theologie, nemlich auf die Principien der
Interpretation ſofern dieſe ſelbſt der Dogmatik zum Grunde
liegt. — Die neuteſtam. Schriftſteller fuͤhren fuͤr ihre religioͤſen
Begriffe keine neuen Woͤrter ein, und reden alſo aus dem Sprach-
gebrauch des griechiſchen A. T. und der Apokryphen. Es fragt
ſich alſo, haben ſie demohnerachtet andere religioͤſe Vorſtellungen
und alſo andere Gebrauchsweiſen der Woͤrter? oder haben ſie
auch nur dieſelben Gebrauchsweiſen? Im lezteren Falle waͤre
nichts neues in der chriſtlichen Theologie und alſo, da alles re-
ligioͤſe was nicht bloß momentan iſt ſich in der Reflexion fixirt,
auch nichts in der chriſtlichen Religion. Die Frage aber laͤßt
ſich unmittelbar hermeneutiſch nicht entſcheiden und zeigt ſich
alſo als eine Sache der Geſinnung. Jeder beſchuldigt dabei
den andern daß er ſeine Principien aus vorgefaßten Meinungen
geſchoͤpft habe; denn richtige Meinung uͤber die Bibel kann es
nur geben durch die Interpretation. Es liegt freilich ein Loͤ-
ſungsgrund im hermeneutiſchen Verfahren. Nemlich eines
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/80>, abgerufen am 04.12.2024.
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